ES IST WOHL DIE ACHTE STRAßENBAHN, DIE UM DIE KURVE hinunter in Richtung Holešovice fährt. Der Anhänger sieht einen Augenblick so aus, als stürze er im nächsten Moment um, aber wie alle anderen vor ihm fängt er sich wieder. Kurz schien es, als würde eine Frau in der Straßenbahn ihm zuwinken, aber sie hob nur die Hand, um sich die Haare in Ordnung zu bringen. Seit dem frühen Morgen hatten sie hier beide in den Fenstern der Bahnen schon so viele Gesichter gesehen. Jan schaut hinauf zum Berg. Immer noch nichts. Jožka sitzt auf der Mauer, über dem Arm hat er den Mantel. Er spürt, wie ihm einige Schweißtropfen den Hals entlang rinnen. Am Schlüsselbein entlang ist es eine fast so scharfe Kurve wie diese hier. Am Fischmarkt putzt Theodor Šulc die vordere Scheibe des Lieferwagens mit einem schmutzigen Lappen, sodass sie dreckiger wird als zuvor. František Šitta tritt aus dem Büro und zündet sich eine Zigarette an. Dann lehnt er sich zurück und betrachtet den Himmel. Hier und da eine Wolke, aber es wird ein schöner Tag. Jožka löst Jan beim Starren auf die Straße ab. Dieser setzt sich auf die Mauer und betrachtet das Fahrrad, auf dem er gekommen ist. Der Kratzer auf dem Rahmen war da gestern noch nicht. Bei den Khodls ist wahrscheinlich niemand zu Hause. Auf der Uhr kriecht der Zeiger auf halb. Am Kiosk kauft sich jemand eine Zeitung und springt dann auf eine fahrende Linie drei. Jan greift in die Aktentasche und berührt mit den Fingern die Granate. Er hebt den Kopf, eine Frau mit zwei Taschen lächelt ihn an. Dann verschwindet sie hinter dem Zaun. Hans Ulrich Geschke trinkt Kaffee und beginnt der Sekretärin zu diktieren. Er riecht ihr Parfüm und kann sich nicht konzentrieren. Der Uhrzeiger berührt den niedrigsten Punkt des Zifferblatts. Über den Sitz von Jans Fahrrad stolziert eine Fliege. Im Paradeschritt. Der Zeiger beginnt den steilen Berg hinaufzuklettern. Der Lieferwagen auch. František Šitta flucht während der ganzen Fahrt über die dreckige Scheibe.
Geheime Staatspolizei
Staatspolizeileitstelle Prag
– II G –
Prag, 27. Mai 1942
Zwischenbericht,1Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 100-101.
Am 27. Mai 1942 fuhr SS-Obergruppenführer Heydrich mit seinem Kraftfahrer – Wagennummer SS 3 – von seinem Sommerhaus in Jungfern-Breschan nach Prag hinein. Der Wagen fuhr durch die Kirchmeiergasse in die Straße Klein-Holleschowitz hinein, wobei er eine ganz spitze Kurve zu nehmen hat, sodass die Geschwindigkeit stark herabgemindert werden muss. An dieser Stelle wurde um 10,35 Uhr auf den Wagen eine Sprengbombe geworfen und außerdem das Feuer aus einer Maschinenpistole eröffnet. Nach der bisher vorliegenden Rekonstruktion des Falles handelt es sich mit Sicherheit um zwei Täter, die zwei Fahrräder an der gegenüberliegenden Straßenseite der Kirchmeiergasse an einem Drahtzaun abgestellt hatten. Einem der Täter gelang es, sein Fahrrad zu erreichen und die Kirchmeiergasse in Richtung Prag zu entkommen. Die sofort aufgenommene Verfolgung durch Polizei und Angehörige der Regierungstruppe hat bisher zu keinem Erfolge geführt. Der zweite Täter wurde von dem Kraftfahrer des Obergruppenführers die Kirchmeiergasse hinauf in Richtung Theresienstadt verfolgt, wurde aber nicht gestellt, weil er den Kraftfahrer durch mehrere Schüsse verletzte. Die Bombe hat den Wagen des Obergruppenführers am hinteren Teil getroffen und vom rechten Hinterrad aus die Seitenwand durchschlagen, so dass der Obergruppenführer durch Splitterwirkung im Rücken verletzt wurde. Durch einen tschechischen Zivilwachmann, der einen Lastwagen sofort anhielt, wurde der Obergruppenführer in das in der Nähe liegende Krankenhaus Bulovka überführt, wo eine sofortige Operation durch die besten deutschen Ärzte in Prag vorgenommen wurde. Der Kraftfahrer liegt mit mehreren Beinschüssen im gleichen Krankenhaus.
Am Tatort wurde eine Maschinenpistole vorgefunden, ein Mantel eines Täters, zwei Aktentaschen, in denen je eine fertige Sprengbombe, die bisher hier nicht bekannt war, sich befanden, außerdem ein Fahrrad und eine Mütze. Bei der Maschinenpistole handelt es sich um ein Modell, das von der Staatspolizeileitstelle Prag bereits erfasst wurde und von dem englischen Fallschirmagenten im April und Mai d. Js. im Bereich der Staatspolizeileitstelle Prag abgeworfen wurde. Es wurden bereits 10,50 Uhr umfangreiche Fahndungsmaßnahmen eingeleitet, so u. a. Sperrung des gesamten zivilen Eisenbahnverkehrs von Prag aus, Sperrung sämtlicher Straßen usw. Die Ermittlungen am Tatort werden z. Zt. mit Nachdruck weitergeführt.
Dr. Geschke
SS-Standartenführer
Bekanntmachung.2Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 112.
1) Am 27. 5. 1942 wurde auf den Stellvertretenden Reichsprotektor, SS-Obergruppenführer Heydrich, in Prag ein Attentat verübt. Für die Ergreifung der Täter wird eine Belohnung von 10 Millionen Kronen ausgesetzt. Wer die Täter beherbergt oder ihnen Hilfe leistet oder von ihrer Person oder ihrem Aufenthalt Kenntnis hat und keine Anzeige erstattet, wird mit seiner gesamten Familie erschossen.
2) Über den Oberlandratsbezirk Prag wird mit der Verhängung dieser Bekanntmachung durch den Rundfunk der zivile Ausnahmezustand verhängt. Folgende Maßnahmen werden angeordnet:
a) Ausgehverbot für die gesamte Zivilbevölkerung vom 27. 5., 21 Uhr, bis 28. 5., 6 Uhr.
b) Für die gleiche Zeit werden sämtliche Gaststätten, Lichtspielhäuser, Theater, öffentliche Vergnügungsstätten und der gesamte öffentliche Verkehr gesperrt.
c) Wer trotz dieses Verbotes sich in der angegebenen Zeit auf der Straße zeigt, wird erschossen, wenn er auf einmaligen Anruf nicht stehen bleibt.
d) Weitere Maßnahmen bleiben vorbehalten und werden gegebenenfalls durch Rundfunk veröffentlicht.
Der Höhere SS- und Polizeiführer
beim Reichsprotektor
in Böhmen und Mähren.
Schaffner des Anhängers der Straßenbahn L. 33Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 169.
Wagen Nr. 1469,
Franz Zima, Nr. 5315
geb. 11. 3. 08 in Prag, evangelisch, verheiratet,
Protektoratsangehöriger, wohnhaft in Prag VII, Jedličkastr. 879/52.
Wir fuhren von Rokosgrund zur Wagenhalle in Kobilis. An der Ecke Kl. Holleschowitzerstr. u. Fügnerstr. erfolgte plötzlich eine Explosion, worauf die Straßenbahn sofort ruckartig anhielt. Ich stieg aus dem Anhänger aus u. ging hinten um die Straßenbahn herum, weil ich im Glauben war, dass der Luftbehälter der Straßenbahnbremse geplatzt sei. Als ich am hinteren Ende der Straßenbahn war, sah ich am Randstein ein Auto stehen und hörte Leute in tschechischer Sprache wiederholt schreien „fangt ihn, fangt ihn“. Zur gleichen Zeit sah ich einen Mann in Richtung Fügnerstr. laufen, der ein Fahrrad vom Zaun gegenüber der Straßenbahnhaltestelle der Linie 14 nahm u. in Richtung Lieben davon fuhr. Der Mann ist von einigen Zivilisten verfolgt worden. Während der Verfolgung gab der Täter auf seine Verfolger Schüsse ab u. zwar Einzelschüsse. Der Mann war etwa 1.70 groß, stark u. mit einem dunklen Anzug bekleidet ohne Kopfbedeckung. Das Alter kann ich nicht angeben. Einen zweiten Täter habe ich nicht gesehen.
In tschech. übersetzt, genehmigt und unterschrieben.
Frant. Zima
Geschlossen:
Neubecker
Krimiminalsekretär
IN DER WOHNUNG HERRSCHT ABSOLUTE STILLE, nur die Uhr in der Küche vermisst den Moment. Marie Nováková setzt Jan auf einen Stuhl unter dem Fenster, um sein Gesicht gut sehen zu können. Hier und da kommt die Sonne zwischen den Wolken durch und das Blut auf Jans Gesicht wechselt von dunklem Karminrot zu Rot. Marie wischt dieses Rot in ein weißes Handtuch, das sie anschließend wahrscheinlich wegwirft. Jan riecht nach Blut und nach Schweiß und nach noch etwas anderem, vielleicht ist es Schießpulver oder Kriegsgeruch oder der Duft des Todes. Jan hebt die Hand und legt die Handfläche aufs Fenster. Er versucht, zwischen den gespreizten Fingern ein paar Strahlen der Sonne in die Wohnung zu lassen, doch sie verschwindet hinter einer Wolke. Dann zucken beide zusammen, es ist ein Geräusch an der Tür. Jindřiška versucht das Fahrrad in die Wohnung zu bekommen. Sie hat die Hände voll mit dem Blut, das am Lenker war. Die Punkte auf dem Kleid haben die selbe Farbe wie Jans Blut, wenn die Sonne nicht darauf scheint. Marie verbindet die Wunde mit einem Pflaster, unter das sie ein Stück zusammengerollten Verband gelegt hat. Jan zieht das blutbefleckte Hemd aus und legt es auf das Handtuch. Er bekommt eines der Hemden von Herrn Novák und einen Apfel aus der Schüssel auf dem Tisch, und geht nach Líbeň zu den Piskáčeks. Die junge Frau lächelt ihn noch im Türrahmen an und schließt dann hinter ihm die Tür. Bevor sie geschlossen ist, dreht sich Jan Kubiš um und salutiert. Jindřiška geht in die Küche und streicht ihrer Mutter über das Haar. Die trocknet sich mit dem blutigen Handtuch die Tränen und steht auf. Sie nimmt ein Messer aus der Schublade in der Anrichte und fängt an eine Kartoffel zu schälen. Etwas, das Sinn ergibt.
Das Musikkorps der Marine wird auf dem Altstädter Ring auftreten.
Am Sonntag, den 31. Mai wird ein Konzertauftritt des Musikkorps der Marine von 12h bis 13h auf dem Altstädter Ring stattfinden. Das Korps wurde anlässlich der Feierlichkeiten zum Jubiläum der Skagerrakschlacht nach Prag geholt, die am selben Tag vormittags in der Deutschen Oper in Anwesenheit geladener Gäste stattfinden. Das Musikkorps wird anschließend allen Freunden der Marine eine fröhliche Stunde bescheren. (LBM)
Schmalz statt Butter für alle Verbraucherarten.
Der Böhmisch-Mährische Verband für Milch und Fette macht Verbraucher und Versorger darauf aufmerksam, dass in der 35. Versorgungsperiode (11. Mai – 7. Juni) Schweineschmalz statt Butter an alle Arten von Verbrauchern ausgegeben werden kann. Nicht nur für normale Verbraucher und Kinder von 6-14 Jahren, sondern auch für Kinder bis 6 Jahren wird je nach Wunsch des Verbrauchers statt frischer Butter frisches rohes oder gebratenes Schweineschmalz ausgegeben.
Prag, den 27. Mai 1942.
Betrifft:4Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 127. Besuch des Staatspräsidenten Hácha bei Staatssekretär SS-Gruppenführer K. H. Frank am 27. 5. 1942, um 16.00 Uhr.
Zugegen waren weiter der Wehrmachtsbevollmächtigte beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, Herr General Toussaint, und der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Standartenführer Böhme.
Der Staatspräsident drückte sein Bedauern über den unglücklichen Vorfall aus. Er erkundigte sich nach dem Zustand des Stellvertretenden Reichsprotektors SS-Obergruppenführer Heydrich, worauf ihm der Herr Staatssekretär das Protokoll des Professors Dr. Dick vorlas. Weiterhin fragte der Herr Staatspräsident, ob seitens seiner Person oder seitens der Regierung irgendetwas zu veranlassen sei. Der Herr Staatssekretär erklärte ihm dazu, dass vorläufig keine Maßnahmen von tschechischer Seite erwartet würden. Er würde sich noch überlegen, ob ein Eingreifen der Person des Herrn Staatspräsidenten oder eines Regierungsmitgliedes notwendig erscheine. In diesem Falle würde er innerhalb der nächsten zwei Stunden Bescheid geben. Daraufhin wurde dem Herrn Staatspräsidenten die amtliche Bekanntmachung über das Attentat mit dem Belohnungshinweis und der Bekanntgabe des zivilen Ausnahmezustandes für das Gebiet des Oberlandratbezirkes Prag vorgelesen. Der Herr Staatspräsident nahm zur Kenntnis, dass er auch um 9.00 Uhr zu Hause sein muss. Danach wollte er sich richten. Der Herr Staatspräsident bat vor seinem Weggehen um Bekanntgabe des ehesten Termines, zu dem er seinen Besuch bei SS-Obergruppenführer Heydrich machen könne.
Böhme
VLADIMÍR KRAJINA WAGT NICHT NACH UNTEN ZU SCHAUEN, deshalb beobachtet er den Knoten der an den Fenstergriff gebunden Schnur. Er kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser sich langsam lockert. Mit der anderen Hand stützt er sich auf den Fenstersims. Dann schaut er doch auf den Boden des Lichtschachts. Als sein Blick über die gelbgrauen Wände gleitet, streift er ein erleuchtetes Badezimmerfenster. Unten auf dem Boden des Schachtes liegen einige Zettel, die die Lichtreste nach oben reflektieren. Daneben etwas, das aussieht wie eine Margarinedose, und etwas, das aussieht wie ein Kadaver. Professor Krajina vergisst für einen Augenblick seine Angst, vergisst sogar auf den Lärm aus der Wohnung zu achten, der wohl von der Durchsuchung der Schränke durch die Gestapo kommt, und versucht seinen Blick auf den Kadaver zu fokussieren. Dann kommt aus einem weiteren Fenster ein weiteres Licht und fällt auf den haarigen Kadaver. Es ist ein Teddybär, dem ein Bein fehlt. Vermutlich ist er aus einem der oberen Stockwerke gefallen. Am anderen Rand von Prag versucht Karel Čurda in der Lumir-Gasse, in einem anderen Lichtschacht, seinen Rücken aufzurichten. Er krümmt sich hier schon fast zwei Stunden und die Razzia im Haus ist, dem Lärm nach zu urteilen, noch immer nicht zu Ende. Hier herrscht völlige Dunkelheit, nur wenn er ganz nach oben schaut, sieht er nach einer Weile ein Stück des dunklen Himmels. Er ist nicht heller als die Dunkelheit im Schacht, aber er ist weicher. Weil er sich die Schuhe so schnell angezogen hat, ist die Socke nur schlecht gestrafft und drückt ihn nun zusammengeknüllt unter den Zehen des rechten Fußes ganz ordentlich. Jan Zika bindet das eine Ende der Wäscheleine an den Fuß der schweren Bibliothek und zieht ein paar mal fest an der Schnur. Dann wirft er die Leine aus dem Fenster im dritten Stock. Er bemerkt noch, dass sich in der Bibliothek Masaryks Schrift „Der Selbstmord als soziale Massenerscheinung der Gegenwart“ befindet. Er bemerkt aber nicht mehr, dass die Schnur an einer Stelle fast durchgescheuert ist, da Frau Preisslerová sie immer draußen auf dem Balkon über die Ecke gezogen hat, wenn sie wollte, dass die Wäsche hübsch an der Sonne trocknete. Er setzt sich aufs Fensterbrett und schaut nach unten. Adolf Opálka hört von seinem Versteck aus ein Türenknallen und hofft, dass es das Ende der Razzia sei. Zwischen den Fingern dreht er eine Taubenfeder und freut sich auf draußen. Auf den Maihimmel. Ziviler Ausnahmezustand.
Prag, 28. Mai. (ČTK) Durch das Urteil des Standgerichts in Prag vom 28. Mai 1942 wurden folgende Personen zum Tod durch Erschießen verurteilt:
- Václav Stehlík, geboren am 14. Oktober 1897 in Kamenný Újezd,
- Růžena Stehlíková, geb. Nováková, geboren am 19. April 1898 in Rokycany,
- Václav Stehlík, geboren am 28. Oktober 1915 in Kamenný Újezd,
- František Stehlík, geboren am 11. August 1925 in Rokycany,
- František Mareška, geboren am 2. Dezember 1911 v Kriegern (Kryry),
- Josefina Marešková, geb. Stehlíková, geboren am 10. Februar 1914 in Kamenný Újezd,
alle wohnhaft in Rokycany. Die Verurteilten versteckten wissentlich polizeilich nicht gemeldete Personen, die an reichsfeindlichen Taten beteiligt waren. Das Urteil wurde heute vollstreckt. Das Vermögen der Verurteilten wurde beschlagnahmt.
Himmelserscheinungen in der nächsten Woche.
Die Sonne geht allmählich der Sommersonnenwende entgegen, weshalb ihr Anstieg etwas sanfter wird. Die Tage werden jetzt nur noch unmerklich länger. Die Sonne geht am 31. Mai um 4 Uhr und 57 auf und um 20 Uhr 58 unter. Die Länge des Tages beträgt Anfang der Woche 16 Stunden 01 Minute, also wird der Tag in einer Woche um 10 Minuten länger. Der Mond schreitet durch das Sternzeichen des Steinbocks zum Wassermann und zu den Fischen und gelangt am 5. Juni ins letzte Viertel um 23h 26 min. Merkur ist ein Abendstern und geht Mitte der Woche fast eine dreiviertel Stunde später unter als die Sonne. Mars scheint wie ein Stern zweiter Größenklasse. Er geht in dieser Woche gegen Mitternacht unter. Jupiter ist genau wie Mars nur früh am Abend im Südwesten zu sehen. Indem er sich von unserer Erde entfernt, verkleinert sich sein scheinbarer Durchschnitt auf 30,1‘‘. Saturn geht am Morgen vor dem Sonnenaufgang auf, ist aber sehr nah an der Sonne und darum nicht sichtbar. Uranus, der nicht weit von Saturn wandert, wird ebenso wie Saturn vom Tageslicht verborgen.
Empfang des Staatspräsidenten und der Regierung des Protektorats durch den SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst der Polizei Daluege.
Die Regierung schreibt ihrerseits eine Belohnung von 10 Millionen Kronen aus für das Ergreifen der Attentäter.
Prag, 30. Mai 1942. (ČTK) SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst der Polizei Daluege, beauftragt mit der Führung der Angelegenheiten des Stellvertretenden Reichsprotektors, empfing am 29. Mai um 17 Uhr auf der Prager Burg in Anwesenheit des Staatssekretärs SS-Gruppenführer K. H. Frank den Staatspräsidenten Dr. Hácha und anschließend in Anwesenheit des Staatspräsidenten die Regierungsmitglieder. Dabei erstattete der SS-Oberst-Gruppenführer Daluege Bericht über die neue Situation, die durch das Attentat auf den Stellvertretenden Reichsprotektor SS-Obergruppenführer Heydrich entstanden ist, und meldete die Ausführung der Befehle des Führers. Nach einem anschließenden Empfang der Regierung beim ständigen Vertreter des Reichsprotektors, dem Staatssekretär K. H. Frank, übergab der genannte eine ausführliche Auslegung zum Befehl des Führers und verhandelte über die Maßnahmen, welche die Regierung aus eigener Initiative durchzuführen gewillt ist.
JOŽKA GABČÍK GEHT DIE TREPPE des Mietshauses in Pankrác hinunter und bemerkt, dass die Stufen nicht in der Mitte ausgetreten sind, sondern seitlich am Geländer. Anna Malinová ist wohl die einzige junge Frau, die hier wohnt. Er steckt sich das letzte Stück Brot mit Kirschmarmelade in den Mund, wischt den Mund mit dem Handrücken ab und geht hinaus in Richtung Resslova-Straße. Er wird zu Fuß an der Brauerei vorbei durch das Tal gehen und dann am Fluss entlang. An der Oberfläche werden die Fischer in Booten schaukeln und auf einen Fang warten oder doch nur auf das Ende der großen Geschichte. Der Klang von den Gittern der Eisenbahnbrücke widerhallen und dann wird das Geräusch der Salven abbrechen. In Kobylisy wird er den Körper von Vladislav Vančura und den anderen Ermordeten in den Wagenkasten des Lasters laden. Johannes Moerschel wird sich den Kragen der Schutzpolizeiuniform aufknöpfen und in die Sonne blinzeln. Bei Dienstende wird er ins Gartenrestaurant Na Špejcharu gehen, ein Bier trinken und ein Würstchen verzehren. In einer Villa in Zbraslav wird der Wind am Fenster des Arbeitszimmers rühren und eine Seite aus den „Bildern aus der Geschichte des tschechischen Volkes“ wird auf den Teppich fallen. In seinem Bett wird Jaroslav Foglar heftig aus einem Traum aufschrecken und für eine Sekunde am Fenster den Rücken von Jan Tleskač sehen.
Großes Militärkonzert im Königsgarten auf der Burg.
Prag. (LBM) Im Rahmen der Prager Musikwochen des Jahres 1942 fand am Sonntag um 16 Uhr im Königsgarten auf der Burg ein großes Militärkonzert statt, zu welchem sich Tausende Mitglieder der deutschen Einwohnerschaft Prags einfanden. Unter der Leitung des Obermusikinspizienten Hermann Schmidt konzertierten drei Musikkorps der Bodeneinheiten, zwei Musikkorps der Luftwaffe, ein Musikkorps der Waffen-SS, zwei Musikkorps der Ordnungspolizei und drei Pfeifer-Truppen. Alle acht Musikkorps und die drei Pfeifer-Truppen bestritten den zweiten Teil des Konzerts durch eine gemeinsame Darbietung, in welcher unter anderem die Hymne und das Gebet vor der Schlacht aus Wagners Komposition „Rienzi“ sowie Kostproben aus Militärmusiken aller Art geboten wurden. Im ersten Teil des Konzerts spielten die Korps einzeln unter der Leitung ihrer jeweiligen Kapellmeister.
Besonderen Glanz erhielt das feierliche Konzert durch die Anwesenheit des SS-Oberst-Gruppenführers und Generaloberst der Polizei Daluege, beauftragt mit der Führung der Angelegenheiten des Stellvertretenden Reichsprotektors, des Staatssekretärs SS-Gruppenführer K. H. Frank, Bevollmächtigter der Wehrmacht beim Reichsprotektor Generalmajor Toussaint, sowie weiterer führender Persönlichkeiten aus Partei, Staat und Wehrmacht.
ANTONÍN BOŘEK DOHALSKÝ SIEHT NOCH IMMER die Reihe blinder Mädchen vor sich. Als die Gestapo aufs Amt kam, drehten sich ihre Köpfe in Richtung des Geräusches der Schuhe um. Der Gestapobeamte sprach sie an und die Luft trug den Satz bis ans andere Ende des Raums. Jetzt sitzt er im Petschek Palais, endlich einen Augenblick alleine. Er versucht mit dem Fingernagel eine Blume in den Tisch zu kratzen, dann lässt er es wieder. Ein Tropfen Blut aus der aufgeplatzten Lippe. Eine Rose oder ein Klatschmohn. Auf der Burg schreitet Emil Hácha derweil durch den Flur des Palais Czernin mit der Kondolenzbekundung für den Verstorbenen. Er weiß nicht, ob ihn Heydrichs Tod belastet oder erleichtert. Er schaut aus dem Fenster und sieht, wie sein Fahrer die Reflektoren des Wagens poliert. Wie in Erwartung der Dunkelheit. Adolf Opálka geht von Božena Kropáčková weg über die Clausewitz-Straße hinauf zur Pulverbrücke. An der Ecke bleibt er stehen und betrachtet das rote Schild mit dem Namen eines Heerführers. Dann zuckt er mit den Achseln und geht weiter. Hier und da stößt er mit dem Fuß einen Stein. Einer glänzt so sehr, dass er ihn aufhebt. Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Der Komponist Hans Krása steht vor einer Wand, an der eine Bekanntmachung der Prager Polizeiführung klebt, und denkt, dass er auf den Wenzelsplatz, auf den zu gehen nun behördlich untersagt ist, sowieso nicht gehen wollte. Er möchte gerne zu Hause bleiben. Inzwischen ist Emil Hácha im Arbeitszimmer von Kurt Daluege angekommen. Er hat das Gefühl in einem Walbauch zu sein. Er bittet um Wasser, und als er es vom Adjutanten bekommt, kleckert er es sich auf die Hose. Das Standrecht des Verstandes. Draußen nur Juni und Angst.
Heute kommt das erste Kontingent Arbeiter zur Erholung in Luhačovice an.
Im Rahmen der Erholungsaktion zum Wohle der Arbeiterschaft, die seinerzeit der Stellvertretende Reichsprotektor veranlasst hat, beherbergt das Heilbad Luhačovice dieser Tage das erste Kontingent Arbeiter und Arbeiterinnen, die Erholung brauchen. In der ersten Woche vom 2. bis 8. Juni werden in Luhačovice 232 Arbeiter und 21 arbeitende Frauen untergebracht, und zwar aus den unterschiedlichsten industriellen Unternehmen, die die die einzelnen Industriezweige repräsentieren. Für die körperliche und geistige Erholung der Urlauber aus den Reihen der Arbeiter wird durch eine zweckmäßige Bibliothek, eine ausreichende Anzahl an Zeitschriften und Tageszeitungen, einen Billardtisch, Tischtennisanlagen, einen Schießplatz, Sportanlagen, ein Schwimmbad u.ä. angemessen gesorgt sein. Diese Erholungsaktion ist ein beredtes Dokument der neuen sozialen Politik, die sich tätig um das Wohlergehen der Arbeitenden bemüht.
Aus dem Tschechischen von Lena Dorn
1. | ↑ | Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 100-101. |
2. | ↑ | Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 112. |
3. | ↑ | Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 169. |
4. | ↑ | Nach Vojtěch Šustek: Atentát na Reinharda Heydricha a druhé stanné právo na území tzv. protektorátu Čechy a Morava: Edice historických dokumentů, Svazek 1, Prag 2012, S. 127. |