Taťána Rubášová & Jindřich Janíček

Zwei Roboter auf wundersamer Expedition

2016 | Labyrint & Take Take Take

Nachdem wir die Mauer hinter uns gelassen hatten, sind wir lange gewandert. So lange, dass wir jedes Zeitgefühl verloren haben. Nur die verschiedenen Oberflächen habe ich noch wahrgenommen. Den illustrierten Beschreibungen im Doc zufolge, haben wir eine Wüste durchquert, eine Savanne und dichten Wald. Dieser ist, so scheint es bisher, die vorherrschende Landschaft in der Umgebung der Mauer. Noch ist alles, was wir brauchen, in ausreichendem Maß vorhanden: Treibstoff ebenso wie Begeisterung. Am Waldrand stießen wir dann allerdings auf das erste unüberwindliche Hindernis.

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Es handelt sich dabei um Wasser. Und zwar in Mengen, wie sie uns zuvor noch nie begegnet sind. In der Sekunde fließen hier stattliche 200 000 Kubikmeter vorbei. Ich habe es „Amazonas“ getauft, nach meinem Lieblingsgeschäft für Technikbedarf. Insgeheim erfreut es mich ein klein wenig, dass sich auch Meriwether keinen Rat weiß. Der gefällte Baum war nicht lang genug, um darauf den Fluss zu überqueren, und springen können wir nur 8,95 Meter weit. Wir sind uns nicht sicher, ob der Kontakt mit Wasser unser Ende bedeuten würde.

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Meriwether hat sich zu einem mutigen Schritt entschlossen. Einem Schritt ins Wasser. Seine Anzeigen melden keinerlei Schäden und er spornt mich an, ihm zu folgen. Ich zögere noch immer. Meiner Erfahrung nach ist meine Oberfläche sehr viel empfindlicher als bei anderen. Meine Wissenschaftlerkollegen behaupten, das wäre Blödsinn und nichts als Einbildung. Sollte ich allerdings gleich am Anfang der Reise Rost ansetzen, würde das unsere Expedition gefährden. Ich denke da an das alte Sprichwort: „Einer alleine reicht nicht für ein Tuning.“ Und auch eine Forschungsreise braucht mindestens zwei Teilnehmer.

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Den Amazonas haben wir ohne Schwierigkeiten bezwungen. Unter der Oberfläche erwartete uns natürlich eine große Überraschung. Eine Menge neuer Arten, für die das Wasser eine ganz natürliche Umgebung ist. Sie zeigen keine Anzeichen von Korrosion. Ihre Bewegungen sind flüssig, ohne dass irgendwelche Verbindungsteile zu sehen wären, als ob sie aus einem Stück geformt sind. Möglicherweise funktioniert ihr Antrieb mit Kunststoff, denn eines hat versucht, an meinem Regencape zu knabbern. Doch für eine detailliertere Analyse blieb mir keine Zeit.

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Ich habe Meriwether gedrängt, noch etwas zu bleiben und den Amazonas genauer zu untersuchen. Mein Kompagnon bestand jedoch auf sofortigen Trocknungsmaßnahmen, um einer Zerstörung vorzubeugen. Der Klügere gibt nach, und so bin ich lieber einem Konflikt aus dem Weg gegangen. Auf dem Festland habe ich dann dieselbe Art entdeckt, die sich unter Wasser so geschmeidig bewegt hat. Möglicherweise handelt es sich also um ein Amphibium, das mit beiden Elementen zurechtkommt. Solch eine Erweiterung könnte sich auch für unsere Zivilisation als praktisches Upgrade erweisen.

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Die ganze Nacht haben wir damit verbracht, Nachrichten zu verschicken. Das Signal ist bereits ziemlich schwach und die Verbindung wird durch die Wälder zusehends gestört. Ich freue mich aufrichtig darauf, dass wir bald von jeglichem Kontakt befreit sind. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber das gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Unser hohes technisches Entwicklungsniveau hat viele positive Seiten, aber das ständige Teilen aller Informationen belastet mich. Zu Hause führt das Teilen überflüssiger Daten zu einer Überflutung, von der ich mich auf der Expedition gerne erholen will.

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Ich spüre bei mir einen gewissen Verschleiß. Höchstwahrscheinlich liegt es an der Fülle von Erlebnissen, die mein Programm verarbeiten muss. Meriwether sprüht, wie es scheint, vor Energie. Ich will nicht respektlos sein, aber er nimmt nicht so viele Reize wahr wie ich. Deshalb entlädt sich seine Batterie auch viel langsamer. Es zeigt sich, dass sich unsere Fabrikhardware stärker unterscheidet, als ich gedacht hatte. Ich fühle mich jedoch nicht minderwertig. Jeder von uns hat andere Vorzüge.

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Ich habe eine unerwartete Energiequelle entdeckt. Der Gedanke an die unerforschten Gebiete, die noch vor uns liegen, lädt mich regelrecht auf. Meriwether jagt unerschrocken voran, als würde sein Gehäuse von einem Magneten angezogen. Ich versuche, mich an seine Fersen zu heften, was kein Problem ist, weil im Wald die Schatten so lang sind. Manchmal sehe ich in ihnen Dinge, die ich lieber nicht sehen würde. Ich versuche, mir einzureden, dass ich ein Held bin. Aber dann schäme ich mich dafür. Ein Held trägt schließlich kein Regencape.

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Wir legten eine Pause an einem Baum ein, dessen Umfang uns in Erstaunen versetzte. Es hätte fünf Roboter gebraucht, um seinen Stamm zu umfassen. Oder einen mit Teleskop-Armen. Mir ist aufgefallen, dass Meriwether sich immer mehr für seine Umgebung interessiert. Das ist eine gute Nachricht. Die Werkseinstellungen sind nicht alles, jeder kann aus seinem Programm ausbrechen, wenn seine Motivation stark genug ist. Ich hoffe, der neue, „wissenschaftlichere“ Meriwether wird nicht auf einmal so ein Angsthase wie ich. Haha. Haha. Ähm.

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Mir wurde klar, dass Bäume von so mächtigem Wuchs tiefe Wurzeln haben müssen, um die nötige Stabilität zu erhalten. Wenn ein Roboter zehnmal so groß wäre, was eine lächerliche Vorstellung ist, bräuchte er eine zehnmal so große Auftrittsfläche. Sonst würde er umfallen. Ich wüsste gerne, wie weit die Wurzeln dieses Exemplars reichen. Leider sind unsere Instrumente nicht im Stande, so etwas zu messen. Als Nächstes machen wir uns auf, einen Berg mit einem bemerkenswerten Felsvorsprung zu bezwingen.

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Der Beweis, dass die Welt viel älter ist, als immer behauptet wurde. Nach unseren Messungen ist der Baum vor uns 9550 Jahre alt. Der zweite Stamm ist 8 Minuten jünger. Das ist die erste grundlegende Entdeckung unserer Expedition. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine spezielle Baumart, die sich im Laufe der Evolution besonders bewährt hat, sondern um eine ganz gewöhnliche gemeine Fichte. Bei diesen zwei Fichten musste ich an Meriwether und mich denken. Auf ewig miteinander verbunden, versuchen sie einander auszuweichen, überleben aber gemeinsam in guten wie in schlechten Zeiten.

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Verzeichnis der Proben:

  1. Symmetrische Quader aus Polyvinylchlorid
  2. hohle, ellipsoidische Körper mit unbekannter Funktion
  3. Gebilde aus mineralisierten Strukturen
  4. flacher Zylinder aus vulkanisiertem Gummi
  5. fotosynthetische Materialien, die empfindlich auf Kohlenstoffdioxid reagieren
  6. fliegende Proben (ähnliche Arten / unterschiedliche Größen)
  7. Faden herstellende Probe
  8. Gruppe mit Wasserantrieb
  9. Drähte mit unterschiedlicher Biegsamkeit

 

Wenn ich mir aussuchen könnte, wo außerhalb der Mauer ich gerne leben würde, läge das Moor auf dem allerletzten Platz. Was ist das für eine Oberfläche, die weder fest noch flüssig ist? Die Bäume haben alle Blätter verloren und sämtliche Geräusch sind völlig verstummt. Wir bemühen uns, diese Gegend so schnell wie möglich hinter uns zu lassen, aber bisher bewegen wir uns mit der niedrigsten Geschwindigkeit. Meriwether zieht mich auf und fragt, ob ich nicht länger hierbleiben und Proben sammeln will. Sein Humor gleicht einem kahlen Ast im Moor. Er piekt einen an einer empfindlichen Stelle, wenn man es nicht erwartet.

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Der Wald wird immer dichter. Hier ist es dämmrig und wir merken nicht, wann Nacht ist und wann Tag. Ich bin ganz fasziniert von dieser Umgebung, die gänzlich unabhängig von uns existiert. Als hätte jemand mit unserer Ankunft gerechnet, bildet ein umgestürzter Baumstamm für uns eine Brücke über die Schlucht. Ob er allerdings beim Fall ein Geräusch von sich gegeben hat, wenn weit und breit niemand da war, der es hätte hören können? Ich habe Meriwether gefragt und darauf erwiderte er, ob es jemals vorkäme, dass ich kein Geräusch von mir geben würde.

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Wir sind einige Monate gewandert, in denen rein gar nichts passiert ist. Wir haben uns nur hin und wieder gestritten. Wir streiten uns über Lappalien. Ich betrachte eine Datei, die von Doc stammt, als alleingültige Informationsquelle. Während mein Kompagnon darauf besteht, dass sämtliche Wissensquellen von Pedeef zusammengetragen wurden. Beweise gibt es nicht, also entzweien uns unablässige Mutmaßungen. Nicht nur uns, sondern unsere gesamte Gesellschaft. Erst ein wundersames Leuchten brachte unsere Streitereien zum Verstummen.

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Ich war so aufgeregt, dass ich meine Angst völlig vergaß. Vielleicht zum allerersten Mal bin ich Meriwether vorausgeeilt. Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt. Diesmal war er es, der mich gewarnt hat, dass es sich um eine Falle handeln könnte. Es gibt nämlich Aufzeichnungen seines Pedeef über Licht, dass zur Teleportation fähig ist. Angeblich steckt es hinter geheimen Entführungen auf ein Flugmaschine, das von einer völlig unbekannten Zivilisation gesteuert wird. Als Wissenschaftler halte ich das für lächerlich. Es gibt keine Flugmaschinen.

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Was wir dann fanden, hat uns verblüfft. Das Licht ging vom Mond aus, der auf eine Lichtung schien. Wir waren so lange durch den dichten Wald gelaufen, dass wir jedes Gefühl dafür verloren hatten, wann die Nacht hereingebrochen war. Mitten auf der Lichtung stand ein höchst sonderbarer Gegenstand. Er erinnerte mich an die alte Legende von Ika & Rus, den fliegenden Robotern. Ich habe sie immer für Unsinn gehalten. Aber was wäre, wenn wir gerade den Beweis entdeckt hätten, dass es sie wirklich gab? Konnten unsere Vorfahren etwa fliegen? Und was haben die Zeichen auf dem Sockel zu bedeuten?

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Unser Fund versetzte mich in große Aufregung. Wir haben alle möglichen Einträge angelegt und Proben aufgelistet, aber nichts hat uns einer logischen Schlussfolgerung nähergebracht. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns die nähere Erforschung fürs Labor aufzuheben und uns wieder auf den Weg zu machen. Wir ließen den Wald hinter uns. Draußen wurde uns bewusst, wie sehr uns die bisherige Wanderung mitgenommen hatte. Wir sind einfach nicht dafür gebaut, uns durch Feuchtigkeit, Schlamm und unwegsames Gelände zu schlagen. Unsere Treibstoffanzeigen waren fast bei null und es war Zeit für einen Boxenstopp.

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Wir hatten eine Generalüberholung bitter nötig. Mit Schmieröl fettete ich meine Gewinde ein, die meine Hardware schon ziemlich verlangsamt hatten. Was die Reaktionsfähigkeit angeht, bin ich schon auf dem Niveau von Meriwether angelangt. Er hätte mich fast überzeugt, dass Pedeef eine gültige Informationsquelle darstellt. Ich habe eine lange Leitung entdeckt, die ich festziehen musste. Unsere Gehäuse bekamen einen neuen Anstrich. Ein Blick in die Ferne lässt vermuten, dass wir ihn brauchen werden.

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Wir haben den ersten Fehler in Meriwethers Programm entdeckt. Er hat Höhenangst. Ich musste voran klettern und sagen, dass wir gleich oben sind. Mein Regencape wehte im Wind und weit und breit gab es keinen größeren Helden. Für so eine Kletterei sind wir nicht ausgelegt. Ideal wären fünf Greifglieder statt unserer drei. Dann könnte man sich besser an den Vorsprüngen festhalten. Und wenn ich so darüber nachdenke, würde es auch die Handhabung vieler anderer Dinge vereinfachen. Ich werde das nach unserer Rückkehr vorschlagen.

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Meriwether hat etwas auf einer Felskante gesehen. Es war gleich wieder verschwunden, deshalb sind wir uns nicht sicher, was genau wir gesehen haben. Vielleicht den ersten Bewohner der Welt hinter der Großen Mauer? Er war um die zweieinhalb Meter groß und hatte einen staksigen Gang. Etwa so wie Meriwether, wenn er es mit dem Einfetten übertreibt. Falls das ein Roboter war, trug er einen Schutzanzug, höchstwahrscheinlich wegen der ungünstigen Umweltbedingungen. Ich habe das Geschöpf bei mir „jemand tendenziell schwer Identifizierbares“ genannt. Kurz Jeti.

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Ich weiß nicht, was in Meriwether gefahren ist. Er hat mir mitgeteilt, dass er den Jeti verfolgen will. Ich glaube eher, dass er seinem verlorenen Mut hinterherjagt. Er kletterte die Felswand hinauf und befahl mir, ihn zu sichern. Es gefällt mir nicht, wenn ihn so eine unbeherrschte Laune überkommt. Nach einer kurzen Streiterei habe ich beschlossen, mich nicht länger zu widersetzen. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass mein teurer Begleiter abstürzt. Manch einer würde das Intuition nennen, ein anderer genaue Berechnung der Festigkeit eines Felsüberhangs.

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Obwohl ich Meriwether sehr sicher aufgefangen habe, hat es nichts genutzt. Aufgrund unseres gemeinsamen Gewichts, des Gewichts unseres Gepäcks, der Ausrüstung und vor allem des Felsbrockens, den Meriwether immer noch festhielt, hat es uns erwischt. Im Labor gibt es ein beliebtes Rätsel: Was ist schwerer: Ein Kilo Federn oder ein Kilo Eisen? Wenn ich Meriwether in diesem Moment irgendetwas mitteilen könnte, wäre es vermutlich: „Ich hab’s dir gesagt.“ Aber dann stürzten wir einfach nur in die Tiefe.

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Manche behaupten, dass man im Moment der totalen Liquidation das ganze Leben vor sich ablaufen sieht. Das trifft nicht zu, wenn man in einen unendlich tiefen Abgrund stürzt. In diesem Fall sieht man nur den Fels. Allerdings sind wir wirklich lange gestürzt, und so hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe mich an alle 22124102015 Tage im Labor erinnert. Sie waren alle gleich, es hat also nicht lange gedauert. Mich würde interessieren, was Meriwether vor sich ablaufen sah. Wir hätten uns besser kennenlernen sollen.

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Als mir langweilig wurde, habe ich mir eine Geschichte ausgedacht. Sie handelt von einem Roboter, der ein seltsames Geschöpf sieht. Er rennt ihm hinterher und fällt in ein Loch. Er fällt unendlich lang in die Tiefe und unterwegs sieht er die Behausungen anderer Geschöpfe. Als er endlich ankommt, merkt er, dass er in einer Welt ist, wo die ihm bekannten Regeln nicht gelten. Als er aus einem Fläschchen trinkt, wird er kleiner, und als er aus einem anderen trinkt, wird er riesengroß. Dann trifft er eine Gestalt mit einem Zylinder und… Schade, dass ich keine Zeit hatte, die Geschichte zu beenden.

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Übersetzung: Katharina Hinderer