Es ist dunkel.

Es ist still.

Man hört Wasser tropfen.

Kichernde Frauen irgendwo in der Ferne.

Dann ist es wieder still.

Immer noch dunkel.

Das Wasser tropft.

Und auf einmal flammt grelles Licht auf. Wir sind total geblendet. Eine Weile sehen wir gar nichts. Dann erscheint unsere Sauna. Sie ist alt und schäbig und geht schon ein bisschen aus dem Leim. Sie ist schließlich in den 1970er Jahren gebaut worden. Ebenfalls aus jener Zeit stammt auch ihre schlichte Einrichtung. Es gibt einen Schwitzraum, Duschen, ein Tauchbecken im Freien und einen Ruheraum mit Liegestühlen.

Wir sehen die Saunawärterin reinemachen. Dann geht sie.

 

HERBST

 

Da sitzen wir wieder in unserer Sauna im Böhmischen Paradies und bringen Körper und Seelen zum Schwitzen. Draußen ist Herbst.

Und unser Fast-Rentner, der schon sein ganzes Leben lang in einer Weihnachtsdekofabrik arbeitet, öffnet die Schwitzraumtür und setzt sich auf eine Bank.

Und unser Lehrer, dem letztes Jahr bei einem Autounfall die Frau gestorben ist, öffnet auch die Schwitzraumtür und setzt sich auf eine Bank.

Sie sitzen ganz still da und schwitzen.

Und unser Taxifahrer öffnet die Schwitzraumtür, schaut sich um, setzt sich auf eine Bank und sagt:

– Wie im Puff.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Hm, fehlen bloß die Nutten.

Und unser Taxifahrer setzt sich auf den wärmsten Platz direkt gegenüber dem Ofen, wo er immer sitzt und wo ihm keiner in die Quere kommen darf, schaut die beiden an und sagt:

– Wieso? Zwei Nutten seh ich.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Und ich seh die dritte.

– Eh, lass das, klar?

– Du hast angefangen.

– Na ja, haste eigentlich recht. Eine Nutte wie die andere, oder? Hauptsache wir bleiben uns treu.

– Tja, was bleibt uns auch anderes übrig, oder?

Und alle lachen und schwitzen weiter.

– Hauptsache, du hast geduscht.

– Was du dauernd mit deiner Hygiene hast, du bist wie meine Alte.

– Komm, ich kenn dich doch, wissen eh alle, dass du ’n Ferkel bist. Die Sauna, das ist ein Heiligtum, da geht man frisch gewaschen rein.

Und unser Feuerwehrmann, der Menschenleben rettet, reißt die Schwitzraumtür auf, schwingt sich nach ganz oben, direkt zum Thermometer, wo er immer sitzt, schaut auf die Skala und sagt:

– Sechsundneunzig. Ei-ei-ei, immer gebt’s uns. Wird das wieder ein geiles Gemetzel. Servus, Männer!

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Hast du geduscht?

– Ja, ja … Klar doch.

– Das will ich mal hoffen. Bei dir wissen auch alle, dass du ’n Ferkel bist. Wer nicht frisch gewaschen ist, hat in der Sauna nichts zu suchen.

– Klar, Sheriff.

Und unser Taxifahrer sagt:

– Du, was warn das für ’n Unfall, heute im Dorf?

Und unser Feuerwehrmann, der Leben rettet, sagt:

– Weiß nicht. Find ich raus. Ich hatte frei.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Angeblich ’n Octavia.

Und unser Taxifahrer sagt:

– ’n Fabia war das.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Selber Fabia, ’n Octavia war das.

– Aber die haben gesagt, ’n Fabia!

– ’n Octavia war das, garantiert, Mensch.

– Ich glaub, ’n Fabia. Blau metallic scheinbar.

– Blau ja. Aber es war ’n Octavia.

– ’n Fabia.

– Ein Octavia war’s, Kruzitürken.

– ’n Fabia.

– Quark, ’n Octavia war das. Frontalzusammenstoß mit ’m Laster, tödlich!

– Ich glaub, das war ’n Fabia.

– Mit dir hat man’s schwer. Bist du dort gewesen?

– Nö.

– Siehste.

– Und bist du etwa dort gewesen?

– Bin ich nicht.

– Na siehste.

– Aber die haben mir gesagt, dass das ’n Octavia war.

– Und wer soll das gesagt haben?

– Einer, der dort vorbeigefahren ist, hat mir’s gesagt.

– Mir hat ein anderer gesagt, das war ’n Fabia, verkeilt in den Laster.

– Du lieber Gott, ist das mühsam mit dir. Was streitest du dich dauernd?

– Du streitest.

– Also hör mal, weißt du nicht, was das für ’n Auto war, du bist schließlich bei der Feuerwehr, du musst das doch wissen.

Und unser Feuerwehrmann sagt:

– Ich sag doch: Ich weiß es nicht. Ich find’s raus. Ich hatte frei. Hab Holz gemacht für den Winter.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Sind die denn sicher, so Fabias und Octavias?

Und unser Feuerwehrmann sagt:

– Sicher … Schwer zu sagen. Ich weiß, wenn ich zu einem Frontalzusammenstoß komme und seh die Beine sich noch bewegen, dann isses ein gutes Auto. Oder derjenige hat Schwein gehabt. Und wenn sich die Beine nicht mehr bewegen, dann weiß ich, das ist kein gutes Auto. Oder derjenige hat kein Schwein gehabt.

Und unser Lehrer, dem letztes Jahr die Frau bei einem Unfall gestorben ist, sagt:

– Furchtbar, wie die Leute heute fahren.

Und unser Taxifahrer, der früher eine Fahrschule hatte, sieht ihn an und sagt:

– Mich brauchste nicht angucken, ich kann nix dafür, dass die Leute fahren wie die letzten Rindviecher.

Und unser Lehrer, dem letztes Jahr die Frau gestorben ist, sieht ihn an, nickt und sagt gar nichts.

Und unser Taxifahrer sieht ihn noch mal an und sagt:

– Sorry. Weiß ich doch. Deine Frau, das war echt ’ne klasse Frau.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Wohl wahr. Wir haben alle geheult wegen ihr.

Und unser Lehrer, dem letztes Jahr die Frau gestorben ist, sieht ihn an und sagt gar nichts.

Und unser Taxifahrer sagt:

– Der Hälfte der Menschheit würde ich Autofahren verbieten, die Leute fahren wie die letzten Rindviecher.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Weil die Leute Rindviecher sind. Zum Beispiel die Kriege. Die ganzen Krisen. Wenn die Leute nicht solche Rindviecher wären, dann wär alles auf der Welt wunderbar. Alles wär im Einklang, verstehst du? In Poesie. Verstehst du?

– Verstehe. Aber irgendwie nur so halb.

– Is ja Wurscht. Wenn du Bücher lesen würdest, würdest du’s verstehen.

– Aber eine Welt ohne Menschen, weißte, das geht ja auch nicht.

– Aber eine Welt ohne Rindviecher wäre besser.

– Auch wieder wahr. Zum Beispiel ohne dich, ohne dein dummes Gerede andauernd. Dass du nicht irgendwo Philosophie studieren gegangen bist, Mensch.

– Die Kommunisten haben mich nicht gelassen. Deswegen mach ich Weihnachtsdeko, allerdings exportieren wir die in die ganze Welt, also. Ist ja eh alles wurscht jetzt.

– Tja ja, die Kommunisten, damit reden sich andauernd alle raus.

– Du brauchst dich jedenfalls nicht rausreden, oder, bist ja selber Kommunist gewesen.

– Aber weil ich musste.

– Klar.

– Kann nicht jeder Dissident sein, nä, Außerdem ist das jetzt wieder Mode, dass man Kommunist ist und nicht Dissident.

– Die Mode kannst du dir sonstwohin stecken! Und überhaupt, du bist es, der hier dauernd dummes Zeug redet, nicht ich. Ich denk nach. Am meisten über mich selber.

– Du, nix für ungut, mein Freund. Wir sind doch alle irgendwie Rindviecher.

 

Und dann herrscht eine Weile Ruhe, unser Schweiß tropft und im Ofen knackt es.

Und unser Feuerwehrmann stellt sich hin, schaut aufs Thermometer und sagt:

– Siebenundneunzig. Wird das wieder ein geiles Gemetzel. Ei-ei-ei! Immer gebt’s uns.

Und auf einmal geht die Tür auf und wir sind in der Sauna alle zusammen. Es kommt unser Versicherungsmakler.

Und unser Ex-Landesmeister im Tischtennis.

Und unser Hundefutterlieferant.

Und unser Facharzt für Frauenleiden.

Und der Allerjüngste von uns allen.

Und unser Autohändler.

Und unser Datendaddler aus dem Office.

Und zum Schluss unser Blinder. Und unser Doktor reicht ihm die Hand und führt ihn zu seinem Platz. Alle haben wir hier unseren festen Platz.

Nur in die Ecke gegenüber dem Ofen will sich niemand hinsetzen, dort wird gestorben.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Meine Frau liebt mich, nicht dass ihr denkt. Mir gefällt vor allem, dass sie so schweigsam ist. Ich hatte so ein Schwein, wir haben uns alles Wichtige schon im ersten Jahr gesagt, das wir zusammen verbracht haben. Jetzt müssen wir uns überhaupt nichts mehr erzählen. Sie kommt nach Hause, schließt sich im Wohnzimmer ein, stellt um sich rum Kerzen auf, zündet sie an und macht die Augen zu. Und ich schalt mir in der Küche den Fernseher an. Oder les was. Andere streiten sich, brüllen sich an, aber wir sind einfach nur schön still. Und dann gibt’s immer was Gutes zu essen. Wie sie kocht, das ist auch nicht übel.

Und unser Blinder, der als Klavierstimmer arbeitet, sagt:

– Meine Frau will sich andauernd unterhalten.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Hör mal, dann such doch jemanden für sie. Irgend ’ne Trulla zum Reden, damit du deine Ruhe hast.

– Aber ich rede doch gerne mit ihr.

– Ach so? Und über was?

– Na, wie’s war, was sie gemacht hat, was sie gelesen hat, was sie gesehen hat, was sie erlebt hat.

– Was sie erlebt hat, echt?

– Na ja, und was mit den Kindern ist und so.

– Hör mal, ich unterhalt mich auch gern. Aber mit Kerlen. Hier in der Sauna. Mit meiner Frau hab ich mir längst alles gesagt. Ein Jahr hat dazu gereicht. Wir schweigen uns jetzt so wunderbar an, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen, wie schön wir’s haben.

Und der Allerjüngste von uns, der erst am Anfang der Reise seiner kleinen Peitsche steht und an seinem Schwanz die ersten Narben sammelt und in einer Autofabrik arbeitet, sagt:

– Ich hab jetzt eine Ältere, die wird bald dreißig. Geschieden, frei, entspannt. Früh mach ich bei ihr im Bad den Wandschrank auf und seh in einem Glas einen Haufen Zahnbürsten. Ich sag mir, super, die putzt sich gern die Zähne, ist immerhin gesund, hygienisch, ich putz mir ja auch die Zähne, ich bin auch hygienisch. Bloß die dort sind von ihren Typen, mit denen sie was hatte, die bei ihr gewohnt haben, die bei ihr geschlafen haben. Sie hebt sich die Zahnbürsten von denen zur Erinnerung auf, als eine Art Trophäen.

Und der Facharzt für Frauenleiden bei uns in der Stadt, der von uns der Älteste, Erfahrenste und Ruhigste ist, sagt:

– Solche Fälle gibt’s.

– Aber das ist doch auch irgendwie abgefahren, oder? Das ist doch nicht normal, oder? Das ist doch unhygienisch, oder nicht?

– Macht sie’s denn mit Leidenschaft?

– Ja.

– Das ist die Hauptsache. Sobald keine Leidenschaft dabei ist, stimmt was nicht. Egal, ob es um Sex geht oder um Zahnbürsten. Und ob das hygienisch ist oder nicht, das spielt keine große Rolle. Sex ist seinem Wesen nach nämlich nicht besonders hygienisch. Das geht auch gar nicht, die Säfte, das ist die Natur. Und die Natur ist Dreck. Aber Dreck ist gesund, das sag ich euch als Arzt.

Und unser Taxifahrer dreht sich zu unserem Fast-Rentner um und sagt:

– Na siehste, und du nervst uns hier dauernd mit deiner Hygiene.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Allerdings ist Dreck nicht gleich Dreck, so. Am Eingang zur Sauna steht ganz klar, dass du duschen sollst, bevor du hier reinkommst.

Und unser Allerjüngster sagt:

– Genau, in der Sauna sind wir alle hygienisch.

Und unser Taxifahrer dreht sich zu unserem Lehrer um, dem die Frau gestorben ist, und sagt:

– Du, ich hab allen beigebracht, wie man richtig fährt, ich hab ihnen Rücksichtnahme dermaßen beigebracht, dass ich alles hingeschmissen hab und mit Taxifahren anfangen musste, sonst wär ich vor lauter Rücksichtnahme Beibringen durchgedreht, ich kann nix dafür, dass die Leute verrückt spielen und am Lenkrad so tun, als ob sie in Monte Carlo sind, egal ob Weiber oder Kerle, dass sie sich gegenseitig totfahren, ich kann nix dafür, dass die Leute solche Rindviecher sind.

Und unser Lehrer, dem letztes Jahr die Frau gestorben ist, steht auf und geht sich abkühlen. Und noch ein paar von uns gehen mit.

Und unser Fast-Rentner schwitzt noch weiter und sieht unserem Lehrer hinterher, dem die Frau gestorben ist, und sagt:

– Dem seine Frau, die war echt wunderschön. Ich hab Bedenken, dass er das nicht packt, dass er sich noch ’n Strick nimmt.

Und unser Taxifahrer schwitzt auch noch weiter und sagt:

– Und warum soll er sich ’n Strick nehmen?

– Hm, meiner Meinung nach nimmt er sich ’n Strick.

– Der packt das, auf jeden wartet noch ’ne süße Schnecke, die ihn auf ihrem Karussell mitfahren lässt.

– Auf ’m Karussell?

– Na fick-fick, bums-bums, Nippel lecken, Werkzeug stecken, immer im Kreis rum, wie bei ’m Karussell, nä? Musst nur aufpassen, dass du nicht abrutschst und dass es plötzlich ein Balg mehr gibt.

– Ach so. Nee-nee, ich glaub, dass er sich demnächst ’n Strick nimmt. Das is ’n sensibler, gebildeter Mensch. Nicht so ’n Rindvieh wie wir. Der ist Lehrer.

– Ach hör doch auf. Was soll er sich denn ’n Strick nehmen.

– Die Frau von ihm, die war echt wunderschön.

– Hm, stimmt.

– Wie sie immer rumgelaufen ist, weißt du, das war hübsch. Die Hüften waren super. Nicht besonders groß, eher ein bisschen zu klein. Aber schön rund.

– Groß sind sie gewesen.

– Eben nicht. Klein sind sie gewesen. Genau wie die Brüste, die haben genau in die Hand gepasst.

– Die Hüften von ihr sind groß gewesen.

– Ach Quatsch. Klein waren die. Streit doch nicht dauernd.

– Du streitest. Und woher weißt du das überhaupt, das mit den Brüsten.

– Äh… Ich war ein bisschen mit ihr befreundet.

– Ach so?

– Früher, mein ich natürlich, lange her.

– Echt? Und, war’s gut?

– Hm. Aber sag ihm das nicht.

 

Und unser Autohändler, der gerne zum Fischen durch die Welt fährt, liegt im Ruheraum und atmet tief durch.

Und neben ihm liegt auf einem Liegestuhl unser Makler, der Versicherungen für Häuser, Leben und Autos verkauft, und sagt:

– Und, wie war’s am Meer?

Und unser Autohändler sagt:

– Schön.

– Zwei Wochen, ja?

– Hm.

– War’s warm?

– Hm, das liegt im Süden. Das war super, mal rauszukommen, so außerhalb der Saison.

– Hättet ihr nicht einen Monat bleiben sollen?

– Ursprünglich schon.

– Nach zwei Wochen hat’s dir wohl mit deiner Kommandantin gereicht, hm?

– Ach wo, das war großartig. Ein Monat wäre zu viel gewesen.

– Und was siehst du jetzt, wenn du deine Augen zumachst?

– Wie jetzt?

– Na wenn du die Augen zumachst, was du dann siehst?

– Was schon, gar nix.

– Gar nix?

– Gar nix. Ach so … Na, das Meer seh ich. Und Fische.

– Du siehst nach zwei Wochen mit deiner Kommandantin am Meer das Meer?

– Hm.

– Da sollteste aber andere Sachen sehen, oder, nach zwei Wochen rumlungern am Meer mit ’ner Frau. Und was sagt deine Kommandantin dazu?

– Ach so … Na klar, war super mit ihr.

– Ach komm, das kannste jetzt nicht wieder gerade rücken, da kannste dich nicht rausreden, das ist eine Testfrage, was du siehst, wenn du die Augen zumachst, daran erkennt man, wie’s war und wie’s so um euch steht. Das kannste nicht wieder zurechtbiegen mit dem Meer. Hauptsache, deiner Kommandantin macht das nix aus und ihr hat’s dort gefallen.

– Denk schon.

– Das ist nämlich am wichtigsten. Es ist nicht wichtig, ob dir das gefällt, es ist immer wichtig, wie’s der Kommandantin gefällt. Aber das Allerwichtigste ist, dass man die ganze Zeit elastisch bleibt.

– Was?

– Druckausgleich sozusagen. Eben elastisch bleiben.

– Ach so.

– Ich bin elastisch wie bekloppt.

– Ja?

– Ja. Anders geht’s nicht. Du musst immer elastisch bleiben. Aber mit dem Meer, dass du nach zwei Wochen am Meer mit deiner Kommandantin mit zuen Augen das Meer gesehen hast, das kannste nicht mehr zurückdrehen, mein Freund. Das haste vergeigt. Jetzt weißte, woran du bist.

 

Kurz danach stellt sich unser Feuerwehrmann im Schwitzraum hin, schaut aufs Thermometer und sagt:

– Glatte hundert. Ei-ei-ei, so soll’s sein. Bloß kein Mitleid mit uns.

Und unser Blinder sagt:

– Ein Freund von mir, Klavierstimmer und Musiker, so wie ich, der auch blind ist, also der schläft wahnsinnig gerne. Er sagt, nur, wenn er schläft, kann er was sehen. Er kann im Traum sehen.

Und unser Taxifahrer sagt:

– Ich hatte in der Fahrschule mal einen Vietnamesen, schon bisschen älter, der Typ, der hat damals in ihrem Krieg da gekämpft, und immer, wenn’s geknallt hat, und da hat so ’n kleiner Pups völlig gereicht, wenn irgendwo was umgefallen ist, eine Flasche auf dem Rücksitz, dann hat er sich sofort unterm Lenker verkrochen, von wegen Luftangriff auf Hanoi, wir hatten deswegen auch gleich ’n Unfall, er ist voll in die Klötzer gestiegen, von wegen Luftangriff, und der hinter uns ist voll in uns reingerauscht.

Und unser Fast-Rentner sagt:

– Meine Frau liebt mich, nicht dass ihr denkt. Auch wenn wir so schön schweigen. Zum Fünfzigsten hat sie mir ’n Grab geschenkt. Schöner Platz, auf ’m neuen Friedhof, zweite Reihe, in der Sonne. Dort werd ich’s schön haben, wenn ich nicht mehr bin.

– Am Ende musst ich den Vietnamesen rausschmeißen, erklär du mal deiner Versicherung, dass du einen Kunden hast, der den Krieg in Vietnam mitgemacht hat und sich dauernd unters Lenkrad haut, das kannste nicht erklären, dass du nichts für den Unfall kannst, dass du’s nicht schaffst, auf die Bremse zu treten und das Lenkrad rumzureißen, weil du nicht so schnell bist, du bist kein Held, weil du nicht im Krieg in Vietnam warst, sondern bloß bei der dämlichen Tschechoslowakischen Volksarmee.

Und der Allerjüngste von uns, der erst am Anfang von all unseren Katastrophen steht, die er noch nicht sehen kann, sagt:

– Einmal hab ich meine Dreißigjährige früh mit den Zahnbürsten gesehen, wie sie sich abwechselnd damit die Zähne putzt und sich dabei mit der anderen Hand die Brust streichelt und sich im Spiegel anguckt. Und dann streichelt sie sich immer weiter und weiter nach unten und hat so ihren Spaß. Ist das etwa normal, so was? Ich find jedenfalls, dass das nicht so richtig normal ist. Das ist echt nicht hygienisch.

 

Und im Ruheraum lässt sich der Ex-Landesmeister im Tischtennis auf einen Liegestuhl fallen und sagt:

– Heute is Vollmond, kann ich wieder nich einschlafen, phä.

Und unser landesweiter Hundefutterlieferant lässt sich neben ihm fallen und sagt:

– Ich schlaf immer problemlos ein. Aber meine Alte, die kann nie einschlafen. Dauernd wälzt sie sich hin und her und ächzt und dann stupst sie mich an und sagt: Ich kann nicht schlafen, der Mond regt mich auf, ich hab Sorgen und du schläfst hier in aller Ruhe, dich regt gar nichts auf.

Und unser Lehrer, dem letztes Jahr die Frau gestorben ist und der jetzt im Sitzen meditiert, sagt gar nichts.

Und unser Blinder sagt:

– Der blinde Freund von, der mir sagt, dass er am liebsten immerzu schlafen würde. Dass es wunderschön ist, die Welt zu sehen. Kann ich verstehen.

Und unser Lehrer, dem die Frau gestorben ist, sagt:

– Und konnte er vorher schon mal sehen?

– Noch nie. Er ist von Geburt an blind.

– Und konntest du mal sehen?

– Nur als kleiner Junge.

Und unser Ex-Landesmeister im Tischtennis, der sich zum zweiten Mal scheiden lassen hat, Single ist und behauptet, wahnsinnig zufrieden zu sein, sagt:

– Aber wie kann der wissen, dass er im Traum was sieht, wo er nie was sehn konnte, hm, wo er gar nicht weiß, wie das is, sehn?

Und unser Blinder sagt:

– Weiß nicht. Im Traum kann er einfach ganz normal sehen. Also verschläft er seelenruhig den ganzen Tag, weil er gucken will.

– Das is doch Schwachsinn, oder?

Und der Facharzt für Frauenleiden in unserer Stadt sagt:

– Solche Fälle gibt’s.

– Ich find das Schwachsinn.

Und unser Taxifahrer sagt:

– Zufälligerweise hab ich einem Blinden das Autofahren beigebracht, na ja, er war nur auf einem Auge blind, das hat ihm seine Tochter ausgestochen, als sie Indianer gespielt haben, der ist gut gefahren, aber mit vierzig hatte er einen Herzinfarkt mitten auf einer Kreuzung, er hat angehalten, die Leute haben gehupt, sie sind sauer gewesen, aber keiner ist hingegangen, keiner hat seine Autotür aufgemacht, keiner hat ihm geholfen, zwei Stunden hat er da auf der Kreuzung vorm Kaufland gestanden und alle sind um ihn drumrum gefahren, schrecklich, wie sich die Leute heute zueinander benehmen.

[…]

 

Übersetzung aus dem Tschechischen: Mirko Kraetsch