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Vielleicht ein Nasenbär?

Ich bring also meine Tasche hoch und Mama sagt, ich soll rausgehen, zu den andern Kindern. Ich hab keine Lust, aber Richard ist auch da und meint, ich könnte ja mit ihm spielen, also geh ich lieber raus zu den andern.

„Kicken wir?“, fragt Pepan.

Ich schüttle den Kopf. „Ich kann nicht Fußball spielen.“

„Was? Gar nicht?“, fragt Pepan.

Ich zucke mit den Schultern. „Nicht so richtig.“

„Meine Güte, noch ein Mädchen, oder was?“, brummt Pepan und geht mit dem Ball zu seinem Papa, der gleich anfängt, mit ihm zu spielen. Ich kapier nicht, was alle an Fußball finden. Wenn wir in der Schule spielen, steh ich immer im Tor und selbst das bringt keinem was.

Die beiden Rotschöpfe sitzen auf der Bank hinterm Haus und spielen mit ihren Puppen. Die kleine Helenka ist auch dabei, die klebt an ihnen wie ‘ne Klette. Ich beobachte sie von weitem. So ein Mist, was soll ich mit denen bloß anfangen?

„Bert, komm mal her“, ruft Andula.

Ich latsche ganz cool zu ihnen rüber.

„Willst du mein Kaninchen sehen, Bert? Ich hab’s von der Oma mitgebracht. Er heißt Ferda. Prima Name für ein Kaninchen, oder?“

„Hm…“

„Was ist? Willst du ihn sehen?“

Ich zucke mit den Schultern. Ich würd ihn mir schon anschauen, weil ich Tiere mag, auch wenn mir große Tiere lieber sind als so ein winziges Karnickel.

Wir gehen zum Stall, aber das Kaninchen hat sich in die hinterste Ecke verkrochen und will nicht zu uns kommen. Die Mädchen versuchen, es einzufangen, aber es klappt nicht. Ich glaube, ich würde es schaffen. Ich kann gut mit Tieren.

„Ich versuch’s mal“, sage ich, aber Zuzana meint, zu einem Fremden würde er erst recht nicht kommen und ich würde ihn bloß erschrecken. Also sag ich, sie kann mich mal.

„Gehen wir Schule spielen?“, fragt Helenka.

Ich muss lachen, was für ein Blödsinn, in den Ferien Schule zu spielen.

„Schule ist toll und ich freu mich drauf“, sagt Helenka.

„Aber nur, weil du nicht weißt, wie blöd das ist. Und weißt du, was das Blödeste ist? Dass du dann immer hinmusst, jeden Tag, auch wenn du keine Lust hast, auch wenn es draußen regnet und kalt ist und du zu Hause spielen willst. Jeden Tag. Und weißt du, für wie viele Jahre? Fünfzehn oder so.“

Helenka wird wütend und mit einem Mal wird ihr Mund winzig klein.

„Mensch, so was sagt man doch keinem Kind, das in die Schule kommt“, ermahnt mich Zuzana.

„Alles klar, Mama“, antworte ich barsch. Die muss wahrscheinlich überhaupt nicht mehr zur Schule gehen, so schlau wie die ist.

Da kommt Pepan wieder zurück.

„Mensch, Richard hat gesagt, du hast ‘nen Nintendo. Leihst du mir den?“

„Den hab ich zu Hause vergessen.“ Wenn ich will, dass Mama und Richard das glauben, kann ich ja keinem sagen, dass ich ihn doch mithabe, auch wenn Pepan ihn meinetwegen ruhig ausleihen könnte.

„Oh Mann.“ Pepan ist enttäuscht. „Das ist vielleicht blöd. Na, dann gehen wir eben zu den Felsen, was?“, sagt er im Kommandoton zu Helenka, aber auch die Rotschöpfe lassen sich gleich überreden.

„Also gut“, sagt Zuzana, als wär sie die Anführerin.

„Kommst du mit?“, fragt Pepan, als wäre er der Anführer, und ich sage Nein. Da pfeif ich drauf, mich von Pepan rumkommandieren zu lassen, der nichts weiter kann als seinen bescheuerten Fußball. Die haben schon ihre Truppe zusammen und ich bin der Neue, den sie gnädigerweise aufnehmen, damit sie keinen Ärger mit den Eltern kriegen. Und das will ich nicht, also geh ich nicht mit.

„Komm schon“, meldet sich Andula. „Da ist es super.“

„Felsen, na ja…“

„Dann bleib halt hier“, erwidert Zuzana barsch.

„Du gehst Nintendo spielen, stimmt‘s?“, sagt Pepan. „Willst ihn bloß nicht verleihen.“

„Das ist nicht wahr“, sage ich, aber es klingt irgendwie blöd, als ob ich wirklich schwindeln würde.

Pepan steckt mir die Zunge raus und packt Helenka an der Hand.

„Los, wir gehen.“

„Willst du echt nicht mitkommen?“, hakt Andula nach.

„Lass ihn doch, den Blödmann“, herrscht Zuzana sie an und dann ziehen sie los.

[…]

Also geh ich in den Wald in Richtung dieser Felsen, wo die anderen sind, aber eins ist klar: Hinterherlaufen werd ich ihnen nicht. Ich setze mich auf einen Baumstumpf in Sichtweite vom Haus, esse das Hörnchen und tue mir leid. Wieso muss ich hier im Wald sitzen, statt in Papas Wohnung fernzusehen und Nintendo zu spielen? Und nur Fanta und Sprite zu trinken, weil ich bei Papa trinken und essen kann, was ich will und wann ich will. Manchmal sagt er so was wie: Meinst du wirklich, du solltest Krapfen zum Abendbrot essen? Oder: Du hast am Nachmittag eine ganze Flasche Fanta ausgetrunken? Aber dann kauft er trotzdem eine neue Flasche. Überhaupt kauft er mir, was ich will.

[…]

Auf einmal höre ich ein Geräusch, als ob da was ist. Ich sitze ganz still und lausche. In der Ferne höre ich die anderen Kinder und gleichzeitig immer noch dieses Geräusch. Ich freue mich riesig, weil sicher gleich irgendein Tier auftaucht, vielleicht ein Eichhörnchen oder ein Igel oder wenigstens eine Maus.

Und wirklich, auf einmal kommt ein Stück entfernt ein kleines Tier zum Vorschein, aber es sieht irgendwie seltsam aus. So ein Tier hab ich noch nie gesehen. Ich überlege: Was kann das sein? Ich weiß es nicht, dabei kenn ich mich mit Tieren aus. Trotzdem freu ich mich, weil ich da vermutlich gerade ein seltenes Tier sehe. Es sieht ein bisschen aus wie ein Igel, der auf dem Rücken keine Stacheln hat, sondern längeres Fell. Nein, das ist kein Igel, die Schnauze sieht auch ganz anders aus. Vielleicht ein Nasenbär? Oder ein Wombat? Aber die gibt‘s hier doch gar nicht, Wombats leben in Australien und Nasenbären in Südamerika.

Es bewegt seine Schnauze. Ich beobachte es und das Tier sieht aus, als ob es mich auch beobachtet. Ich strecke die Hand nach ihm aus, ganz langsam, damit es nicht erschrickt, und es kommt wirklich näher, bis zu meiner Hand und dann schnüffelt es dran. Ich streichle es und das Tier lässt es sich gefallen. Ich freue mich riesig und muss mich beherrschen, weil ich am liebsten aufspringen und vor Freude johlen würde. Damit würde ich aber das Tier verschrecken, also bleibe ich ganz ruhig sitzen und streichle es noch mal.

Dann fällt mir wieder ein, dass Waldtiere, die keine Angst zeigen, Tollwut haben können, und wenn sie einen beißen, muss einem der Arzt eine Spritze in den Bauch geben und das soll unheimlich wehtun. Ich ziehe meine Hand weg.

„Kscht“, sage ich, aber es rührt sich nicht.

Ich setze mich ein Stück weg und finde einen kleinen Stein, wirklich nicht groß, und werfe ihn nach dem Tier, aber so, dass ich es nicht treffe, ich will es bloß erschrecken. Ich treffe nicht und finde, es erschreckt sich nicht so sehr, wie sich das für ein wildes Tier gehört, aber es rennt dann doch weg. Oder es trappelt schnell davon.

Mir tut’s sofort leid, dass ich es nicht näher untersucht habe, weil ich vielleicht ein Tier entdeckt habe, dass noch nie jemand außer mir gesehen hat, oder es könnte irgendein zahmes Haustier sein, dass sich bloß im Wald verlaufen hat. Ich stehe auf und suche es, aber es ist weg.

 

Übersetzung: Katharina Hinderer