Petra Soukupová

Marta im Jahr des Aliens

2011 | Host

Mittwoch, 11. September

Einschreibung an der Philosophischen. Ich kann mir nicht helfen, bin nervös. Also schwitze ich noch mehr, auch wenn’s draußen kalt ist. Die Luft ist schon total herbstlich und feucht, nachts hat’s geregnet, den ganzen Tag über Gänsehaut, weil ich Sommerschuhe anhatte, ging aber nicht anders, zur Einschreibung muss man Absätze tragen. Außerdem wollte ich Bein zeigen.

Für den Herbst hab ich bis jetzt nur Chucks. Ich muss mir irgendwelche Schuhe kaufen. Oder doch nicht?

Ich dachte, bis zu diesem Ereignis wäre meine Narbe schon weg und in dieser neuen Welt würden mich alle so sehen, wie ich es mir wünsche. Aber sie ist noch da. Morgen krieg ich das Geld für August, den Rest leihen mir meine Eltern. Ich muss einen Termin machen. Ich überlege, warum ich das noch nicht gemacht habe? Mir fällt kein Grund ein.

Merkwürdig – ich hab diesen ätzenden Job nur angefangen, weil ich die Narbe loswerden wollte, warum kümmere ich mich dann nicht darum? Irgendwann komme ich drauf, es ist eigentlich ganz einfach. Was ist, wenn diese Narbe mein Talisman ist? Was ist, wenn ich sie wegmachen lasse und mir etwas Schlimmes passiert? Mir ist noch nie irgendwas Schlimmes passiert, nie hat mich ein Junge verlassen, in der Schule lief es gut, ich bin sofort auf der Uni angenommen worden, meinen Eltern geht’s gut, Bruder und Schwester geht’s gut, wenn ich manchmal höre, wie es bei anderen ist, weiß ich, dass wir echt happy sind. Und ich am meisten.

Trotzdem ist sie hässlich. Aber was, wenn das so ein Tauschgeschäft ist? Eine Narbe im Gesicht gegen ein glückliches Leben?

Ich seh mich schon, wie ich das jemandem erzähle. Am besten Papa. Der Ärmste würde denken, ich hab den Verstand verloren.

Auf jeden Fall sitze ich bei der Einschreibung da und stütz das Gesicht in meine Hand, damit man sie nicht sieht. Ich lass sie mir wegmachen. Ein glückliches Leben krieg ich auch ohne Narbe hin. Es ist schließlich meins, da hat keine Narbe was mitzureden.

Einschreibung: keine hübschen Jungs, nur lauter seltsame Mädchen. Die Verpflichtungen, die an der Einschreibung dranhängen: fast furchteinflößend. Ich brauch jemanden, der mir sagen kann, wie das alles funktioniert, also lasse ich den Blick durch den Raum schweifen. Ich sehe ein Mädchen, das sich total sicher zu sein scheint, sie ist ein bisschen pummelig, trägt aber coole Ohrringe, also geh ich zu ihr und sag Ciao.

Sie heißt Sabina und weiß alles, super Gefühl. Allerdings glotzt sie unauffällig meine Narbe an, aber das macht jeder, der mich zum ersten Mal sieht. Ich tu so, als ob ich nichts merke.

Dann zur Arbeit. Robert grüßt mich auf dem Gang, dann dreht er sich noch mal um und fragt, ob ich eine rauchen gehe. Ich sag ja und er, dass er mit mir noch eine raucht, und wir gehen rauchen und mir wird schlecht, worüber soll ich mit ihm reden, aber er erzählt, warum er noch eine rauchen geht, anscheinend ist was mit seinem Computer, ist aber nicht so interessant. Aber wie er es erzählt, ist interessant. Ich lache.

Genialer Tag.

Abends: Papa fragt mich tierisch aus wegen der Einschreibung. Das interessiert ihn, die Uni. Papa ist am glücklichsten, wenn die kleine Marta eine brave Schülerin ist.

Dann noch eine bescheuerte Krimiserie, sogar Papa, der Krimis liebt, regt sich auf, wie bekloppt die ist. Dann noch ein alter Amischinken mit Clint Eastwood. Hübscher Kerl, aber der Film ist langweilig. Also setz ich mich an den Computer.

Ich chatte mit Zuzana über Robert. Sie meint, ich soll mich über Skype bei ihm melden, also ruf ich sein Profil wieder auf, schreibe Hallo in hundert verschiedenen Varianten und lösche sie hundertmal wieder. Und geh schlafen.

Noch was: Zuz hat wieder versucht, mich zum Zumba zu überreden. Nee! Vielleicht sollte ich ja wirklich irgendwelchen Sport machen. Aber sicher nicht so einen Quatsch. Ich denk eine Weile drüber nach. Mir fällt nichts ein außer Reiten, was absurd ist. Außerdem hab ich Angst vor Pferden. Die sind so groß.

[ … ]

Dienstag, 1. April

Morgens geht’s mir besser. Ich überlege sogar, ob ich von zu Hause noch ein paar Sachen hole, die mir Mama nicht mitgeschickt hat, weil ich sowieso raus muss. Aber dann mach ich es doch nicht. Nachmittags kommt mein Bruder reingestürmt. Er sieht wütend aus, aber ich hab nichts gemacht. Bin also ruhig.

Hast du getrunken?

Ich schüttle den Kopf.

Super. Jetzt mal im Ernst. Steh auf und unternimm was.

Wie? Jetzt?

Genau jetzt. Reiß dich zusammen, wasch dich und zieh dich an. Mama will mit dir zum Arzt gehen.

Nein.

Doch.

Er fängt an, mir die Decke wegzuziehen und ich heule und brülle, dass er abhauen soll. Da hat er mich einfach an beiden Armen gepackt und geschüttelt.

Marta, meinst du, du bist die Einzige, die ein Problem hat? Denkst du, andere kotzt das Leben nicht an? Aber weißt du was? Du musst einfach irgendwie weitermachen. Klar, du hast ein Baby verloren, aber du bist zwanzig, wahrscheinlich kriegst du noch eins. Du hast die Uni geschmissen, aber du kommst wieder drauf. Oder auf ‘ne andere. Aber du musst irgendwas machen. Du bist erwachsen, verdammt noch mal.

Und ich sag, dass er mir gar nichts zu sagen hat, dass ihm nichts Schreckliches passiert ist, und er sagt, in letzter Zeit nicht, aber da gab es einiges. Ich erinnere mich, als sich unsere Eltern scheiden lassen wollten, wie sie sich angeschrien haben, du warst klein, und ich war der große Bruder und hab gedacht, dass nie wieder alles gut werden würde. Aber weißt du was? Papa und Mama haben das irgendwie hingekriegt und jetzt ist wegen dir wieder alles im Arsch. Und Petra hat schon dreimal ein Baby verloren und sie wollte ein Kind, im Gegensatz zu dir. Und weißt du, wie’s Oma geht? Dreckig, aber du weißt das ja nicht, du wälzt dich in deinem Elend, weil dich irgendein Arschloch verletzt hat, oder was weiß ich. Kapierst du, was ich meine?

Ich nicke. Sie wollten sich scheiden lassen? Und jetzt ist wegen mir wieder alles im Arsch? Was?

Jakub weiter: Und Karolina hat was mit den Knien und kann nicht mehr tanzen, allerdings hat’s ihr noch keiner gesagt. Das sind ernsthafte Sorgen, du dumme Gans.

Wie kommt es, dass er das weiß?

Ich: Lass mich einfach.

Er: Gehst du mit zum Arzt?

Ich sag nichts.

Jakub: Bist du echt so dermaßen bekloppt? Willst du den Rest deines Lebens hier rumliegen und saufen? Oder was?

 

Übersetzung: Katharina Hinderer