Josef Pánek

Die Liebe in Zeiten des Klimawandels

2017 | Argo

Seite 7-12 (Anfang)

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Das hier handelt von Liebe. Und vom Klimawandel. Und so weiter. Also allen Ernstes von Liebe in Zeiten des Klimawandels.

Folgendes: Falls Sie mal ins indische Bangalore kommen, werden Sie schockiert sein vom Höllenlärm, vom Dreck und Gehupe, vom undefinierbaren Gestank und Getümmel, vom Gefühl totalen Entwurzeltseins, Sie sind am unwirtlichsten und kaputtesten Ort überhaupt, und das alles ist Ihnen völlig neu, oder, und das Hotel erst.

Zum Hotel später.

Jetzt fliehen Sie erst mal raus aus dem Hotel auf die Straße, was bleibt Ihnen auch anderes übrig, es ist ein indisches Hotel, es ist Nacht, die Straßen sind dunkel, der undefinierbare Gestank bringt Sie fast um, da ist die absolute Unwirtlichkeit dieses Ortes, als wären Sie auf einem anderen Planeten gelandet, Ihnen wird richtiggehend schlecht. Und Sie gehen im Dunkeln und Durcheinander, irgendwohin, durch einen Höllenlärm und Verkehr, und es ist dieses Chaos, das Sie schockiert, und dann landen Sie in einem Slum, und noch vor Ihrer Abreise nach Indien hat man Ihnen gesagt, was Sie auf jeden Fall meiden sollten, das sind die Slums, und jetzt stehen Sie mittendrin, man hat Ihnen gesagt, was Sie auf jeden Fall meiden sollten, das sind die Slums nach Einbruch der Dunkelheit, und jetzt stehen Sie mittendrin und es ist Mitternacht, man hat Ihnen gesagt, dass Sie niemals Geld mitnehmen sollten oder Ihren Pass, sondern immer nur dessen Kopie, und jetzt sind Sie im Slum, es ist Mitternacht und in Ihrem Rucksack stecken Geld und Pass, und Sie fühlen sich absolut sicher, und alle Leute, also die Bewohner des Slums hinter der Queen’s Road, Bangalore, Südindien, lächeln Sie an, und Ihnen geschieht rein gar nichts, bis Sie eine junge Frau in Jeans und Hoodie treffen, die mit zwei weiteren jungen Frauen in Sari vor einem halb verfallenen Einfahrtstor von was auch immer steht, vielleicht einer Mülldeponie oder Schutthalde oder Ruine, und in dem Moment geraten Sie ins Stocken, und zwar wegen des prosaischen Anblicks der blauen Jeans und des Hoodies dieser Frau, und Sie können sich nicht helfen, Sie müssen einfach Ihr Handy zücken und diese Frau fotografieren, und das ist das 1. Foto Ihres Lebens, denn wiewohl Sie die ganze Welt bereist haben und 9 Jahre in Norwegen und Australien gelebt, haben Sie noch nie auch nur ein einziges Foto gemacht, Sie besitzen erst gar keine Kamera, stellen Sie sich das mal vor, und haben auch noch nie eine besessen, wozu sollte ich auch, haben Sie sich gesagt, Fotos machen, wo es doch im Grunde überall auf der Welt gleich ist, und jetzt fotografieren Sie ganz ordinäre blaue Jeans, weil die hier nämlich sofort ins Auge stechen inmitten dieser Flut grellbunter Saris und traditioneller Männergewänder, inmitten dieses Drecks und Gestanks, in dieser Dunkelheit und dem Verkehr, denn irgendwie haben Sie hier plötzlich etwas entdeckt, woran Sie sich halten können, was Sie wiedererkennen, genauso sieht es daheim doch auch aus, ach ja, und zugleich bemerken Sie diesen Kontrast zwischen der Unwirtlichkeit, den grellbunten Farben und diesen prosaischen Jeans, es ist Nacht, Sie sind an einem unbestimmbaren Ort, da sind Ihre lebenslangen Erfahrungen, die Sie in einer technisch hochentwickelten und aseptischen Welt des Komforts gesammelt haben, aus der Sie noch nie rausgekommen sind, und nun stehen Sie hier in dieser Gasse, auf dieser Straße, die Marktplatz ist und Müllhalde zugleich mit ihren brennenden, qualmenden, giftig stinkenden Feuern, die einen matten Lichtschein werfen auf ohne Licht hochtourig mit gellendem Gehupe herumfahrende Tuk-Tuks, und zwischen den Feuern und den Tuk-Tuks fließt dieser Menschenstrom, der gesäumt wird von sperrangelweit offenstehenden Garagen, in denen nachtschwarze, grellbunt gekleidete Inderinnen mit im Feuerschein strahlend weißen Zähnen sitzen, während Männer wiederum in verstreuten Häuflein herumstehen, sich unterhalten und lachen, und am anderen Ende der Straße liegt ein Abwrackplatz, und Sie stehen noch immer vor diesem Einfahrtstor der Schutthalde oder Mülldeponie oder was, und diese junge Frau, die Sie fotografiert haben, dreht sich nach Ihnen um und fragt, warum Sie sie gerade fotografiert haben.

Fragt Sie das in perfektem Englisch.

Und Sie erklären es ihr.

Worauf sie erwidert, dass sie auf keinen Fall fotografiert werden will, weil sie keinen Sari trägt.

Und das soll einer, sagen Sie sich, verflucht noch mal, kapieren! Dieser ganze Ort ist Ihnen absolut unverständlich, Sie löschen also dieses Foto, verabschieden sich von der Frau und gehen.

Gelangen in einen Tempel am Rand des Slums, wo der Slum in ein Armenviertel übergeht, und auf Ihrem Rückweg kommen Sie erneut durch den Slum, wo keiner Sie überfällt, ausraubt, vergewaltigt, erschlägt, es ist Mitternacht, aber die Straßen sind voller Leute im Schein der Feuer, die auf dem Asphalt lodern, in Gräben oder irgendwelchen Löchern qualmen, und von diesen Feuern aus lächeln diese Leute Sie an.

Es ist dieser giftige, alles durchdringende Gestank der Feuer überall, von dem Ihnen speiübel wird.

Und Sie, bevor Sie nach Indien abgereist sind, haben in Ihrem Lonely Planet gelesen und auf wikipedia.org auch, also überall im Internet hat man Ihnen erzählt, was Sie auf jeden Fall meiden sollten, das sind die Slums.

Hier auf dieser Straße in Bangalore, im Schein dieser Feuer, sehnen Sie sich also – wiewohl Sie wissen, dass das völlig sinnlos ist – nach Ihrem Hotel und kehren dorthin zurück.

 

2

Bevor die Konferenz beginnt, haben Sie 3 Tage in diesem Hotel.

Sobald Sie es betreten, wollen Sie es wieder verlassen, und zwar sofort.

Nur wohin?

Sie denken: Vor dem Hintergrund der Einförmigkeit dieses Hotels ist das Kaputte, das Unwirtliche und der Dreck jenseits der Mauern dieses Hotels ja gar nicht so dreckig, so unwirtlich, so kaputt, und gleich darauf erschreckt Sie dieser Gedanke.

Ja.

Genau.

Und Sie, das 1., was Sie im Hotel machen, ist kontrollieren, ob man die Fenster öffnen kann, aber nein, der Fensterrahmen hat zwar Scharniere und Riegel, aber keine Klinke, so dass Sie zur Hotelrezeption gehen und sagen, dass man Ihnen eine Fensterklinke geben soll, weil Sie auf keinen Fall in einem Zimmer bleiben, in dem man das Fenster nicht öffnen kann.

Was?, werden Sie an der Rezeption gefragt.

Sie haben 7 Jahre in Australien gelebt, es ist also Ihr Australisch-Englisch mit Queensland-Akzent, den Sie noch dazu bis heute nicht beherrschen, und jetzt scheint man Sie nicht zu verstehen.

Sie sagen, dass Sie die Klimaanlage in Ihrem Zimmer ausschalten wollen und das Fenster öffnen.

Wie der Herr wünschen.

Und von einem Ohr zum anderen, über ihr ganzes schwarzes Gesicht, strahlen diese Leute Sie an.

Dabei: Wer würde in Bangalore, Indien, sein Fenster öffnen? Und: Wer würde in Bangalore, Indien, wo auf den Straßen nur Abgase sind und Staub und Lärm, seine Klimaanlage ausschalten und das Fenster öffnen?

Und diese Leute sprechen fließend Englisch mit schönstem Akzent, haben schwarze Gesichter und weiße Zähne und strahlen Sie von einem Ohr zum anderen an, und Sie antworten mit Ihrem ordinären Kauderwelsch, 7 Jahre haben Sie in Australien gelebt und 3 Jahre in Norwegen, Sie haben die ganze Welt bereist, nur in Indien waren Sie noch nie, und diese Leute hier sind aus Bangalore, Indien noch nie rausgekommen, also gehört ihr Englisch, denken Sie sich, wohl einfach zur klassischen indischen Bildung …? Und Sie verlangen eine Fensterklinke.

Und diese Leute strahlen Sie übers ganze Gesicht an.

Und Sie sind kreuzunglücklich und kommen nicht mal auf den Gedanken zurückzulächeln, und diese Leute begleiten Sie auf Ihr Zimmer zurück und schalten die Klimaanlage aus und öffnen das Fenster und drücken Ihnen die Fensterklinke in die Hand, und Sie stellen fest, dass das Fenster auf die Wand des Nachbarhauses hinausgeht, die verdreckt ist und bröckelt und schimmelt und mit Taubenkot zugeschissen ist, und der Verkehrslärm aus der Straße gegenüber hallt daran wider, und die Hauswand ist nur einen halben Meter entfernt, Sie könnten sie also berühren.

Und als starrten Sie jetzt auf keine zugeschissene Hauswand mehr, sondern in einen Spiegel, genau so lächeln Sie jetzt zum ersten Mal Ihre Gastgeber an.

Und die sagen, Sie seien ihr Gast, also wie der Herr wünschen, und außerdem, dass die Fensterklinke – wiewohl die einzige im ganzen Hotel – jetzt die Ihre sei, und vielen herzlichen Dank. Und Sie strahlen übers ganze Gesicht zurück.

Vor allem aber wünschen Sie sich nichts sehnlicher, als dass diese Leute endlich verschwinden.

Und sie verschwinden, aber noch davor strahlen sie Sie an, und Sie merken, dass sie das mit ihrem Strahlen wirklich ernst meinen.

Sie aber noch immer nicht.

Die 1. Nacht im Hotel bleiben Sie wach, denn unter dem Fenster Ihres Zimmers sind die Aggregate für sämtliche Klimaanlagen des Hotels angebracht, und nachts kommen Gäste heim und schalten ihre Klimaanlagen ein, und die historischen Aggregate unter Ihrem Fenster dröhnen los, bis sie sogar den Straßenlärm übertönen, und Sie als einziger Gast des ganzen Hotels haben Ihre Klimaanlage ausgeschaltet. Was Ihnen auch nicht weiterhilft. Sie sagen sich, wie wunderbar der Straßenlärm war, könnte ich ihn doch nur hören, und fast sehnen Sie sich danach zurück.

Nach wie vor jedoch, und noch immer – wiewohl Ihr Zimmer regelrecht bebt vom Gedröhn der Klimaanlagen-Aggregate, was noch verstärkt wird vom Widerhall durch die Wand des Nachbarhauses, die bröckelt und schimmelt und zugeschissen ist und vor Ihrem Fenster, so sagen Sie sich, aufragt, als wären Sie hier eingemauert – noch immer also bringen Sie es nicht fertig, Ihr Fenster wieder zu schließen und die Klimaanlage einzuschalten.

Noch immer wissen Sie nämlich, wie das in Göteborg war in diesem Hotel mit Zimmer ohne Fenster. Und wie in Edmonton, Kanada, in diesem Zimmer ohne Fenster. Und wie in Tokio in diesem Zimmer ohne Fenster. Und wie in Cambridge, in Oslo, in Bergen, Rockhampton, Sydney und Kopenhagen, wo man immer nur ein Stück Zimmerwand verglast hatte, und überall dort haben Sie dann in Kneipen und Bars gehockt und sich gegraut vor dem Moment, in dem die letzte Kneipe, die letzte Bar zumacht und Sie in Ihr Hotel zurückkehren müssen, um dort eine Nacht ohne Fenster durchzumachen mit nur einem Stück verglaster Wand, und die Festigkeit dieses Glases haben Sie durch Klopfen, Treten und Sich-dagegen-werfen geprüft, und Sie wollten die Klimaanlage ausschalten, die aber ohne Schalter lief, Sie haben nämlich das akute, ja panische Bedürfnis nach offenem Raum, von dem man Ihnen in irgendeinem blöden Krankenhaus gesagt hat, über das Sie auf irgendeiner blöden Wikipedia-Seite gelesen haben, dass das eine ganz gewöhnliche Klaustrophobie sei.

Und jetzt in Bangalore, Indien, um dieses unerträgliche Gefühl des Entwurzeltseins und Unglücks einzudämmen, das mit dem Gedröhn der Klimaanlagen-Aggregate durchs geöffnete Fenster über Sie hereinbricht, schließen Sie das Fenster und schalten die Klimaanlage ein.

Was Sie < 1 min. aushalten.

Sie schalten die Klimaanlage wieder aus und öffnen das Fenster.

Und das Gefühl des Entwurzeltseins und der Unwirtlichkeit bricht über Sie herein; noch nie in Ihrem ganzen Leben haben Sie sich so ohnmächtig und verloren gefühlt, und dabei haben Sie die ganze Welt bereist und sich längst abgewöhnt, ein Zuhause zu haben, eine Familie oder Freunde, und trotzdem, jetzt in Bangalore, Indien, geht es Ihnen schlechter als beim ersten Mal, als Sie ohne Zuhause, ohne Familie und ohne Freunde waren, hier sitzen Sie auf Ihrem Bett und fragen sich – und zwar zum ersten Mal in Ihrem Leben – wie Sie Ihre Familie in Australien haben zurücklassen können, um nach Chile zu gehen, was vor fünf Jahren war, und dann liegen Sie die ganze Nacht wach.

 

[…]

 

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Als Sie die Bibliothek verlassen, können Sie einfach nicht anders, als sich noch mal umzusehen. Die Wände der Bibliothek sind von oben bis unten aus Glas, und dort drinnen sehen Sie sie noch immer stehen, so schnell sind Sie gegangen, als wäre hinter Ihnen ein Feuer ausgebrochen, und jetzt marschieren Sie mit langen, verlangenden Schritten über den Campusrasen und atmen und atmen und atmen, und Ihnen scheint, die Luft schmecke süß, und Sie müssen daran denken, dass die Kollegin von Ihrer Fakultät, die gesagt hat, dass das erste Wort Ihres Sohnes nicht Papa gewesen sei, sondern Idiot, dass diese Kollegin also auch noch gesagt hat, Sie seien ein Rüpel, denn noch vorgestern, unmittelbar vor Ihrem Abflug nach Indien, nachdem Sie auf dem Gang neben Ihrer Bürotür auf einen Kühlschrank gestoßen sind, sind Sie ohne nachzudenken schnurstracks ins Nachbarbüro marschiert, wo Sie wütend losgeblafft haben: Mich nervt der Lärm von deinem Kühlschrank, den du da auf den Gang rausgezerrt hast, sieh zu, dass der sofort wieder wegkommt! Was bildest du dir überhaupt ein …? Und der Kollege, der sich in diesem Büro auf seine Arbeit konzentriert hat, zuckt erst mal zusammen und fragt Sie dann: Welchen Lärm genau meinst du …? Darauf Sie: Den Lärm von deinem Kühlschrank; und Ihr Kollege steht auf, begleitet Sie auf den Gang hinaus und fragt: Der Lärm von diesem Kühlschrank hier …?, wobei er auf den Kühlschrank zeigt. Und Sie sagen: Genau; und Ihr Kollege sagt: Dieser Kühlschrank ist doch mucksmäuschenstill; und Sie, wiewohl Sie den Lärm des Kühlschranks noch vor einer Weile als so laut empfunden haben, dass Sie sich in Ihrem Büro nicht mehr auf Ihre Arbeit konzentrieren konnten, sagen: Das ist ein leiser, aber extrem störender Lärm, und das ist nicht nur mein persönlicher Eindruck, sondern auch Hygienestandards stufen schädlichen Lärm als laut oder störend ein, und dieser hier ist störend; und Ihr Kollege sagt: Nein, der Lärm hier ist weder laut noch störend, er ist nämlich gar nicht vorhanden. Diesen Kühlschrank hier hört man nämlich gar nicht. Wir stehen direkt davor und ich höre nicht das Geringste; darauf Sie: Na gut, aber unangenehm ist dieser Lärm schon, er verbreitet sich nämlich über den gesamten Gang; darauf Ihr Kollege: Nein, dieser Lärm ist nicht mal unangenehm. Es gibt ihn nämlich gar nicht. Und da fehlen Ihnen die Worte, denn plötzlich hören Sie den Kühlschrank selbst nicht mehr, wiewohl Sie direkt davor stehen, und Ihr Kollege verabschiedet sich und geht, und Sie kehren in Ihr Büro zurück und setzen sich an den Computer, und in diesem Moment hören Sie ganz zweifelsfrei den Kühlschranklärm vom Gang her und fragen sich, ob dieser Lärm nun vorhanden ist oder nicht … Sie wissen es nicht; und als Sie noch am selben Nachmittag in Ihr Büro zurückkehren und auf Ihrem Tisch einen Karton vorfinden, rennen Sie ohne nachzudenken auf den Gang hinaus und ins Nachbarbüro rein und blaffen wütend Ihre Kollegin an: Was erlaubst du dir eigentlich, einfach so in meinem Büro auf meinem Tisch einen Karton abzustellen …? Und Ihre Kollegin zuckt zusammen, ist starr vor Schreck und fragt schließlich: Was für ein Karton denn …? Darauf Sie wutentbrannt: Na, der Karton auf meinem Tisch; darauf Ihre Kollegin: Ich war ja gar nicht in deinem Büro. Und da stehen Sie dann, ringen nach Luft und sagen: Meine Güte, entschuldige, ich hab gedacht, das sei dein Karton; darauf Ihre Kollegin: Kein Problem; und Sie sehen ihr ganz genau an, dass das doch ein Problem ist und sie schlicht erschüttert, wie sie sich da beflissen über ihren Schreibtisch beugt, beide Hände auf der Tastatur, und krampfhaft, bis Sie ihr Büro wieder verlassen, irgendwas auf ihrem Monitor sucht, um schließlich in Tränen auszubrechen; und noch vorgestern sind Sie wütend auf die studentische Hilfskraft aus dem Nachbarbüro losgegangen, die auf dem Gang telefoniert hat, von wegen, dass dieser Lärm Sie nervt, und die Studentin fragt: Was denn für ein Lärm, bitteschön …?, wobei sie verständnislos tut, worauf Sie ihr klarmachen: Du brüllst hier auf dem Gang in dein Telefon; und sie entschuldigt sich und räumt das Feld, und Ihnen wird sofort klar, dass dieses Mädel einfach nur ganz normal telefoniert hat, ohne auch nur ihre Stimme zu heben, geschweige denn zu brüllen, und Sie laufen ihr Hals über Kopf hinterher und entschuldigen sich, und sie weicht überrascht zurück, noch immer das Telefon am Ohr und jetzt mit verständnislosem, leicht angewidertem Ausdruck im Gesicht… Ja – – und am Folgetag werden Sie ins Büro des Dekans gerufen, der Sie noch aus Ihrer Zeit vor Norwegen und Australien kennt und der Ihnen sagt: Hör mal, ich weiß ja nicht, was dir passiert ist nach deiner Rückkehr aus Australien, und deine Arbeit weiß ich durchaus zu schätzen, aber du wirkst wirklich ein bisschen paranoid, schon mehrere Fakultätsmitarbeiter haben das gesagt, wie wär’s also, wenn du mal zum Psychologen gehst …? Und darauf Sie: Sollte ich wohl – – und schon auf dem Rückweg ins eigene Büro sagen Sie sich, dass Sie alles andere als paranoid sind, sondern dass Sie schlicht und einfach Dinge hören und sehen, die der Dekan nicht hört und sieht, und dabei kennen Sie ihn schon seit 20 Jahren, und gleich darauf fragen Sie sich, wie es wohl wäre, wenn die Dinge dann doch ganz anders sind und Sie paranoid und der Dekan Recht hat und Sie Dinge hören und sehen, die es gar nicht gibt …? Und diese Frage weckt Sie um vier Uhr früh, als keine Nacht mehr ist und noch kein Tag, seit Ihrer Rückkehr aus Australien haben Sie nämlich irgendein Herzproblem, und jetzt weckt Sie Ihr Herzschlag auf, der schwerfällig ist und schmerzt, Sie springen fast aus dem Bett, weil Ihr Herz fast zerspringt, und Sie haben eine Todesangst, denn das, so Ihr lautloser Schrei, macht doch das stärkste Herz kaputt! Und Sie versuchen, das irgendwie zu stoppen, und stellen fest, dass Sie nicht wissen, wie, und schon gar nicht, wo anfangen, und vor lauter Ohnmacht brechen Sie in Tränen aus wegen des eigenen Körpers, den Sie – obwohl er, wie Sie sich sagen, Ihnen gehört – also den Sie nicht nur weder physisch noch psychisch beherrschen, sondern den Sie überhaupt nicht kennen, und Sie sind verzweifelt und haben eine Todesangst wegen des eigenen Körpers, weil Sie nicht wissen, was das ist, und aus heiterem Himmel erkennen Sie, dass Ihnen Ihr Körper und Ihr Geist völlig fremd sind, dass Sie nicht das Geringste darüber wissen, absolut nichts, und trotzdem gehört dieser Körper Ihnen, und Sie haben zwar die ganze Welt bereist und 9 Jahre im Ausland gelebt, aber was bringt Ihnen das jetzt, wenn Sie nach Ihrer Rückkehr hier im eigenen Bett in Tränen ausbrechen vor lauter Verzweiflung und Angst …? Und Sie stehen auf und kochen sich einen Kaffee, und gleich am nächsten Tag, als Ihre Kollegin aus dem Büro gegenüber Musik anmacht, was Sie über den Gang bis ins eigene Büro hören, rennen Sie ohne zu zögern, ohne nachzudenken aus Ihrem Büro raus und in ihr Büro rein und schnauzen sie an: Mach das sofort aus, so kann ich mich nicht konzentrieren, so kann ich nicht arbeiten …! Und sie zuckt zusammen – Sie haben sie erschreckt, sie sitzt nämlich mit dem Rücken zur Tür und Sie sind ohne anzuklopfen rein –, sie zuckt also zusammen und macht ihre Musik wortlos aus, dreht sich noch nicht einmal um, und Sie machen auf dem Absatz kehrt, ohne ein Wort, verlassen ihr Büro und gehen in Ihr eigenes und setzen sich hin und hören diese Stille, und in diesem Moment wird Ihnen klar, dass Ihr Verhalten unpassend war, und Sie sagen sich, und zwar laut, dass Sie im Unrecht waren, und Sie stehen wieder auf und gehen aus Ihrem Büro über den Gang in das Büro Ihrer Kollegin und sagen: Entschuldige, ich war im Unrecht; und darauf sie: Ich weiß nicht, wer hier im Unrecht war und wer im Recht, aber ich weiß, dass es hier nicht um Recht geht. Es ist ja nicht das erste Mal, ich hab mich also schon dran gewöhnt. Obwohl mich dein Verhalten noch immer konsterniert. Und ihr Gesicht ist rot und sie spricht nur ungern mit Ihnen, und eine andere Kollegin setzt sich beim Mittagessen immer ostentativ weg, und Sie, Sie sagen sich immerfort, sagen sich: diese blöde Kuh, diese dämliche Ziege – mit jedem Schritt, den Sie sich hier auf dem Campus des Indian Institute of Science entfernen von der Bibliothek mit den Wänden von oben bis unten aus Glas – Sie sagen sich also: diese dumme Gans, und zwar als würden Sie sich selbst beschimpfen, denn sie hat ja Recht, Sie waren es doch, der sie da stehengelassen hat in dieser leeren Bibliothek, also Sie, falls Sie sich noch einmal umsehen würden, würden Sie sie dort noch immer in ihrem grellorangefarbenen und blauen Sari stehen sehen, und hier auf der Konferenz haben Sie ja gar keine Kollegen, nicht mal Bekannte, das haben Sie nämlich nur so gesagt, und erst übermorgen gehen Sie sich mit dem Ungarn, der auch an dieser Konferenz teilnimmt, betrinken; und sobald Sie beide dann sturzbetrunken um 2 Uhr früh irgendwo in Bangalore, Indien – wo Ihnen beiden die Zivilisation völlig unbegreiflich und unbrauchbar erscheint, wo nichts existiert, was Sie auch nur im Entferntesten wiedererkennen würden, wiewohl Sie, geprägt von der kommunistischen Vergangenheit Ihrer beiden Länder, die ganze Welt bereist haben – beide also sturzbetrunken um 2 Uhr früh in Bangalore, Indien mit je einem Zettel in der Hand, auf denen man Ihnen in Ihrem jeweiligen Hotel die Adresse notiert hat, da also reichen sich Tuk-Tuk-Fahrer und Taxifahrer eben diese Zettel weiter, ohne auch nur zu ahnen, wo genau diese Adressen sind, und das auch nicht rausfinden können, weil weder in den Tuk-Tuks noch in den Taxis, nämlich einfach nirgends irgendein Internetanschluss zu finden ist, und da leben wir, verdammt noch mal, sagen Sie sich, in Zeiten der elektronischen und Multimedia-Kommunikation, oder etwa nicht, nein? Und in der Hand halten Sie fünf Tausender, die Sie noch am Flughafen erhalten haben, und wollen damit zahlen, dies jedoch vergebens, denn als Zahlungsmittel sind Tausender in Indien völlig unbrauchbar, weil Ihnen niemand darauf rausgeben kann, und zwar nicht, weil man Sie betrügen will, sondern einfach deshalb, weil niemand so viel Wechselgeld hat, und der Ungar hat erst gar kein Bargeld, nicht eine einzige Rupie, sondern nur seine VISA- und Master-Karten, was ihm, wie er sagt, einen Scheißdreck bringt, und dann lacht er betrunken und schüttelt den Kopf, Sie beide stehen hier inmitten von Bangalore, Indien, was wirklich keine Touristenstadt ist, und der Ungar inmitten dieser Dunkelheit und im Kaputten und Unwirtlichen sagt: Wir sind ja nur ein paar mehr blöde, idiotische Touristen, und dabei haben wir die ganze Welt bereist, aber das bringt uns grad einen Scheißdreck – womit er Ihnen sofort sympathisch ist.

Aber das alles passiert erst übermorgen. Denn jetzt, zwischen all den Teilnehmern der Konferenz hier auf dem Eröffnungs- und Kennenlernbankett, auf Ihrem Weg von der Bibliothek, treffen Sie ihn erst, er ist Professor an der Universität in Vancouver, Kanada, und Sie setzen sich zusammen an einen Tisch hier im Freien auf dem gesprengten Rasen in der Nacht. Sie genehmigen sich ein KINGFISHER. Und der Halbmond im indischen Himmel neigt sich zu Ihnen herab in einem Winkel, wie Sie das noch nie zuvor gesehen haben.

Und aus tausend weiteren Konferenzteilnehmern ist es ausgerechnet ein Pole, Doktor an der Universität von Seattle, der sich zu Ihnen gesellt. Der Ungar kommt aus Kanada, der Pole aus den USA und Sie aus Australien.

Das Gespräch, das Sie führen, wird also sofort, fast wie selbstverständlich – wir schreiben das Jahr 2009 – zum Postkommunismus- und Emigrantengespräch.

Bis sich eine gebürtige Kanadierin, Kollegin des Ungarn, dazusetzt, die genauso ist, wie Sie sich das wünschen, nämlich blass und teigig, und Sie, hilft ja nichts, haben vor Ihrer Abreise nach Indien schon eineinhalb Jahre nicht mehr gefickt, so dass Sie im Nu eine Erektion bekommen und automatisch an nichts anderes mehr denken als an unverbindlichen Sex, außerdem ist sie bereits beschwipst, diese Professorin von der Universität in Vancouver, und als sie feststellt, woher ihre 3 Tischnachbarn kommen, sagt sie, dass Mitteleuropa ja gar nicht existiert, und Sie drei, die in Mitteleuropa geboren wurden, dort gelebt haben und von dort emigriert sind, wissen, dass sie nichts weiß, sind aber nachsichtig und sagen: Das wissen wir, das musst du nicht weiter vertiefen; und die Kanadierin ist selbstbewusst und sagt: Es gibt ja nur Ost- und Westeuropa, und darauf Sie: Ja klar, genau wie alle Kolumbianer schwarz sind oder zumindest dunkelbraun, genau wie ich für meine Institutskollegen nur durchgeknallt bin und genau wie man in Bangalore, Indien nicht mit Tausendern zahlen kann, das alles ist genauso klar wie die Tatsache, dass Mitteleuropa nicht existiert, und nur mit allerletzter Kraft bremsen Sie sich, um die Kanadierin nicht als Kuh zu beschimpfen, und zwar in Ihrem Proll-Englisch, das Sie im Süden von Queensland gelernt haben, am Rand der Wüste und mittendrin, wohin die Sightseeing-Busse der Reisebüros, die ins unberührte Outback fahren, nie und nimmer gelangen, oder, sondern wovor diese Busse kehrtmachen, wohin jedoch Sie gefahren sind mit Ihrem Kumpel, dem Zwischenhändler für Opale und Diamanten, so als ob Sie dieses Proll-Englisch nur hierfür gelernt haben, für diese Kanadierin hier, die als gebürtige Kanadierin schon allein vor Ihrem Englisch zurückschreckt, und das machen Sie doch absichtlich, dieses Sprechen mit Proll-Akzent, was alles nur noch schlimmer macht, und jetzt sehen Sie, wie sie das anmacht, weil sie beschwipst ist, und Sie haben eine Erektion und würden gleich hier und jetzt mit ihr schlafen auf diesem weißen Plastiktisch, der zwischen Ihnen steht und auf den sie ihre Ellbogen stützt mit ihrem Kinn darauf und über den hinweg sie Sie anstarrt, und der Ungar, ihr Kollege, lacht los, und erneut stellen Sie fest, dass sich im indischen Himmel der Halbmond zu Ihnen herabneigt in einem Winkel, wie Sie das noch nie zuvor gesehen haben, in einem Winkel, der diesen Mond unübersehbar macht und fast aufdringlich, und dabei haben Sie die ganze Welt bereist, Junge, Junge, sagen Sie sich, und wiewohl Sie wissen, sich also absolut sicher sind, dass die Kollegin des Ungarn noch heute zusammen mit Ihnen auf Ihr Hotelzimmer gehen würde – Sie haben vor Ihrer Abreise nach Indien schon 2 Jahre nicht mehr gefickt, nein, nicht mal ansatzweise, und das ist jetzt keine absolute Zahl, sondern eine relative in Abhängigkeit von Ihrer momentanen Stimmung –, trotzdem also erheben Sie sich von diesem Tisch und gehen die andere suchen, diese indische Studentin von dem Foto vom halb verfallenen Einfahrtstor der Alliance Française in Bangalore, das eher wie die Einfahrt einer Mülldeponie oder Schutthalde gewirkt hat, denn nach dieser Studentin sehnen Sie sich und wollen Sie wiedersehen, und deshalb durchkämmen Sie jetzt den gesamten Campus, der übersät ist mit für das Konferenzteilnehmer-Bankett vorgesehenen weißen Plastiktischen und Plastikstühlen, die mit dem noch immer, selbst im Dunkeln noch gesprengten Rasen kontrastieren, aber nirgends finden Sie sie, und noch vor einer halben Stunde haben Sie sie allein in der Bibliothek stehen lassen, wohin Sie jetzt zurückkehren, um einen Blick hineinzuwerfen, denn die Wände sind ja von oben bis unten aus Glas, aber die Bibliothek ist leer, wie sollte es auch anders sein …?, fragen Sie sich, ich bin doch echt ein Idiot, sagen Sie sich, diese Frau, also meine Kollegin, diese himmelschreiend blöde Kuh, diese Ziege, sie hat ja Recht und sagt es mir immer wieder, dass das 1. Wort meines Sohnes nicht Papa gewesen ist, sondern Idiot; und Sie kehren zu Ihren neuen Bekannten zurück, und zwar durch ein Meer von weißen Plastiktischen und Plastikstühlen, und Sie sagen sich: Wenigstens ist hier alles weiß, umso besser kann ich sie finden, aber Sie finden sie nicht, und an Ihrem Tisch hat mittlerweile ein Schwede Platz genommen. Und der sagt, dass er das hier kitschig findet.

 

[…]

 

Seite 62/63

Und hier in Indien, auf dem Campus des Indian Institute of Science, wo auf einer fernen und dadurch winzig wirkenden Bühne traditionelle indische Tänze in grellbunten Farben, vor allem aber in glänzendem Gold und Rot aufgeführt werden, worüber sich vertraulich ein klarer, strahlend weißer Halbmond neigt, hier also bergen Sie Ihren Kopf in den Händen und fragen sich: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen der Direktorin meines Instituts, dem Dekan, diesem Johansson, dieser Kanadierin, den Kollegen und Angestellten von meinem Institut

einerseits und mir andererseits, wo ich mich doch gleich nach meiner Ankunft hier wie ein Rüpel benehme angesichts einer jungen Frau, die ich gerade erst kennengelernt habe und die mir nicht das Geringste getan hat, wo ich mich entwurzelt fühle und desorientiert und zutiefst unglücklich bin, und Luft kriege ich auch keine, und wo ich mich noch heute Morgen vor dem Telefonat mit meiner in Australien lebenden Ex-Frau gefragt habe, ob es denn das ist, wofür ich die ganze Welt bereist und 9 Jahre in Norwegen und Australien gelebt habe …? Und auch meine letzte Freundin, das Letzte was sie mir gesagt hat, war ja: Weißt du, das alles hilft dir auch nichts, und nicht mal, dass du schön bist und gebildet und gescheit und noch dazu um zehn Jahre jünger wirkst hilft dir irgendwie, denn mit dir reden, das geht nicht, und mit dir leben schon gar nicht …!

Sie bergen also Ihren Kopf in den Händen und schütteln ihn.

Was der Ungar bemerkt und worauf er fragt, ob alles in Ordnung sei …?

Nein, sagen Sie, und: Sorry, wir sehen uns später.

Und Sie erheben sich und gehen sie suchen zwischen den vielen nur wegen der Konferenz auf dem Campusrasen des Indian Institute of Science stehenden weißen Plastiktischen und Plastikstühlen, dies jedoch vergebens, doch dann fällt Ihnen ein, dass sie bestimmt einen dieser Autobusse nimmt, mit denen man auch Sie hergebracht hat, und schon laufen Sie zu den Bussen, um dort auf sie zu warten, und das Einzige, was Sie denken können, ist, dass es hier so viele, so unglaublich viele Busse gibt und dass Sie sie verfehlen könnten, und in dem Moment sehen Sie sie und legen einen Schritt zu, und sobald Sie sie erreicht haben, sagen Sie: Geh doch bitte morgen mit mir auf ein Bier; und sie sagt, dass ja, und: Wir treffen uns morgen um 6 vor deinem Hotel; und dann dreht sie sich um und geht grußlos davon.

 

[…]

 

Seite 140-147

Die Inder hofieren Sie mit Wassergläsern, aber Sie trinken nichts aus Angst vor einer Infektion – es ist Ihr 2. Tag in Indien –, nur um dann übermorgen auf dem Campus des Indian Institute of Science direkt aus dem Rasensprenger zu trinken, und zwar genau in dem Moment, in dem sie vorbeikommt, denn selbst das Rasensprengerwasser scheint Ihnen vertrauenswürdiger als das Wasser in Ihrem Hotel, im Gegensatz zu den Deutschen, die trinken und trinken, und Sie versuchen nicht mal, eine Unterhaltung mit ihnen anzufangen, und die Deutschen mit Ihnen auch nicht, und ansonsten ist keiner da; aber anders als die Deutschen überkommt mich, so sagen Sie sich, ständig dieses Gefühl vom hiesigen Unwirtlichen und Entwurzeltsein, und dabei habe ich die ganze Welt bereist, und dieses Gefühl ist allgegenwärtig und durchdringt alles ganz genau wie diese grauen, giftigen Verkehrsabgase, und im Restaurant direkt unterm Dach Ihres indischen Hotels ist Ihre einzige Sicherheit diese schneeweiße, reine Tischdecke, und wo Sie auch hinsehen, stehen Tische mit strahlend weißen, reinen Tischdecken, und Sie legen Ihre Hände auf Ihre Tischdecke, deren rauer Stoff Ihnen Ruhe und Kraft vermittelt genau wie die Zähne im Lächeln des indischen Oberkellners, und Sie merken, dass das alles nur wegen des Smogs so strahlend weiß ist, weil nämlich auch das Restaurant hier unterm Dach durchdrungen ist und erfüllt von grauen Verkehrsabgasen und vom Beklemmenden des da draußen herrschenden Unwirtlichen und Kaputten, das trotz des Glanzes der unzähligen an den Restaurantwänden hängenden Spiegel beklemmend ist, und trotz der Sonne da draußen, die strahlt und dabei dunkel ist.

Als man Ihnen Ihre Idli bringt, sagen Sie den Indern immerfort, dass das in Ordnung geht und dass sie nicht alle um Sie herumstehen müssen. Und weil sie nicht verschwinden, schnauzen Sie sie an.

Brüllen sie an: Was zum Teufel willst du von mir …? Schreien sie an: Was zum Teufel glotzt du denn so …?

Ihnen scheint, dass wenn alle hier um Sie herumstehen, man wohl irgendwas von Ihnen will.

Die Inder gehen.

Es ist Ihr 2. Tag in Indien.

Und Sie stellen fest, dass Sie keine Ahnung haben, wie man diese Idli isst. So wahnsinnig gern haben Sie diese Idli probieren wollen – bloß kein Toastbrot mit Süßrahmbutter und Marmelade aus Plastikschälchen und Haferflocken dazu, womit sich die Deutschen noch vor einer Weile, bevor sie gegangen sind, den Bauch vollgeschlagen haben –, und jetzt, wo hier auf dieser schneeweißen, reinen Tischdecke in Schüsselchen original indische Idli vor Ihnen stehen, würden Sie das Ganze am liebsten mit den Fingern essen, aber die Inder verfolgen jede einzelne Ihrer Bewegungen, wenn man Sie nur nicht immerfort so liebenswürdig übers ganze Gesicht anstrahlen würde, ständig müssen Sie daran denken, und Ihr Essen rühren Sie nicht an. Und dann, endlich, strecken Sie Ihre Hand aus und wollen schon, endlich, endlich, essen, lassen es aber bleiben. Wie Sie das hassen, hier beim Essen so beobachtet zu werden. Wieder kommt der Oberkellner herein, liebenswürdig übers ganze Gesicht strahlend, und tritt direkt an Ihren Tisch, baut sich vor Ihnen auf und lässt Sie nicht aus den Augen; Sie hassen ihn und lieben ihn zugleich, und nicht nur, dass Sie ihn nicht anschreien, nein, Sie sagen kein einziges Wort.

Und dann sagen Sie ihm, seine Idli seien das beste Frühstück, das Sie je hatten, aber noch immer, oder, haben Sie keinen einzigen Happen probiert. Und dann fragen Sie ihn, wie man diese Idli isst …? Und der Oberkellner strahlt Sie liebenswürdig übers ganze Gesicht an, umrundet Ihren Tisch, stellt sich schräg rechts hinter Sie und erklärt Ihnen dann Schritt für Schritt, wie man Idli isst. Sie bedanken sich.

Und nach dem Frühstück gibt es keinen Strom. Sie haben Ihren Laptop nur deshalb aus dem Zimmer ins Restaurant gebracht, weil Ihnen im Zimmer – dessen Fenster sich nicht öffnen lässt, oder eben hinausgeht auf die tapetengleich nur einen halben Meter entfernt aufragende Wand des halbverfallenen Nachbarhauses, die verdreckt ist und zugeschissen und schimmelt – weil Ihnen also in diesem Zimmer bei Tageslicht der Magen hochkommt und Sie sich vor lauter Schwindel nicht konzentrieren können, und im Restaurant suchen Sie nach einer Steckdose, finden aber keine und fragen den Oberkellner, der Ihnen sagt, dass nein, dass es im Restaurant keine Steckdosen gibt, aber Moment; und er ruft die Kellner herbei, die Sie noch vor einer halben Stunde so zusammengestaucht haben, und die hören keine Sekunde auf, Sie liebenswürdig übers ganze Gesicht anzustrahlen, und verlegen ein Verlängerungskabel bis zu Ihnen vom Dach des Nachbarhauses her, wo Arbeiter auf einer Baustelle beschäftigt sind und nun um ihr mit frischen Mörtelklümpchen gespicktes Verlängerungskabel gebracht werden, in dessen Stecker einer der Inder noch mit einem Schraubenzieher herumstochert, und Sie kreischen los: Mensch, lass das doch sein, das bringt dich doch um, das steht ja unter Strom von den Arbeitern von nebenan!, worauf der Inder schlicht sagt: Karma … Und Sie packen ihn am Arm und tun alles, damit er nicht weiter mit diesem Schraubenzieher im unter Strom stehenden Stecker rumstochert. Und der Lärm von der Baustelle auf dem Dach des Nachbarhauses erstirbt wie auf einen Schlag, denn der Strom ist weg. Den haben jetzt Sie. Und mehr Strom gibt es nicht. Und auch in der Küche geht gar nichts mehr, aber Sie können jetzt arbeiten.

Und die Inder verfolgen jede einzelne Ihrer Bewegungen, die Sie an Ihrem Laptop vollziehen; Sie würden sie am liebsten umbringen, aber nein, Sie sagen kein Wort.

Es ist Ihr 2. Tag in Indien.

An Ihrem 3., 4., 5. Tag in Indien essen Sie zum Frühstück Rava Dosa, Uthappam und Paratha, serviert vom Oberkellner, der Sie beim Essen nicht aus den Augen lässt.

An Ihrem 3. Tag erzählt der Oberkellner Ihnen, dass er sich eine Armbanduhr wünscht und ein Laptop: Genauso eins, wie das, auf dem Sie gestern hier bei ihm gearbeitet haben, also hier im Restaurant.

An Ihrem 4. Tag erzählt er Ihnen, dass seine Familie nicht in Bangalore lebt, sondern anderswo.

An Ihrem 5. Tag fragt er Sie, wie viel er wohl verdienen würde in einem Restaurant in Ihrem Land?

Sie schätzen, dass etwa 25.000 Tschechische Kronen plus Trinkgeld plus Geklautes, also mindestens 1.000 Euro, was umgerechnet mindestens 80.000 Rupien sind.

Und er erzählt Ihnen, liebenswürdig übers ganze Gesicht strahlend: Mein Traum ist, bevor ich sterbe, einmal dorthin zu fahren.

Wohin?

Nach Europa.

Und wird er dort von irgendwem erwartet?

Nein.

Dort erwartet ihn also keiner, sagen Sie. Und weiter: In Europa gibt es 16 Millionen Menschen, die exakt das beherrschen, was auch er beherrscht. Woher will er denn überhaupt das Geld für die Reise nehmen, und für wen dort arbeiten und wo dort wohnen und was dort essen, in Europa gibt es übrigens auch Eis und Schnee, ihm hier in Bangalore, Indien gänzlich unbekannt, dort würde er ja erfrieren, und als Sie diesem einen Angestellten seines Hotels Ihre Handschuhe, Mütze und Schal gezeigt haben, hat er vor Schreck Reißaus genommen, aber der Oberkellner könnte in Europa nicht mal Reißaus nehmen, wohin denn auch, er würde ja nicht mal genug Geld für die Heimreise verdienen.

Aber Sie selbst, sagt der Oberkellner darauf und strahlt Sie übers ganze Gesicht an, haben doch gestern erzählt, dass Sie in Norwegen gelebt haben und in Australien auch …?

Mich, sagen Sie, hat man dort erwartet und gewollt, weil man mich gebraucht hat. Und um dort gebraucht zu werden, habe ich mein ganzes Leben lang studiert.

An Ihrem 6. Tag in Bangalore, Indien, nehmen Sie den Oberkellner kaum wahr.

Sie sehen aus dem Fenster des Restaurants, das Fenster Ihres Zimmers befindet sich ein Stockwerk darunter, und von Ihrem Restauranttisch aus sehen Sie das Dach, auf dem Sie vergangene Nacht mit ihr geschlafen haben, und umgeben von 16.000.000 Einwohnern von Bangalore hat sie aufgeschrien, und dabei hat sie nicht mal auf ein Bier mit Ihnen gehen dürfen, und Sie halten das nicht länger aus, stehen auf, lehnen sich aus dem Fenster und betrachten die Stelle auf dieser himmelblauen Plastikfolie – Sie können, nein, können sich einfach nicht helfen –, wo sie vergangene Nacht auf dem Rücken lag, und wenn Sie aus diesem Restaurantfenster raus- und dort rüberklettern würden, könnten Sie an diesem glänzenden Plastik noch ihre Wärme spüren, ihren Duft, und der aufmerksame indische Oberkellner lässt Sie keine Sekunde aus den Augen, wobei er übers ganze Gesicht strahlt und dann sagt, dass Ihre Idli, Ihr Rava Dosa, Ihr Uthappam, Ihr Paratha oder sonst was kalt wird, mein Herr.

Sie lächeln ihn an, bringen aber keinen Bissen hinunter, sondern brechen lieber zu Ihrer Konferenz auf, weil Sie wissen, dass Sie sie dort wiedersehen.

 

Aber Sie sehen sie nicht, und als Sie sie suchen, können Sie sie nicht finden. Zunächst durchkämmen Sie das Konferenzzentrum, das offen ist und luftig und aus offenem und geschlossenem Beton besteht, der bereits als neuer Beton alt gewirkt haben muss, und der vom Heruntergekommenen und alten Dreck so nahtlos überzogen ist, als wäre das Heruntergekommene und der alte Dreck schon beim Bau beigemischt worden, und Sie landen auf dem Dach des Konferenzzentrums, das blendend weiß ist in dieser Mittagssonne, und wie ein Labyrinth unterteilt und übersät mit Klimaanlagen-Aggregaten und Ableitungen, Antennen und anderen Aufbauten, und im Schatten einer Mauer sitzen die indischen Mitarbeiter des Konferenzzentrums, die sich in der Mittagshitze hier oben vor der Arbeit drücken, die sie im Schatten unten nur vortäuschen würden, und Sie, der Verzweiflung nahe, erkundigen sich bei ihnen, ob sie sie nicht gesehen haben, und sie sagen, dass nein. Nein. Von der blendend weißen Mittagssonne schmerzen Ihnen die Augen, Sie nehmen nur noch wahr, dass die indischen Mitarbeiter des Konferenzzentrums nicht nur bloß nein sagen und mitnichten: Nein, mein Herr, sondern dass sie dabei noch nicht mal lächeln so wie die indischen Hotelangestellten oder die indischen Tuk-Tuk-Fahrer oder wie die Einwohner des (von Ihnen dafür gehaltenen) Slums.

Bis zum Abend halten Sie durch und besuchen sämtliche Vorträge nicht deshalb, weil sie Sie interessieren würden, sondern um sie wiederzusehen. Jetzt erst wird Ihnen klar, dass Sie noch nicht einmal ihren Namen kennen, und Sie sagen sich: verfluchter unverbindlicher Sex. Mit unverbindlichem Konferenz-Sex haben Sie schon so Ihre Erfahrungen gemacht, aber nun fragen Sie sich – und möchten sich selbst zum Teufel jagen – was Ihnen das jetzt bringt, dass Sie jedes Detail ihres Körpers kennen.

Im Kommunikationszentrum der Konferenz durchsuchen Sie sämtliche Verzeichnisse, aber wozu eigentlich …? Sie haben keine Ahnung, wonach Sie suchen sollen.

Sie haben sie noch nicht mal in Begleitung irgendwelcher Kollegen gesehen, so dass Sie sich nicht mal bei denen erkundigen könnten.

Schließlich enden Sie orientierungslos im Garten des Konferenzzentrums, der mit abgenutztem Backstein gepflastert ist, verdreckt und zubetoniert.

 

Abends nehmen Sie eine Essenseinladung nur deshalb an, um Ihre Verwirrung und Traurigkeit darüber zu verdrängen, dass Sie sie den ganzen Tag über bei keinem einzigen der Vorträge gesehen haben, und nicht mal beim Mittagessen oder in einer der Kaffeepausen; sie scheint wie vom Erdboden verschluckt.

Und dabei haben Sie vor sechs Tagen, als Sie sie fotografiert haben vor dem Einfahrtstor der Alliance Française in Bangalore, Indien, von allen 16.000.000 Einwohnern von Bangalore, Indien, ausgerechnet sie gesehen.

Die Konferenz hat 1.234 Teilnehmer.

Und Ihr Heimatland, die Tschechische Republik, 10.000.000 Einwohner.

Mit dem Ungarn und dem Polen und deren Universitätskollegen fahren Sie in zwei Taxis zum Abendessen, doch der Fahrer Ihres Taxis vergisst die Adresse des Restaurants, was er Ihnen aber verschweigt, wobei er übers ganze Gesicht strahlt und weiter das Wahnsinns-Chaos des 16 Millionen Einwohner zählenden Bangalore absucht, bis der Ungar ihn fragt, was er da eigentlich treibt …?, worauf er keine Antwort weiß, sondern lediglich übers ganze Gesicht strahlt, und nach einer geschlagenen Stunde im Taxi dämmert Ihnen, dass dieser Taxifahrer blindlings Bangalore absucht, um …? Um was eigentlich …? Ihnen wird klar, dass dieser Taxifahrer, wiewohl man in Bangalore, Indien, doch kein Restaurant einfach nur aufgrund des Namens suchen kann, er genau das tut, wobei er übers ganze Gesicht strahlt, und der Ungar brüllt los: Du dämlicher Vollidiot!, und der Taxifahrer strahlt übers ganze Gesicht und funkt seine Zentrale an, die aber nicht antwortet, und der Ungar brüllt: Warum, Du pechschwarzer Vollidiot, funkst Du jetzt deine Zentrale an …?, und während sich der Pole und sein Professor geschlagen geben und in ihr Hotel zurückfahren lassen wollen, steigen Sie und der Ungar aus, hier um Mitternacht im Hotelviertel von Bangalore, wo der Taxifahrer Sie dann, übers ganze Gesicht strahlend, einfach stehen lässt und davonfährt, und dort betreten Sie das erstbeste Hotelrestaurant, wo Ihnen dämmert, dass das jetzt absoluter Blödsinn ist. Und endlich denken Sie daran, dass Sie morgen zum Abendessen mit ihr verabredet sind, und dass sie heute nicht zur Konferenz erschienen ist, also das, na, das ist eben so, wie es ist, und hat überhaupt nichts zu bedeuten, das hätten ja auch Sie sein können, der heute nicht erscheint, und da ist überhaupt nichts dabei.

Ihr Grauen davor, in irgendeiner Straße des 16.000.000-Bangalore, irgendwo in diesem Labyrinth und Chaos in der Nähe oder weiter entfernt vom Konferenz-Campus zusammen mit Ihnen gesehen zu werden, dieses Grauen also hat Sie erschreckt, Sie können es nicht einschätzen, und erst jetzt wird Ihnen klar, dass Sie ihre Universität doch kennen, dass sie Ihnen doch gesagt hat, dass sie gleich nebenan arbeitet an der vom Nobelpreisträger für Biologie Sinzaruhraanem gegründeten Fakultät, und bei diesem Gedanken stoßen Sie einen Freudenschrei aus, und der Ungar fragt, was los ist, und Sie erzählen es ihm.

Mensch, Alter, darauf der Ungar, Professor an der Universität in Vancouver, morgen siehst du sie also wieder, und Ihnen scheint, das Verdreckte und Kaputte und Unwirtliche an Bangalore habe etwas nachgelassen trotz der Tatsache, dass Sie hier im Restaurant eines Hotels europäischen Typs sitzen, das wie jedes andere Restaurant auch ist, und wie das Restaurant Ihres eigenen Hotels hier in Bangalore, Indien, nämlich geschmacklos überladen mit Spiegeln und falschem Glanz, strahlend weißen Tischdecken und etwas zu silbernem Besteck, was Sie dem Ungarn auch sagen, worauf der Ungar Sie fragt, ob Sie hier schon eine einzige ganz gewöhnliche Kneipe entdeckt hätten …? Nein, sagen Sie und trinken Ihr Bier.

Die Nacht kann Sie nicht mehr schrecken, Sie stehen hier inmitten von Bangalore, Indien, sturzbetrunken, der Ungar ohne jedes Bargeld, und Sie müssen für ihn mitzahlen, da man weder seine noch Ihre VISA-Karte akzeptiert, und Sie wedeln mit Ihren 5 Tausendern herum und haben keine Ahnung, wie Sie damit zahlen sollen, und Sie müssen lachen, und der Ungar lacht aus vollem Herzen und sagt: Wir sind ja nur ein paar mehr blöde, idiotische weiße Touristen, und dann gehen Sie zu den erstbesten Tuk-Tuks, die dort stehen, und beginnen eine Unterhaltung mit den dort sitzenden Fahrern, und weil Sie bereits wissen, dass Sie weder für das 2-fache noch für das 3-Fache, nicht mal für das 10-fache des normalen Fahrpreises um 2 Uhr früh von hier wegkommen, deshalb also plaudern Sie einfach drauflos. Sie wissen, solange die Fahrer hier beisammen sind, werden sie ablehnend reagieren, aber sobald einer mit Ihnen in seinem Tuk-Tuk allein ist, wird er Ihnen aber auch alles anvertrauen, und das endet regelmäßig in einem Wahnsinnstrip durch Bangalore, bei dem es Ihnen gefühlt schlicht ums Leben geht, und dabei leben Sie einfach weiter, während die Fahrer Ihnen, sie können nicht anders, immer wieder dieselbe Frage stellen, nämlich wie viel sie in Europa verdienen würden, und Sie wissen, dass sie gleich darauf sagen werden, dass sie dort hinwollen, nämlich nach Europa, dass das ihr Traum sei, einmal bevor sie sterben, dorthin zu fahren.

Und Sie, Sie werden dorthin gefahren, wohin Sie wollen.

 

[…]

 

Seite 154/155 (Ende)

Wissenschaftlichen Untersuchungen des globalen Glücks zufolge sind Menschen ausgerechnet hier, in Bangalore, Indien, wo sie rein gar nichts haben, am allerglücklichsten, aber Sie wissen bereits, denn vorgestern Abend hat sie Ihnen das erzählt, dass die Kausalität hier versagt und dass die hiesigen Menschen nicht deshalb glücklich sind, weil sie rein gar nichts haben, sondern weil ihnen nichts anderes übrigbleibt.

Sie klettern vom Dach, verlassen Ihr Hotel und betreten ein Restaurant, das Sie am Morgen entdeckt haben, ein Restaurant europäischen Typs, mit Bar – Bangalore ist wirklich keine Touristenstadt –, setzen sich an diese Bar und bestellen sich hier in Bangalore, Indien, ein Bier.

Der Inder hinter der Bar gehört allerdings nicht zu diesem Bier, zu dieser Bar, zu diesen Gläsern, zu all dem, was nicht zu Indien gehört, weil es hierher exportiert worden ist und den Indern aufgezwungen wurde und sie an sich kettet, weil es so einfach ist und sicher und schnell verbraucht, genau wie auch der Autobusfahrer nicht zu seinem Bus gehört und der Taxifahrer, den der Ungar angebrüllt hat mit: Wo fährst du eigentlich hin, du schwarzer Vollidiot!?, nicht zu seinem Taxi.

Sie jedoch haben hier niemanden zum Anbrüllen, und deshalb, so wird Ihnen klar, brüllen Sie im Geiste wenigstens sich selber an.

Sie halten es nicht länger aus, warten nicht mal mehr auf Ihr Bier, sondern zahlen, kehren in Ihr Hotel zurück und zahlen auch dort, und wiewohl Ihr Rückflug erst morgen geht, nehmen Sie ein Taxi zum Flughafen, wo Sie Ihre letzte Nacht verbringen vor Ihrem Rückflug nach Europa.

Aber noch davor, noch als Sie im Hotel auf Ihre Rechnung warten, und wiewohl Sie von jetzt auf gleich entschieden haben und nun völlig überstürzt abreisen, trotzdem also stehen dort: der Portier, der Ihnen vor drei Tagen die Tür geöffnet hat, als Sie zusammen mit ihr ins Hotel zurückgekehrt sind; der Rezeptionist mit seinem kantigen Gesicht, der Sie gegrüßt hat, als Sie ihn zusammen mit ihr passiert haben; der Liftboy, der Ihnen den Aufzug gerufen hat, mit dem Sie nicht hatten fahren wollen, um zusammen mit ihr die Treppe zu nehmen; und schließlich der Oberkellner, der Ihnen beigebracht hat zu essen; all diese Männer stehen jetzt also dort am Treppenaufgang des Hotels – einige von ihnen nicht in Hoteluniform, sondern in Freizeitkleidung direkt von daheim –, alle sind herbeigeeilt, um Ihnen die Hand zu geben, was Sie ihnen nicht abschlagen können, und alle strahlen übers ganze Gesicht, genau so, wie sie Ihnen das vorausgesagt hat.

 

aus dem Tschechischen von Doris Kouba