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Martin Becker: Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien

Neuerscheinung bei piper.

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„Eine melancholische Sehnsucht oder sehnsüchtige Melancholie, die für mich immer präsent ist. Häufig blitzt sie in Gesprächen auf, oft entdecke ich sie in den Blicken der Menschen“ S. 57.

Es musste irgendwann kommen. Martin Becker ist auf der Suche nach Tschechien, man könnte vielleicht sagen: schon immer. Er liebt die drei Ausrufezeichen, mit welchen die Stadt Ostrava sich (im Logo) ihren speziellen Ruf offensiv aneignet. Er liebt es, hoffnungslose hoffnungstragende Bierkneipen irgendwo in kleinen dunklen Ecken zu finden. Er umgibt sich in Prager Lokalen mit eingesessenen (männlichen) Haudegen, die ihre geübte Ironie auf absolut alles anwenden. Sein langjähriger literarischer Leib- und Magenfreund ist Jaroslav Rudiš, der in Deutschland mit „Alois Nebel“ berühmt geworden ist; mit ihm produzierte er ein Hörspiel (Lost in Praha) und bestritt zahlreiche Lesungen.
Martin Becker ist also begeistert von Tschechien. Manch einer fragte sich schon: Warum macht er das? Und wie? Und kann man davon leben? Wie kommen Sie eigentlich auf Ihre Ideen? Nun ist seine „Gebrauchsanweisung“ erschienen, die selbstverständlich überhaupt keine ist. Ein sehr persönliches Buch, durchzogen von besonderem Interesse für Cafés und Kneipen, künstlerische Szenen und Literatur. So tastet er sich lesend und reisend in Richtung Milan Kundera, Bohumil Hrabal, Ota Pavel und sogar – ja, er fehlt nicht – Franz Kafka.

Becker ist von Haus aus Radiojournalist und Autor. Er veröffentlichte in Buchform bereits einen Erzählungsband (Ein schönes Leben) und einen Roman (Der Rest der Nacht), die sich in vielem unterscheiden, aber eines gemeinsam haben: Die Melancholie hinter und zwischen den Sätzen, die das hohe Tempo stoppt um aufzuhorchen und und zu fragen – also ist es das jetzt wirklich? Ist das eigentlich schon alles? Und weiter: Beckers Begeisterung für Tschechien ist auch seine Begeisterung für das Melancholische. Er sucht die körperlich erfahrbare Ahnung, dass dieses Leben (noch) nicht das Leben ist, welches sein könnte. Martin Becker sucht, und in der manchmal minimalistischen und manchmal besoffenen Poetik von Hinterhöfen, Schimpfwörtern, Bahnhöfen und schwierigen tschechischen Vokabelübungen scheint er seine Ahnungen wiederzufinden.

Seine Begeisterung trägt er also an die Lesenden dadurch heran, dass sich die Hoffnungen permanent enttäuschen lassen. Martin Becker arbeitet nicht mit der Präsentation ausgereifter Kenntnisse, er arbeitet vor allem mit der ständigen Freude daran, überrascht zu werden, Feststellungen zu relativieren und immer wieder zu scheitern und von Neuem zu beginnen. „Ich muss gleich zu Beginn schon wieder mit einer Enttäuschung aufwarten“, so fängt ein Kapitel auf S. 105 an. Man kann man also zu dem Schluss kommen, dass es dem Buch an manchem mangelt. Aber das sehr Subjektive gibt der Form doch ihr Gewürz, denn es handelt sich ja um eine Gebrauchsanweisung.

Ein etwas überschwänglicher und sehr sehnsüchtiger Martin Becker schreibt hier an seiner ganz persönlichen alltagsbezogenen Verlorenheit, die jeglicher Heimat entbehrt.

Lena Dorn