MILA

 

Ich bin komisch, weiß ich ja. Ich weiß das schon lange, ich hab mich also schon dran gewöhnt, dass mich die Leute manchmal angucken. Gewöhnt trifft’s vielleicht nicht ganz, weil, mir selber ist das schon immer egal gewesen, ich hab bloß gesehen, dass die Leute denken, dass ich komisch bin.

Einmal, da bin ich noch in den Kindergarten gegangen, da hab ich ein Eis gegessen und auf einer Bank gesessen und auf Mam gewartet, die ist wahrscheinlich einkaufen gewesen oder so, aber in dem Moment hab ich gesehen, wie eine Elster auf dem Dach von dem Geschäft rumläuft, und obwohl dort Leute gewesen sind, konnte ich hören, wie die Elster mit den Krallen auf dem Blech klackert, und ich hab ihr einfach zugeguckt, sie ist ein Stück in eine Richtung getappelt und dann wieder zurück.

Und auf einmal hat eine Frau zu mir gesagt: „Mädchen, alles in Ordnung mit dir?“ Und ich hab mich von der Elster losgerissen und die Frau angeguckt, und sie hat auf meine Hand gezeigt, in der ich immer noch das Eis hatte, aber das war schon komplett geschmolzen und ganz viel davon ist an meiner Hand runtergelaufen und auch auf meine Klamotten getropft und auf den Fußboden. Ich hab der Elster also wahrscheinlich länger zugeguckt, als ich gedacht hab.

Und da ist auch schon Mam aufgetaucht und die Frau gleich so: „Ist mit ihrer Tochter alles in Ordnung? Ohne dass sie sich rührt, hat die jetzt eine Ewigkeit hier gesessen. Irgendwie komisch. Ich hab mich nur gefragt, ob das vielleicht ein Anfall ist oder so …“

Und ich: „Mami, ich hab der Elster dort oben zugeguckt“, und ich hab auf das Dach gezeigt, wo natürlich genau in dem Moment keine Elster mehr war.

Und Mam hat zu der Frau gesagt: „Tja, Kinder“, und mich hat sie wieder mit ihrem Blick angeguckt, so wie: Musste das sein? Aber ich hab nur mit den Achseln gezuckt, ich hab’s ja nicht mit Absicht gemacht.

„Ist also wirklich alles in Ordnung?“, hat die Frau gefragt, als ob sie uns nicht geglaubt hat.

„Na sicher doch“, hat Mam sie gleich angeblafft. „Oder wo ist Ihr Problem? Dass sie sich mit Eis vollgekleckert hat?“

„Oh, Entschuldigung, dass ich mir Sorgen mache“, hat die Alte zurückgeblafft. Inzwischen ist sie mir richtig unsympathisch gewesen, und zu solchen Frauen kann man ruhig auch Alte sagen, hab ich mir gedacht, aber damals bin ich noch klein gewesen und hab ein bisschen Angst gehabt, dass Mam meine Gedanken lesen kann und dort die Alte sieht.

„Wie ein Schwein, oder?“, hat Mam gesagt, aber sie ist nicht sauer gewesen und hat mir eine Serviette gegeben.

„Mami, bin ich komisch?“, hab ich in dem Moment gesagt.

„Ach komm, nur weil das die Alte da gesagt hat?“

„Nein, nicht deswegen“, und das hab ich ernst gemeint, weil, ich finde eben, dass ich komisch bin, aber das macht mir nichts aus. „Die Kinder im Kindergarten sagen das auch zu mir“, hab ich zu Mam gesagt.

„Wer denn?“

„Die Elli, die Sophie, die Annie, der Adam, der Daniel, der andere Daniel, der Fanda. Ach so, und die Johanna.“

„Die alle? Und warum sagst du mir nichts?“

„Weiß ich nicht. Ich sag’s dir doch gerade.“

„Sind die gemein zu dir? Ich geh gleich morgen zu deinen Erzieherinnen.“

„Sind sie nicht, Mami.“

„Echt nicht?“

Ich hab den Kopf geschüttelt, nein, gemein ist zu mir niemand gewesen.

Wir sind ja damals noch kleine Kinder gewesen, nicht mal den Sascha, der so gestunken hat, hat jemand ausgemeckert. Das hat erst später anfangen, aber da hatte ich mich schon dran gewöhnt. Oder ich hab eben einfach kein Problem damit gehabt.

Komisch … komisch ist ein doofes Wort. Da wäre ja jeder komisch. „Jeder ist irgendwie, einer beobachtet gerne Tiere, ein anderer tanzt vielleicht gerne, deswegen ist niemand komisch, und du machst jedenfalls nichts Schreckliches, außer wenn du dich komplett mit Eis einsaust“, hat Mam gewitzelt und ist die Servietten wegschmeißen gegangen und den Rest von meinem Eis. Ich bin mir am Trinkbrunnen meine Hände waschen gegangen, ich hab auf die Wasserdüse gedrückt, damit, wenn ich die Hand wegnehme, so viel wie möglich rausspritzt.

Und das Wasser hat mich total vollgespritzt und Mam hat gesagt: „Du bist auch irgendwie komisch, hä?“ Und wir mussten lachen.

Aber ich weiß, dass Mam bloß versucht hat mich aufzuheitern, weil, sie findet nämlich auch, dass ich komisch bin. Darüber zerbricht sie sich mit Papa oft den Kopf, und das weiß ich nicht deswegen, weil ich sie belausche, aber es kann sein, dass ich Dinge beobachten kann. Klar, am liebsten beobachte ich Natursachen, das macht mir am meisten Spaß, Menschen machen mir keinen Spaß, aber wenn ich zufällig doch mal Menschen beobachte, dann seh ich halt gleich, dass sich jemand komisch benimmt, und meine Eltern, immer wenn sie sich über mein Komischsein den Kopf zerbrechen, dann benehmen sie sich auch komisch. Zum Beispiel kommt Papa zu mir und wir reden über was ganz Normales, keine Ahnung, über Koalas zum Beispiel, aber ich sehe, dass Papa mit dem Kuli klickt oder mit den Fingern auf den Tisch trommelt oder so, und bei Mam genau dasselbe, wenn die nervös ist, dann schnauzt sie mich zum Beispiel an und entschuldigt sich dann gleich, und sie starrt mich auch ganz lange an, hab ich gemerkt.

Und immer mal wieder kommt sie mit einem super Einfall, einfach so, aber ich weiß, das ist nur, weil ich wieder was gemacht hab, was ich nicht hätte tun sollen. Wie als sie sich ausgedacht hat, dass ich zu den Jungen Tierzüchtern gehn soll, wo ich doch Tiere so gern hab. Klar, schon, die hab ich ja gern, aber in dem Zirkel isses langweilig, wir müssen dauernd machen, was die uns sagen, und von den Tieren haben wir gar nix. Außerdem schmeißen die mich sowieso bald raus, also wenn man ein Kind aus einem Zirkel rausschmeißen kann, weil, beim letzten Mal hab ich dort im Garten einen Igel rausgelassen und dann mussten wir den alle total lange suchen, und der Honza, der Zirkelleiter, der hat mich fast angeschrien. Aber trotzdem, ein Igel ist ein Wildtier, warum darf er also nicht raus in die Natur?

Das Hauptding mit meinem Komischsein ist aber eher, dass wenn ich mich mit meinen Angelegenheiten beschäftige, dann läuft die Zeit ganz anders. Meine Eltern sagen, dass ich in meiner eigenen Welt bin, was nett von ihnen ist, früher haben sie gesagt, dass ich mal wieder rumgeträumt hab, aber das stimmt eigentlich nicht, weil, ich träum ja nicht, ich beobachte einfach. Also, wenn ich halt in meiner eigenen Welt bin, dann läuft die Zeit ganz anders, was man auch an der Geschichte mit dem Eis gesehen hat. Und manchmal verlauf ich mich auch, weil ich nicht aufpasse, wo ich hingehe.

Alleine vorm Geschäft bleiben darf ich aber, weil Mam weiß, dass ich nicht wegrenne. Aber wenn ich einmal losgehe, dann könnte’s schon passieren, dass ich mich verlaufe. Und ich hab mich auch schon verlaufen. Sogar die Polizei hat mich gesucht. Weil, damals bin ich echt noch klein gewesen. Ich kann mich nicht besonders gut dran erinnern, ich weiß noch, dass ich furchtbar geheult hab, als mich auf einmal das Polizeiauto eingeholt hat und die Polizisten rausgesprungen sind und mich gepackt haben. Aber dann hat Papa mir gesagt, dass das gar nicht so gewesen ist, dass mich eine Nachbarin gefunden hat, dass gar keine Polizisten dabei waren, also keine Ahnung.

Aber warum ich das sage? Wahrscheinlich, weil ich oft vorm Geschäft auf Mam warte. Oder vielleicht nicht gerade oft, aber manchmal.

Und heute sitz ich da und guck den Tauben zu, und dann zerkrümel ich den Rest von meinem Pausenbrot für sie. Und dann setzt sich auf die andere Bank ein alter Mann, der ganz doll keucht, was mich nicht wundert, es ist warm, ich hab nur ein T-Shirt an und einen Rock und er einen Anzug und einen Hut, und überhaupt sieht er aus wie aus einem alten Film. Inzwischen fliegen die Tauben auf, das find ich auch immer total toll, wenn ganz in der Nähe Tauben auffliegen, dann wirbeln sie die Luft auf und man hat das Gefühl, dass sie fast gegen einen stoßen, aber sie stoßen nie gegen einen. Und ich find auch im Zoo den indonesischen Dschungel ganz toll, da flattern Flughunde frei rum, das sind Fledermäuse, die bloß Obst essen, und die stoßen auch nicht gegen einen.

Und der Mann im Anzug holt einfach so von irgendwo ein Chinchilla raus, keine Ahnung, wo er das hatte, wahrscheinlich in der Jackentasche. Ein Chinchilla erkenn ich, obwohl ich mich ansonsten bei Nagetieren gar nicht so gut auskenne, aber Chinchillas haben wir im Hort, zwei Stück, die haben sie Pikachu genannt (die Jungs) und Charlotte (die Mädchen). Die Namen sind beide dämlich.

Ich guck dem Mann zu, das Chinchilla klettert seinen Ärmel hoch und bleibt ihm oben auf der Schulter sitzen und von Weitem sieht’s so aus, also ob es ihm was ins Ohr flüstert. Eigentlich staun ich ein bisschen, dass das Chinchilla so ist, der Pikachu und die Charlotte sind nämlich bescheuert und sie beißen, und ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass die nicht abhauen, wenn man sie einfach so rauslässt.

Während ich drüber nachdenke, wie man ein Chinchilla abrichtet und ob ich Lust auf so was hätte, setzt sich ein Junge neben den Mann, ein bisschen kleiner als ich, aber er geht bestimmt schon in die Schule, er hat nämlich einen Ranzen. Er gibt dem Mann was zu trinken aus einer Kinderflasche, die er aus dem Kinderwagen geholt hat, auf den er scheinbar aufpasst, also ist das wahrscheinlich der Opa von ihm und von dem Kind im Kinderwagen. Dann gibt der Mann dem Jungen das Chinchilla und es benimmt sich auch weiter total putzig, wahrscheinlich ist es an den Jungen gewöhnt. Ich steh auf und geh fragen, wie man ein Chinchilla abrichtet, beschließe ich.

Aber bevor ich bei ihnen bin, taucht die Mutter von dem Jungen auf, die kenn ich, einmal bin ich mit meinem Papa bei ihr zu Hause gewesen, Papa hat mit ihr nämlich irgendeine Bausache besprochen, mein Papa ist Rechtsanwalt und kümmert sich um Bausachen, ich weiß nicht genau, um welche, das ist langweilig. Aber die Frau da hab ich mir gemerkt, weil, sie hat auf der Wange so einen braunen Leberfleck oder eher einen Leberflatschen, der ist echt total groß, er sieht aus wie eine Landkarte, wie der Umriss von einer Stadt, direkt unterm Auge.

Aber sie hat mich nicht wiedererkannt, und ich grüße sie auch nicht, sie beachtet mich sowieso überhaupt nicht, sie kümmert sich nur um den Jungen und den Mann, und scheinbar ist das nicht denen ihr Opa, die Frau ist nämlich sauer, dass der Junge das Chinchilla hat. Und der Junge jammert rum, der ist noch ein kleiner Knirps, dass er das Chinchilla haben will und dass der Mann es ihm schenkt, aber die Frau sagt: „Das geht doch nicht. Bitte entschuldigen Sie. Komm, Peter“, und sie zerrt ihn an einer Hand weg, und dabei sieht der Junge so aus, als ob er gleich anfängt zu heulen, und das kleine Kind im Kinderwagen fängt tatsächlich an zu heulen.

Und der Mann muss voll loshusten, und ich find’s doof, wenn ich ihn jetzt einfach so dort sitzen lasse, wo ich schon da stehe, aber was zu trinken hab ich nicht dabei. „Soll ich Ihnen ein Wasser holen?“, sag ich. „Ich könnte schnell da in das Geschäft gehen.“

„Danke, das ist ganz lieb, Mädchen.“ Der Mann schüttelt den Kopf.

Ich zucke mit den Achseln, ich hab ja gar nichts gemacht, nur einen Vorschlag.

„Willst du das Chinchilla vielleicht?“, sagt er.

„Klar. – Aber …“

„Ich kann es nicht behalten. Aber es ist ganz lieb. Es heißt Hammi. Keine Angst, das ist ein wundervolles Tierchen.“

Der Mann hat so eine Tasche auf Rädern und aus der holt er einen Schuhkarton, ohne Deckel, und stellt ihn neben mich. „Ich hab es immer in der Jackentasche, aber du kannst es in die Schachtel hier tun, bis du dir was Besseres kaufst“, und dann steht er auf und geht einfach weg. Dabei röchelt er und lässt mich mit dem Chinchilla sitzen, über das weiß ich zwar nix, aber das macht nix, ich such mir das im Internet, wie man sich drum kümmert. Es hat ein ganz weiches Fell und echt einen schönen Schwanz, im Unterschied zu den anderen Nagetieren, die ich kenne.

In dem Moment taucht auch meine Mutter auf und sagt: „Um Gottes willen, was ist das denn?“

„Ein Chinchilla.“

„Und wem gehört das?“

„Mir“, sag ich.

Meine Mutter guckt sich um, als ob sie jemanden sucht, dem das Chinchilla gehört.

„Mila“, sagt sie dann, so nennt sie mich echt nur, wenn sie sauer ist, obwohl das mein Name ist, ich heiße Mila, nicht Milena oder Milada oder Ludmila, aber normalerweise sagen meine Eltern Mili zu mir oder Milchen. Aber jetzt sagt meine Mutter: „Mila, ich hab dir ein Aquarium erlaubt und eine Schildkröte, und wenn du dich jemals wieder über irgendein Tier mit mir auch nur unterhalten willst, dann bringst du die Maus da sofort zurück. Du weißt genau, dass ich Mäuse hasse.“

Das stimmt, das weiß ich, ich hatte’s nur vergessen. Mam hasst Mäuse und vor Ratten hat sie sogar richtig Angst. Einmal im Sommer sind wir irgendwo in einem Ferienhaus gewesen und dort war eine Maus und Mam ist wirklich auf einen Stuhl gehüpft und hat gekreischt, wie in der Szene aus Tom and Jerry. Und obwohl es lustig war, hab ich nicht gelacht, weil, es ist seltsam gewesen, dass ich Mam gesehen hab, wie sie voll Angst vor was hat, vor allem vor so was Putzigem wie einer winzigen Maus, Papa und ich haben die dann einfach in den Garten gebracht und freigelassen und sie ist dann vor allem vor uns weggerannt. Aber Mam wollte nicht mehr in dem Ferienhaus bleiben, und sie hat sich mit Papa sogar drüber gestritten, glaub ich.

„Das ist ein Chinchilla“, sag ich, aber ich weiß, dass das egal ist.

„Mir egal! Das kommt mir nicht nach Hause, und das weißt du genau! Also geh das zurückbringen und dann sofort nach Hause, und zeig mal, ob dein Handy angeschaltet ist.“

Ich zeig’s ihr.

Klar, jetzt, wo ich schon zehn bin, darf ich alleine raus, aber ich muss mein Handy die ganze Zeit auf Laut gestellt haben und ich darf nicht im Dunkeln draußen sein. Trotzdem verlauf ich mich manchmal ein bisschen, aber ich bin ja kein Baby mehr, nach einer Weile hab ich die Orientierung wieder, ich kann halt mit Google Maps umgehen und finde dorthin, wo ich hinwill. Meine Eltern fahren mich jetzt bloß noch in die Schule, weil, mir ist ein paarmal passiert, dass ich zu spät gekommen bin, und meine Lehrerin, die Mravenečníková, die hat mir nicht geglaubt, dass ich echt nicht schwänzen wollte. Aber über die Mravenečníková will ich nicht reden und auch nicht an sie denken, die kann ich nicht leiden, und überhaupt.

„Hörst du? Bring das zurück.“ Als Mam das sagt, sagt sie das in einem Tonfall, als ob ich eine Leiche oder vergammeltes Obst oder sonst was Ekliges in der Hand hab.

Und dann schnappt sie sich ihren Beutel und geht schnell weg, was sie immer macht, wenn sie sauer ist. Ich guck mir das Chinchilla an, es bewegt die Schnauze, was soll ich damit machen, wo der Mann weg ist und ich ihn doch gar nicht kenne?

Aber dann fällt mir was ein, ich stehe auf, setze das Chinchilla vorsichtig in die Schachtel und mach mich auf die Suche nach dem Haus von der Frau mit dem Leberfleck im Gesicht. Ich weiß, in welcher Straße das Haus ist, und ich glaube, ich erkenn’s wieder. Ich weiß zwar nicht, in welchem Stock sie wohnen, aber ich weiß, dass sie an der Tür einen Mickey-Mouse-Aufkleber haben.

 

PETER

 

Abends bin ich eigentlich ganz froh, dass wir die Lucie haben, weil sie mit in meinem Zimmer schläft, und solange sie nicht einschläft, hab ich dort auch keine Angst. Der Tom, der hat sein eigenes Zimmer, aber der schläft sowieso immer gleich ein, also nützt er mir nix. Aber die Lucie kann manchmal nicht einschlafen und ruft nach der Mama und die muss kommen, oder die Lucie wälzt sich die ganze Zeit im Bett hin und her, und das beruhigt mich, davon schlaf ich sogar manchmal ein. Aber auch wenn sie vor mir einschläft, hör ich, wie sie atmet, sie haben sie deswegen in mein Zimmer getan, weil ich Angst hab, deswegen teil ich mir mein Zimmer mit meiner kleinen Schwester und mein Bruder hat ein Zimmer für sich. Und es stimmt, ich bin froh, dass ich nicht alleine bin, dass ich sie atmen höre.

Aber oft reicht das auch nicht aus, nicht einmal ihr Atmen kann meinen Kopf stoppen, ich geb mir Mühe, dass ich an nix denke, aber je mehr ich an was denke, desto mehr kann ich nicht schlafen, und das Einzige, was ich will, ist meine Mama, als ob ich ein Kleinkind wäre. Und auch wenn meine Nachttischlampe brennt, hilft das nicht so richtig, die Lampe ist zu dunkel, ganz viele Stellen im Zimmer sind schwarze Löcher. Das Licht ganz hell machen kann ich auch nicht, wenn die Lucie schläft.

Und manchmal hab ich solche Angst, dass ich nicht mal aus dem Bett aufstehen kann, weil sich unterm Bett, wo natürlich das allerschwärzeste Loch ist, irgendwas verstecken kann, das mich am Bein packt, wenn ich mit den Füßen den Boden berühre. Manchmal hab ich gerade weniger Angst vor dem Wesen, das unterm Bett lebt, und mehr vor was anderem, und dann schaff ich es, aus dem Bett zu springen und wahnsinnig schnell bis ins Schlafzimmer zu rennen, aber das kann der Papa wieder nicht leiden, weil er sich dann bei mir im Zimmer hinlegen muss, und von meinem Bett kriegt er Rückenschmerzen, sagt er. Das ist mir aber meistens egal, weil ich auf gar keinen Fall alleine in meinem Zimmer aufbleibe.

Der Papa schüttelt meistens den Kopf und sagt so was wie: „So ein großer Junge und hat Angst im Dunkeln, reiß dich zusammen und geh wieder in dein Bett, guck dir Tom an, wie der schläft, und der ist in seinem Zimmer ganz alleine, und er ist jünger als du“, oder: „Peter, hör mal, Gespenster gibt es nicht, das sind Schauspieler in den Filmen.“ Aber erstens hab ich keine Angst vor der Dunkelheit, sondern vor den Sachen, die es im Dunkeln geben kann, und natürlich weiß ich, dass es keine Gespenster gibt, ist doch klar, dass das Schauspieler sind, ich bin ja kein Kleinkind mehr, okay, klein bin ich zwar, aber ich bin schon acht Jahre und acht Monate, ich bin eben nur ziemlich klein, ich bin der Kleinste in der Klasse, sogar die Mädchen mitgerechnet, aber nur, weil meine Eltern auch klein sind, vor allem meine Mama. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass es in der Nacht, in der Dunkelheit auf einmal alles gibt oder alles geben kann.

Der Papa hat mir also ein witziges Video gezeigt, wo der Voldemort, also der Schauspieler, der ihn spielt, Limo trinkt mit einem Strohhalm, und er hat mir erklärt, dass er so geschminkt ist und bloß auf den Filmdreh wartet, und deswegen muss er mit einem Strohhalm trinken, damit er sich nicht alles ruiniert, wie sie ihm das Gesicht angemalt haben. Und in dem Video hat er auch gar nicht so gruselig ausgesehen wie im Film, aber ich würde trotzdem nicht wollen, dass der nachts in meinem Zimmer ist.

Und wenn der Papa denkt, dass er mir hilft, wenn er mir erzählt, wie der Tom schön schläft und vor nix Angst hat, obwohl er jünger ist, dann hat er sich geschnitten, aber das hab ich ihm noch nicht gesagt.

Tja, und jetzt sitzen wir in der Badewanne, die Lucie nervt mich ein bisschen, dass ich mit ihr spielen soll, dass unsere Wassertiere auf einem Schiff nach England fahren und dort Tee trinken gehen, was ein ziemlich langweiliges Spiel ist, aber eigentlich freu ich mich auch jetzt, dass sie bei mir ist. Gegen Abend, wenn es dunkel wird, bin ich einfach nicht mehr gern alleine in einem Raum. Der Tom macht noch Hausaufgaben, er hat immer lange Training, also muss er die Sachen für die Schule noch nach dem Abendbrot machen, und die Lucie muss sich schon waschen gehen, also bin ich mit ihr hier.

„Auf geht’s.“ Die Mama will die Lucie aus der Wanne holen, aber das dauert eine Weile, die Lucie will nicht, und die beiden machen dabei lauter Blödsinn. Interessant ist, dass die Mama mit mir oder mit dem Tom keinen Blödsinn mehr macht, aber vielleicht hat sie’s ja, als wir noch klein waren, und mit großen Kindern machen Eltern einfach nicht mehr so viel Unfug.

Dann trägt sie die Lucie nach nebenan, damit sie ihr den Schlafanzug anziehen kann, und ich bleibe alleine im Bad, die Waschmaschine wäscht und macht ein Geräusch, das ist gut; wenn’s still ist, hilft das meiner Angst auch nicht besonders, obwohl die Waschmaschine manchmal auch komische Geräusche macht, das ist also auch kompliziert.

Aber heute ist das eh egal, heute ist nämlich was ganz Komisches passiert, und obwohl das echt gut war, hab ich jetzt wieder mehr Angst, und ich hatte schon gedacht, dass es jetzt, wo ich fast schon neun bin, besser wird. Und vielleicht war es auch wirklich besser, weil ich ein paarmal fast ganz normal eingeschlafen bin, noch vorm Papa, und ein paarmal bin ich in der Nacht überhaupt nicht mehr aufgewacht. Einschlafen und dann wieder aufwachen, das ist noch schlimmer, und nicht nur, weil meine Eltern, wenn sie schlafen gehen oder nachts aufs Klo, bei uns die kleine Nachttischlampe ausmachen und ich dann in absoluter Finsternis aufwache.

Und bei der Mama im Bett hab ich schon echt lange nicht mehr geschlafen, der Papa hat sogar gesagt, dass das endlich Zeit wurde, und ich hab gedacht, dass das mit meinem Schlafen jetzt endlich ein bisschen geklärt ist, aber jetzt weiß ich auch nicht, klar ist jedenfalls, dass ich heute garantiert nicht einschlafe.

Es ist nämlich passiert, dass ich einen alten Zauberer getroffen hab, das klingt wie aus einem Märchen, aber ich weiß nicht, wie ich’s sonst nennen soll. Dabei weiß ich ja, dass es keine Zauberwesen gibt, Gespenster, das Christkind, nichts, ich bin kein Kleinkind mehr. Bloß, der Opa heute hat eben Zauberkräfte gehabt. Dabei hat er ausgesehen wie ein ganz normaler Opa, alt, ein bisschen gerochen hat er, wie alte Leute riechen, er hat sich zu mir auf die Bank gesetzt. Ich hab gewartet, bis die Mama mit Einkaufen fertig ist, und hab auf die Lucie aufgepasst, die hat im Kinderwagen geschlafen, und ich hab mich gelangweilt und bin da in der Sonne ein bisschen eingeschlafen. Wenn ich mich nämlich nachmittags hinsetze, schlaf ich meistens nach einer Weile ein, vor allem wenn ich dabei irgendein beruhigendes Geräusch höre, und dort haben die Tauben gegurrt. Wahrscheinlich wär ich auch eingeschlafen, aber der Mann hat ausgesehen, als ob ihm heiß ist, und er hat so gehustet, dass er mir leidgetan hat, also hab ich ihm was von Lucies Trinken angeboten, den Himbeersaft in ihrer Plastikflasche mit dem Einhorn. Die Mama sagt, dass sie uns Kinder nicht versteht, was wir immer mit den Plastikflaschen haben, sie sagt, dass es aus denen eklig schmeckt, aber man muss ja sein Trinken in irgendwas mit in die Schule nehmen, also. Und außerdem, wenn dem Opa heiß ist, was garantiert so ist, weil er wahnsinnig dick angezogen ist und einen Hut aufhat und sich die Stirn mit einem Taschentuch abwischt, dann macht ihm das nix aus, und so ist es dann auch gewesen, er hat getrunken und war froh. Und dann hat er auch nicht mehr gehustet und nur noch geatmet und nach einer Weile hat er aus seiner Jacke einfach so ein lebendiges Chinchilla rausgeholt. Ich wusste natürlich in dem Moment nicht, dass das ein Chinchilla ist, mir kam das vor wie eine dicke Maus mit einem buschigen Schwanz, aber der Opa hat mir’s gesagt. Und er hat mir auch gesagt, dass es Hammi heißt, und dann, ob ich es nicht behalten will.

Ich versteh manchmal nicht richtig, wann die Erwachsenen Spaß machen und wann nicht, also hab ich lieber nichts gesagt, außerdem würden mir meine Eltern niemals ein Tier erlauben, aber der Opa hat gesagt, dass er verreisen muss und dass er es nicht mitnehmen kann, und ich soll es mitnehmen, ich bin bestimmt ein braver Junge. Das weiß ich nicht, ob ich brav bin, aber so oft mach ich auch keinen Unfug und ein Tier hätte ich auf jeden Fall gern, also hab ich gesagt, dass ich es gern haben würde, aber dass mir das meine Mama nicht erlaubt.

„Schade“, hat der Opa gesagt und die Mama ist aus dem Geschäft gekommen und gleich, was das sein soll, und ich hab’s ihr erklärt, aber sie hat gesagt, dass das Unsinn ist, und dann ist sie zu dem Opa auch noch ziemlich unfreundlich gewesen, von wegen, wir werden ja wohl keine Tiere von fremden Leuten mitnehmen und was das für Einfälle sind. Ich hab gleich gesehen, dass sie sauer ist, und die Lucie ist aufgewacht und hat angefangen zu heulen und meine Mutter hat meine Hand gepackt, dass wir jetzt gehen. Das hasse ich, wenn sie mich so packt, also bin ich lieber mitgegangen, aber ein bisschen musste ich auch heulen, aber so, damit sie’s nicht sehen kann. Ich war sauer, dass sie nicht mal drüber reden wollte, und unterwegs hat sie gesagt, dass das doch Unfug ist, wir können kein Tier von einem fremden Menschen annehmen – als ob wir schon mal ein Tier von einem Bekannten angenommen hätten. Und das hab ich ihr auch gesagt, wenn wir den Opa kennengelernt hätten, hätten wir dann den Hammi von ihm annehmen können?

Aber sie hat den Kopf geschüttelt und gesagt: „Hör sofort damit auf, oder heute gibt’s kein Fernsehen.“ Also hab ich nichts mehr gesagt, aber das war ungerecht, ich hätte ein schönes und abgerichtetes Chinchilla haben können, das war nämlich ganz zahm, der Opa hat es frei rumlaufen lassen und es ist nicht abgehauen, aber jetzt hab ich mal wieder gar nichts.

Aber dann hat bei uns auf einmal jemand geklingelt und die Mama ist aufmachen gegangen und vor der Tür war niemand, nur eine Schachtel und da drin das Chinchilla, und die Mama hat zu mir gesagt: „Und was ist das hier?“

In dem Moment war mir klar, dass das ein Wunder ist, dass das ein Zauberer gewesen sein muss, wie hätte er sonst wissen sollen, wo wir wohnen, wie wäre das Chinchilla sonst hierher gekommen? Und mir war auch sofort klar, dass ich es doch behalten muss, was soll denn sonst damit passieren? Der Mama ist das wahrscheinlich auch klar gewesen, denn als ich angefangen habe zu betteln und sie umarmt hab, weil ich weiß, dass sie das gern hat, da hat’s gar nicht lange gedauert und sie hat gesagt, ich soll das Tier behalten, aber nur, bis wir den Mann wiedertreffen und es ihm zurückgeben. Aber ich wusste, dass wir ihn nie wiedertreffen, und die Mama hat dann gesagt, dass sie sauer auf mich ist, weil ich ihm gesagt hab, wo wir wohnen, weil man das fremden Leuten nicht erzählt, das sollte ich ja wohl wissen, ich bin ja nicht mehr fünf, Herrgott noch mal.

Aber ich hab es ihm ja auch nicht gesagt, und das hab ich auch der Mama gesagt.

„Lüg mich nicht an.“

„Ich lüg dich gar nicht an.“

„Also hat uns der Irre verfolgt?“, hat sie gesagt und ich hab ein böses Gesicht gemacht, dass sie zu dem Opa, der so tolle Sachen macht, „Irrer“ sagt. Außerdem steht ja an unserer Tür gar kein Name, wie soll er also wissen, wo wir wohnen? Er hätte höchstens wissen können, dass wir in unser Haus gegangen sind, aber er konnte nicht wissen, welche Wohnung uns ist.

Also hab ich beschlossen, dass ich meine Mama anlüge, und ich hab gesagt, dass ich mich entschuldige, dass ich ihm gesagt hab, wo wir wohnen. Und die Mama hat gesagt, dass ich echt verrückt bin, dass das gefährlich ist, fremden Leuten solche Sachen zu sagen, und sie hat es mir noch eine Weile lang erklärt. Aber ich bin ja kein Idiot, ich hab nichts gesagt und sag das auch niemandem, aber ich musste das aushalten.

Dann hat der Papa noch mit mir drüber geredet, aber er hat mich auch ins Tiergeschäft mitgenommen, wo wir Sachen gekauft haben, damit das Chinchilla bei uns bleiben kann, obwohl meine Eltern alle beide dauernd sagen, dass wir das morgen klären gehen, ich wüsste ja gerne mal, wie, außer dass wir uns vor dem Geschäft auf die Bank setzen.

Außerdem muss ich das Chinchilla umbenennen, Hammi klingt so, als hätte ihm die Lucie den Namen gegeben.

Aber wir haben nur einen kleinen Käfig gekauft, ein großer ist zu teuer, und das Tier bleibt ja nicht bei uns, glaubt der Papa. Ich glaube zwar, dass wir trotzdem einen großen Käfig nachkaufen müssen, aber erst mal sag ich nix.

Also hab ich jetzt den Nicht-mehr-Hammi, den Ich-weiß-auch-noch-nicht-wen, der ist super, ich beobachte ihn, wie er durch den neuen Käfig streift, wie er trinkt und in den Sägespänen scharrt, und wir haben ihm auch Sand gekauft, weil die Verkäuferin zu uns gesagt hat, dass sich Chinchillas gern im Sand wälzen und dass das total niedlich ist.

Aber der Opa hat was Übernatürliches gemacht und ich frag mich, wenn es so einen Zauberopa gibt, warum kann es nicht auch andere übernatürliche Sachen geben wie Gespenster? Natürlich nicht direkt den Voldemort, der nur ein Schauspieler ist, oder den Darth Vader, der ist auch ein Schauspieler, sondern einfach irgendwas, was gruselig ist und kein Schauspieler? Ich stell mir jemanden vor, der ein ganz runzliges Gesicht hat, wie wenn einem die Finger runzlig werden, wenn man lange im Wasser ist, oder jemanden, der keine Augen hat, nur leere Augenhöhlen, wie ein Gerippe. Oder einen total mageren und großen Menschen mit ganz langen Klauen. Oder einen schwarzen Wirbel, was nicht mal ein Mensch ist, nur einfach so eine schwarze Substanz, die einen einsaugt und einem das Blut aussaugt und einem auch die Seele raubt.

Das sind alles Sachen, von denen ich geträumt hab.

Und auch jetzt kann ich meinen Eltern nix sagen, weil ich ihnen schon gesagt hab, dass ich dem Opa gesagt hab, wo wir wohnen, also würden sie mir jetzt nicht mehr glauben. Und deswegen kann ich heute nicht einschlafen, glaub ich.

Und auch, weil ich heute Nachmittag wieder geschlafen hab. Wenn ich nach Hause komme, und es ist ganz normal Tag und hell, und ich leg mich dann aufs Bett, dann merk ich, wie leicht der Schlaf kommt, wie wenn man im Winter was Warmes trinkt, wie sich dann die Wärme in einem ausbreitet, genauso breitet sich in mir die Müdigkeit aus und ich schlaf sofort ein. Manchmal lassen sie mich schlafen, manchmal nicht, aber ich schlaf zumindest eine Weile fast jeden Tag. „Desto eher kann er dann nachts nicht schlafen“, sagt der Papa, er kann das nicht leiden, und wenn ich zufällig gerade schlafe, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, dann weckt er mich sofort auf. In dem Moment kann ich ihn echt nicht ausstehen. „Guck mich nicht so an, du kannst sonst heute Nacht wieder nicht schlafen.“

Der Tom kommt und steigt zu mir in die Wanne. Er hat vom Training einen Haufen blaue Flecke und einen Zahn hat er sich auch schon ausgebrochen und jetzt kriegt einen neuen gemacht.

„Na, was ist, du Blödi?“, sagt er zu mir.

„Nichts, du Doofi“, sage ich zu ihm.

„Wenn du eine Fellmaus hast, dann wünsch ich mir eine Schlange. Und die lass ich dann in dein Zimmer.“

Klar, solches Zeug sagt er dauernd, das ist mir egal, aber manchmal sagt er zufällig auch was, das ich schlimm finde, zum Beispiel als er gesagt hat, dass er in der Wand seltsame Geräusche hört, und ich hab die dann auch gleich gehört. Oder als er mal in der Nacht meine ganzen Klamotten auf mich geschmissen hat, die er im Schrank gefunden hat, und ich unter der Last von dem ganzen Zeug aufgewacht bin und nicht da rausgefunden hab, und zwischen die Klamotten hatte er noch seinen schleimigen Spielzeugkäfer gepackt, das ist ganz furchtbar gewesen, obwohl das schon lange her ist, da bin ich echt noch klein gewesen.

Das war so furchtbar, dass er mir seitdem nichts mehr getan hat. Der Papa hat ihn sogar ein bisschen angeschrien, was er ansonsten nur wegen dem Hallenfußball macht, also hat sich das alles wahrscheinlich irgendwie gelohnt, aber trotzdem hatte ich von dem Schreck noch mehrere Tage lang ein Zucken im Auge. Und wegen dem Auge hat der Papa ihn angeschrieben und deswegen tut mir der Tom nichts mehr, er macht sich nur über mich lustig.

 

Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch