Sylva Fischerová

Tausende Plateaus

2020 | Druhé město

 

Der Maulbeerbaum

 

Die Häuser umgaben den Hof lückenlos von allen Seiten, er war eine Art in sich geschlossenes Abbild der Welt im Kleinen. Es waren alte Mietshäuser aus der Zeit der Ersten Republik, eher unansehnlich, mit Balkonen zur Straße hin, aber auch zum Hof hinaus, der Putz bröckelte von den Wänden, gegen die Generationen von Kindern endlose Nachmittage lang einem obligatorischen Ablauf folgend den Ball geworfen hatten: Zuerst nur werfen und wieder auffangen, dann unter dem Bein durch an die Wand, und dann noch mit einer Drehung um die eigene Achse, zehnmal, fünfzigmal, der Ball darf nicht runterfallen, sonst muss man von vorn beginnen. Das einzig Runde in dieser viereckigen Welt befand sich auf der rechten Seite des Hofes zwischen zwei Häusern: dort stand eine hohe, halbkreisförmige Mauer, die den gesamten Raum auf geheimnisvolle Weise abschloss. Warum sie einst errichtet worden war, während auf der anderen, spiegelbildlich gegenüberliegenden Seite des Rechtecks einfach nur ein Haus stand, war unklar: Zwar gab es an ihren beiden Enden schmiedeeiserne Tore, durch die man nach oben auf die Straße gelangt wäre, aber die waren immer verschlossen. Zu den Toren hinauf führten steinerne Stufen, die an den Seiten, wo man ins Gras hinunterfallen konnte, von niedrigen Mäuerchen gesäumt waren. Auf dem Rasen am Fuß der Mauer stand ein Maulbeerbaum.

Es war ein hoher Baum, jeden Sommer übersät mit Früchten, die wortwörtlich von ihm herabregneten, als ertrüge er die eigene Fülle nicht. Die runde Mauer dahinter war heiß, aufgeheizt von den Sonnenstrahlen, wir lehnten uns dagegen, kniffen die Augen zusammen und rannten dann, erschlagen von der Hitze, mit vollen Bäuchen und mit Maulbeeresaft bemalt wie Angehörige eines unbekannten Indianerstamms nach Hause, aus den Beeren troff der Saft wie Blut, wie Wasser.

Hat ein Kind anderes zu tun als heranzuwachsen? Ja: Es muss bestehen. Und in der Kinderhorde aus den abbröckelnden Häuserblocks, die übrigens gar nicht besonders groß war, weil viele Eltern ihre Kinder lieber gar nicht erst hinausließen, war das alles andere als leicht. Ich weiß nicht, was meine Eltern dazu brachte, ihre Angst zu überwinden und meine Schwester und mich auf den Hof hinaus zu lassen, also in die Welt, wann immer wir darum baten Denn gleich nebenan wohnte die Familie Vít. Die Kinder, nur wenig älter als wir, redeten wie aus der Gosse, und von der Mutter hieß es, sie habe einmal einen Besucher der Familie, der zu viel Bier und Schnaps getrunken hatte, laut sang und nicht mehr gehen wollte, in die Arme genommen und in die Wanne geworfen, die sie zuvor mit kaltem Wasser hatte vollaufen lassen. Das trug ihr meine grenzenlose Bewunderung ein – ich wusste nur zu gut, dass meine Mutter zu einer solch erstaunlichen Tat nicht imstande gewesen wäre. Nicht einmal die heftigen Familienstreits, die wir über den Balkon oder durch die Trennwand zwischen unseren Wohnungen mitbekamen, in die eine Lüftung eingebaut war, so dass von Privatsphäre in diesem Teil der Wohnung nur bedingt die Rede sein konnte, konnten meiner maßlosen Bewunderung für Frau Vítová etwas anhaben. Das schaffte erst sie selbst, als sie sich – nur in Unterwäsche – im Fenster aufbaute und, unsere Katze, die sich über das Fenstersims sich zu Besuch nach nebenan verirrt hatte, fest gepackt, auf die Straße hinausbrüllte:

– Ihr Vollidioten, Drecksbande, wenn ich euer räudiges Vieh noch einmal bei uns am Fenster finde, dann fliegt es in hohem Bogen raus wie ne kaputte Pfanne.

In dieser Welt zu bestehen, war nicht leicht, aber zum einen waren meine Schwester und ich zu zweit, und außerdem trugen wir das Zeichen einer besonderen Familie: Wir hatten nämlich nicht nur Katzen, die ständig aus den Fenstern und von den Balkonen fielen, wir hatten auch ein Dienstmädchen. Das hatte sonst niemand.

Dabei war das Dienstmädchen weder ein Mädel vom Land noch eine Oma, die sich ein bisschen was für Spielzeug und Gummischlangen für ihre Enkel dazuverdienen wollte. Unser Dienstmädchen war verrückt. Sie hieß Božka, und niemand wusste, wo meine Mutter sie aufgegabelt hatte. Meine Mutter war zwar alles andere als praktisch veranlagt, hatte aber eine erstaunliche Gabe: Sie konnte mit durchgeknallten oder sonst irgendwie behinderten Menschen reden und umgehen, und diese vergalten ihr das mit Liebe. So kam es häufig vor, dass es bei uns zu Hause klingelte, meine Schwester und ich aufmachten und vor der Tür ein oligogfrener junger Mann stand, der über das ganze Gesicht strahlte:

Ist die Mutti zu Hause?
Sie ist kurz in der Reinigung, kommen Sie rein, stotterten wir dann und verbrachten quälende Momente auf den kleinen barocken Polstersesseln in der Diele, denn unsere Mutter hatte uns gesagt, wenn jemand von den Jungens käme, sollten wir uns um ihn kümmern.

Was aber sollen Kinder mit einem zwanzigjährigen, leicht begriffsstutzigen jungen Mann anfangen, der sie in stiller Erwartung ebenso mit Riesenaugen anstarrt, wie es unsere Katzen taten, wenn wir sie fütterten? Wir parlierten dann auf den lackierten Schnitzerei-verzierten Sesseln über Katzen, Fernsehserien und Zeugnisse, bis wir den Schlüssel im Schloss hörten, unsere Mutter mit den Taschen hereinkam und ihre Augen beim Anblick von Kája oder Petja oder einem anderen von ihren Jungs aufleuchteten, vor Freude über das Wiedersehen und die Aussicht, dass diese ihr sogleich die funkelnagelneuen Vorkommnisse aus ihrer Welt erzählen würden …

Aber Božka war nicht dumm. Sie war nur verrückt und furchtbar abergläubisch – sie glaubte an alles, was garantierte Folgen für die Zukunft mit sich brachte: Sprichwörter, Bauernregeln, Karten, das Treten auf schwarze oder weiße Pflastersteine, das Herunterfallen vom Bordstein, den Schornsteinfeger, die Alte mit dem Tuch, Nonnen. Generell glaubte sie an ihre eigenen Vorahnungen, die sie mehr verwirrten als alles andere. Meine Mutter und meinen Vater aber vergötterte sie – mit ihren Titeln und ihren Büchermassen, von denen die Wohnung überquoll, kamen sie ihr vor wie Wesen aus einer anderen Welt, die beschlossen hatten zu ihr herabzusteigen und mit ihr ins Gespräch zu treten. Aber so oder anders, für diese eine, einzige Welt mussten dieselben Gesetze gelten.

So kam es, dass Božka, wenn sie auf dem Hof an der Teppichstange den Teppich ausklopfte, zur Herscherin und Schiedsrichterin unserer kleinen Welt wurde. Kaum trat sie vor die Tür, versammelte sich augenblicklich ein Häuflein Kinder um sie und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Wenn sie an einem klaren Nachmittag im Frühsommer ihren Daumen anleckte, ihn in die Luft hielt und mit ernster Miene sagte:

Heute Abend wird es gießen und hageln, dann goss und hagelte es am Abend und wir sammelten die Hagelkörner auf dem Fensterbrett ein und bauten daraus auf einem Teller den Berg Eiger, der, wie wir wussten, in den Schweizer Alpen lag.

Wenn Božka sagte:

Kinder, schon seit dem Morgen hab ichs in den Knochen, etwas Schlimmes wird passieren, wahrscheinlich ein Zusammenstoß hier auf der Kreuzung, dann stießen spätestens einen Tag und eine Stunde später unter unseren Fenstern zwei Autos zusammen.

Wenn Božka eine unserer Katzen lange streichelte und ihr gar ein Stück Salami von ihrem mitgebrachten Hörnchen abgab, bedeutete das, dass die Katze bald vom Balkon fallen würde. Und als sie mir sagte:

Kletter ja nicht auf die zweite Teppichstange, du weißt, dass sie nicht fest im Boden steckt, du fliegst runter und tust dir weh, da hörte ich nicht auf sie, weil seit jeher alle Kinder auf dieser Teppichstange herumgeklettert waren und ihnen nichts passiert war. Aber ich fiel runter und sah jene Sterne vor Augen, von denen in den Büchern immer die Rede war, und hatte eine Riesenbeule auf der Stirn.

Die verrückte Božka sagte die Zukunft vorher, und zwar minstestens ein ganzes Jahr im Voraus, beim Teppichklopfen, beim Bohnern des Parketts und beim Polieren der Klinken mit dem weißen, säuerlichen Sidol, beim Putzen der Fenster, die auf den Svatý Kopeček hinausgingen, und beim Bügeln der Weihnachtsservietten – die Augen weit aufgerissen und in ständiger Verwirrung, weil sie im Grunde gar nicht wusste, was sie mit ihrem Wissen anfangen sollte:

Achtundsechzig, Frau Doktor – so nannte sie meine Mutter – kommt das Ende der Welt.
Was ist denn das Ende der Welt?
Wenn es Steine und Frösche regnet, sagte meine Schwester.
Wenn es nichtmal mehr Steine gibt, sagte ich. Wenn es nichtmal mehr Steine gibt, das ist das Ende der Welt.

Steine gab es, und es regnete auch keine Frösche, aber es geschah etwas. Der Sommer ging zu Ende, und es kamen Panzer, darauf Soldaten in grünen Uniformen mit grässlichen flachen Mützen. Sie kamen in die Stadt und lebten sich allmählich ein, besetzten ein Haus, dann ein zweites, eröffneten einen Laden wie wir bei uns auf den Treppenstufen oberhalb des Maulbeerbaums, im Laden hatten sie einen Rechenschieber auf dem sie abzählten. Waren sie etwa so dumm, dass sie einen Rechenschieber brauchten? In tschechischen Läden gab es so was nicht.

Ich weiß nicht. Frag mich nicht. Ich bin kein Russe, antwortete meine Mutter.

In dem Laden roch es so komisch, darum fragte ich:

Was stinkt denn hier so?, aber meine Mutter machte mir ein Zeichen, dass ich still sein solle, aber draußen konnte sie mir dann meine Frage dann doch nicht beantworten.

Bei den Russen, die gekommen waren, als eigentlich das Ende der Welt kommen sollte, stank es eben. Dann kamen ihre Frauen und Kinder hinterher, um sich nebenan einzuquartieren, dort, wo der Schlachthof endete. Ihre Frauen gingen durch unsere Straße, sie hatten gebleichte Haare oder blonde Perücken und stanken nach billigem Parfüm, und zwar so sehr, wie es unsere Straße bis dahin noch nie erlebt hatte. Wir nahmen sie zur Kenntnis. Steine gab es weiterhin, aber zu meinen Eltern kamen immer mehr Besucher: Sie schlossen sich im Arbeitszimmer meines Vaters ein, führten heftige Reden, man musste ihnen Kaffee bringen, im Festtagsporzellan, und auch die Schnapsgläschen und die Weingläser, die sonst in der Speisekammer verstaubten. Und weil meine Mutter da meistens auch mit dabei war, während wir keinen Zutritt hatten, blieb uns nichts anderes übrig, als in die Welt hinaus zu gehen, also auf den Hof, und ganze Nachmittage dort zu verbringen, auch ohne Božka. Und wenn bis dahin unser Zeitvertreib aus Murmelnspielen auf dem Hof, Suppekochen und Einrichten von Wohnungen und Geschäften auf den Stufen oberhalb des Maulbeerbaums und gymnastischen Übungen an der Teppichstange bestanden hatte, wurde es nun härter: Handstand, Radschlagen und Kopfstand kamen hinzu, und alte Spiele wie Mein Vater hat ein Schwein geschlachtet, was willst du davon haben bekamen einen neuen Sinn, als hätte die Zeit selbst sich beschleunigt: Denn nun mussten die Pfänder ausgelöst werden, und so sperrten sich die älteren Jungs mit den Mädchen zu diesem Zweck im Keller ein, von wo man dann Gekicher hörte, aber manchmal auch was Anderes.

Das waren die Momente, in denen meine Schwester und ich lieber gingen, denn die Maulbeere stand immer noch dort, so wunderbar und reich wie immer und in keiner Weise berührt von den Katastrophen, die unser Leben aus der Bahn warfen, und dabei doch so vollständig für sich allein, als sei sie der dritte Baum im Garten Eden – ein Baum, der nicht nur die Erkenntnis von Gut und Böse brachte, sondern absolut alles, und von dem zu essen Gott dem Menschen auch verboten hatte, aber ohne ihm etwas davon zu sagen – weshalb niemand je von ihm gegessen hatte …

Hört mal, Kinder, sagte meine Mutter eines Tages, als sie von ihren Erledigungen wiederkam, wir kriegen Gas. Und ihr müsst euch nicht mehr im Bottich waschen. Endlich werdet ihr euch in der Wanne waschen können wie normale Menschen. Ihr werdet eine Badewanne haben und warm Wasser, direkt aus der Leitung. Wir kriegen Gas.
Gas?, fragte meine Schwester ungläubig.
Nie wieder Bottich?, fragte ich ungläubig, weil ich den Bottich hasste.
Ja, sagte meine Mutter feierlich. Gas. Kein Bottich mehr. Eine Badewanne und warm Wasser.

Nun musste aber, wie sich bald herausstellen sollte, damit es Gas geben konnte, eine Verteilerstation gebaut werden. Und die sollte in der Mitte des Hofes stehen, als sein neues, stolzes Herz. Damit man aber zu der Gasverteilerstation hinfahren konnte, musste die halbrunde Mauer abgerissen werden. Musste das in sich geschlossene Ganze unserer Welt zerschlagen werden. Musste die Maulbeere ermordet werden.

Ich will kein Gas, schluchzte ich in den Schoß meiner Mutter.
Wenn du wirklich den Bottich und den Maulbeerbaum willst, dann geh und wasch dich ganz, auch den Hals.

Den Hals wusch ich mir im Bottich nie, der Bottich war ekelhaft, man konnte in ihm und mit ihm überhaupt nichts anfangen.

Ich ließ den Bottich volllaufen, rieb mich von Kopf bis Fuß ab und trat vor meine Mutter hin.

Ich mag den Bottich. Ich brauche kein Gas. Bitte, mach was.

Meine Mutter war entwaffnet. Sie sagte nur:

Es ist doch nur ein Baum.
Nein, sagte ich, es ist die Maulbeere.
Eine Maulbeere ist ein Baum.
Nein, eine Maulbeere ist eine Maulbeere. Du hast gesagt, dass du was machst, wenn ich mich wasche.

Meine Mutter schwieg, es gab nichts weiter zu sagen. Ich bekam Fieber. Ich lag im Bett meiner Mutter, an diesem auserwählten Ort, wo man nur in Momenten hingelangte, wenn man bereits aufgehört hatte, sich Auserwähltheit zu wünschen. An der Decke sah ich bedrohliche Schatten, da waren reihenweise große starke Männer, die zur Maulbeere gingen, und alle hatten sie Äxte in den Händen und jeder von ihnen schlug einmal zu. Als ich dann fokussierte, waren es nicht reihenweise Männer, sondern nur Jarda Vít, Petr von unten und Robin und Venca Bráblík, alle mit Äxten, alle unterwegs zum Maulbeerbaum.

Mami! Mami! Rief ich.
Ja, mein Schäfchen?
Mama, bitte geh hin und sag denen, dass sie die Maulbeere nicht fällen müssen, sie können sie doch umsetzen.
Mein liebes Mädchen, sagte meine Mutter traurig, einen Baum kannst du nur versetzen, solange er jung ist. So eine große Maulbeere kann niemand mehr umsetzen. Es geht nicht.
Warum geht das nicht?
Sie hat zu tiefe und lange Wurzeln. Sie wohnt hier.
Wenn sie hier wohnt, kann man sie auch nicht fällen, bemerkte ich mit unanfechtbarer Logik.
Doch, man kann sie fällen. Sie wohnt hier, und hier stirbt sie auch.
Ich will nicht, dass sie stirbt!, schrie ich.

Die Krankheit schlug mir auf die Ohren: Ich bekam eine Mittelohrentzündung, in meinem Ohr hauste ein Schmied, der dort beständig hämmerte, bumm, bumm gegen meinen Schädel, es tat entsetzlich weh und er konnte nicht aufhören. Ich konnte nicht schlafen vor Schmerzen. Sogar meine Schwester vergaß unsere andauernden Streitereien und las mir Märchen vor.

Nach ein paar Tagen klang die Krankheit ab. Als ich versuchte aufzustehen und zum Frühstück in die Küche zu gehen, musste ich mich gleich wieder hinlegen. Sie päppelten mich mit Bisquit, Bouillon und Markknödeln, die ich vergötterte, zuguterletzt kaufte meine Mutter sogar Knödel, die es bei uns zu Hause sonst nie gab, weil sie ungesund sind.

Und eines Tages war ich dann gesund genug, um hinaus zu gehen.

Ich will auf den Hof, sagte ich. Ich will Murmeln spielen.
Kann sein, dass du noch zu schwach bist, sagte meine Mutter. Vielleicht solltest du noch nicht rausgehen.
Ich bin nicht schwach und will raus, beharrte ich und schlenkerte meinen Murmelbeutel hin und her, ganz obenauf ein paar funkelnagelneue Glaskugeln, die mir mein Vater mitgebracht hatte, damit ich gesund würde, und darunter eine große Bleikugel, die ich zuletzt von Maria Vítová gewonnen hatte.
Na gut, sagte meine Mutter, dann lauf.

Als ich auf den Hof hinauskam, fiel mir sofort etwas auf.

Etwas war anders als sonst.

Die halbkreisförmige Wand, die Grenze unserer abgerundeten Welt, war abgerissen. Dort, wo der Maulbeerbaum gestanden hatte, gähnte leerer Raum. Langsam ging ich hin.

Zwischen Mörtelbrocken stand ein Baumstumpf. Auch er für sich genommen war noch imposant. Daneben lag der Körper der Maulbeere, zersägt in Stücke. Ich ging hin und berührte ihn.

Er war noch lebendig, warm und vollkommen.

He, schaut mal, wie die dahockt, erklang es hinter mir.
Hat ihre Dienstmagd nicht dabei, da hockt sie da.
Die ist denen doch sicher schon durchgebrannt, weil es bei denen zu Hause so stinkt.
Das kommt von den stinkenden Katzen. Die pissen und scheißen überall hin.
Da heult sie über den Maulbeerbaum, weil die zu Hause nicht die Kohle haben für Süßkirchen. Alle Kohle, die die haben, geht für die Katzen drauf.
Und wenn ihnen die Kohle ganz ausgeht, schmeißen sie die Katzen vom Balkon, damit sie sie nicht weiter füttern müssen.
Dass die Katzen dabei schreien, ist ihnen scheißegal.
He, die werden jetzt Vitaminmangel haben, wenn es keine Maulbeeren mehr gibt.
Kein Maulbeerbaum, keine Katze, keine Dienerin.
Ich hörte die Stimmen, ich konnte sie sogar genau zuordnen, wem sie gehörten – aber es war, als sprächen sie irgendwo anders mit jemand anderem. Ich spürte, wie ich langsam aufstand. Von der Maulbeere aus ging ich an etwas entlang, das wie ein Zaun aussah. Ich kam am Murmel-Loch unseres Hofes vorbei, aber es war schon die zukünftige Leiche des Murmel-Lochs. Ich ging ins Haus. Stieg die Treppe hoch, die fest aussah, aber im Zeichen ihres vorbestimmten Endes schwankte. Die mir verhasste grüne Farbe an den Wänden, hell und giftig, war das Abbild ihres Untergangs.
Ich kam zu Hause an und begann gegen die Tür zu schlagen. Die Tür ging auf und dort stand meine Mutter. Sie sah wie meine Mutter aus –

Mami! Ich stürzte zu ihr hin, umarmte sie um die Taille oder so hoch ich eben fassen konnte, und hielt sie fest, so fest ich konnte.

 

 

Aus dem Tschechischen von Kathrin Janka