DER WIND DREHT

Als ich noch klein bin, wache ich manchmal nachts auf und obwohl an meinem Bett ein Nachtlicht brennt, geh ich zu Mama ins Schlafzimmer und lege mich zu ihr, sie lässt mich unter ihre angewärmte Decke und ich schlafe weiter, und morgens weiß ich nicht mal mehr, wie ich da hingekommen bin. Einmal sagt Mama, dass ich damit langsam mal aufhören könnte, weil ich schließlich kein Baby mehr bin, und dass ich sie trete und sie nicht gut schlafen kann, und obwohl es ein Doppelbett ist, drängle ich sie ganz doll an den Rand. Wenn ich nachts aufwache, denke ich aber nicht darüber nach, ich stehe einfach auf und gehe rüber. Mama hat mir beigebracht, abends alle kleinen Spielsachen aufzuräumen, damit ich in der Nacht nicht drauftrete, weil einmal bin ich auf was draufgetreten und das hat mordsmäßig wehgetan und ich hab angefangen zu heulen und Mama kam angerannt und hat geschrien: Was ist passiert? Viki, was ist los? Und dann hat sie mit mir geschimpft, weil ich sie so erschreckt habe.

Einmal gehe ich zum Schlafzimmer, die Tür ist zu, also drücke ich die Klinke runter, aber es ist abgeschlossen, das kapier ich nicht, Mama schließt sich nie ein, ich rüttle an der Klinke und auf einmal hör ich, wie Mama aufmacht und sagt, komm, wir legen uns zu dir. Sie führt mich weg und ich sehe, dass auf dem Bett irgendein Kerl liegt, und sage, Nein, ich will in dein Bett, aber sie hält mich fest, lass das, komm.

Er soll weggehen, er soll weggehen, fange ich in dem Moment an zu schreien.

Mama nimmt mich auf den Arm, Ruhig, Viki, hör auf zu schreien, und da richtet sich der Kerl schon auf und guckt verschlafen, was los ist, und ich brülle, hau ab, und er rappelt sich auf und Mama sagt, na, vielleicht gehst du lieber. Der Typ steht auf und fängt an sich anzuziehen, er hält sich was davor, aber ich sehe sogar seinen Pimmel und Mama lässt mich wieder runter, du bist verdammt schwer, und ich gehe direkt in ihr Bett und lege mich hin.

Der Typ geht, sie geben sich nicht mal einen Kuss, ich höre, wie er die Schuhe anzieht, und dann fällt die Tür zu. Mama legt sich zu mir, jetzt schlafen wir, ja?

Morgens sagt sie mir, dass das Marek war.

Beim Frühstück frage ich, ob er noch mal wiederkommt.

Weiß nicht, würde dich das stören?

Ja.

Warum?

Weil ich in deinem Bett schlafen will.

Du hast dein eigenes Bett und vielleicht hab ich ihn lieb.

Hast du ihn lieb?

Weiß ich noch nicht.

Aber mich hast du lieb, oder?

Dich hab ich am liebsten, ganz egal, ob Marek hier noch mal schläft.

Wenn du mich am liebsten hast, dann soll er nicht mehr hier schlafen.

Mama lacht, aber ich meine das ernst.

Gut.

Dann sag, dass er nicht mehr hier schläft.

Ist doch klar.

Aber er tut’s. Beim nächsten Mal mache ich keine Szene mehr und lasse mich in mein Bett bringen, aber Mama muss bei mir bleiben.

Dann nimmt er Mama und mich zu einem Ausflug mit. Er ist nett zu mir und bringt mir Sachen mit. Er versucht, mit mir Computer zu spielen. Er ist nicht schlecht, er spielt ganz okay, hat sogar ein paar Spiele auf seinem Handy. Und er hat ein schickes Auto, ein Cabrio. Irgendwann ist es zwischen ihm und Mama schon so weit, dass ich zu ihnen ins Bett kriechen und mich zwischen sie legen kann.

Und dann verschwindet er wieder.

 

Eva braucht schon lange keinen Wecker mehr, jeden Morgen wacht sie ein paar Minuten vor dem Klingeln auf, trotzdem stellt sie ihn immer. Dann bleibt sie noch ein bisschen liegen, das ist ein Moment, an dem sie ihre Ruhe hat. Falls sie am Vortag sehr früh eingeschlafen ist, überlegt sie sich noch, was sie heute bäckt, auch wenn es stimmt, dass die tägliche Abfolge der Kuchen und Quiches mehr oder weniger festgelegt ist, immer ein süßer und ein deftiger, nur das Dritte wählt Eva nach Lust und Laune aus und versucht, sich immer wieder etwas Neues einfallen zu lassen, aber das ist nicht leicht, es gibt nicht viel, was in drei Stunden zu schaffen ist, und wenn ein Kuchen den Leuten besonders gut schmeckt, macht Eva ihn immer wieder.

Aber heute denkt sie nicht an Kuchen. Heute ist der Tag, an dem Hana es ihm sagen soll. Aber sie wird es nicht machen, sicher schiebt sie es wieder auf, obwohl Eva bei der Schulleiterin war und alles abgesprochen hat, jetzt wird sie nochmal hingehen müssen und sich für etwas entschuldigen, wofür sie nichts kann, weil Hana es bis zum letzten Moment aufschiebt, bis keine Zeit mehr ist, weil sie es vorher nicht schafft, Viktor irgendwas vorzuschreiben, er hat sie um den Finger gewickelt.

Der Wecker piept und es dauert keine Sekunde, bis Eva ihn ausgestellt hat. Früher war das eine eingeschliffene Bewegung, schnell, damit das Geräusch Jindřich nicht stört. Auch wenn Eva sich das wohl nur einbildet, Jindřich hätte sich nicht aufwecken lassen, auch wenn der Wecker eine volle Minute geklingelt hätte, er drehte sich bloß immer auf die andere Seite und wickelte sich noch mehr in seine Decke ein, das hat er immer gemacht, wenn ihn etwas im Schlaf gestört hat, zum Beispiel einer von Evas Hustenanfällen, im Winter hat sie es immer mit den Atemwegen. Jindřich lag im Bett wie eine riesige Larve, im nächsten Moment fing er schon wieder an zu schnarchen.

Wenn Viktor bei ihnen war, musste sich Jindřich jedes Mal auf die Couch nebenan legen, damit er ihn nicht aufweckt. Sie dagegen hat immer mit Viki in einem Zimmer geschlafen, auch wenn er sie gestört hat, auch im Schlaf war er wild, hat sich immer schrecklich umhergewälzt, aufgeschrien, ist oft verwirrt aufgewacht und hat geweint. Dann ist Eva zu ihm unter die Decke gekrochen, hat gewartet, bis er einschläft, und hat ihn angeschaut. Es gibt nicht viele Dinge auf der Welt, die schöner sind als ein schlafendes Kind.

Eva steht also auf und schaltet auf dem Weg ins Bad den Herd ein, im Bad schnell umziehen, es ist kalt, aber sie wird sich bald aufwärmen, bis dahin nimmt sie lieber einen Pulli. Sie schaut auf das Thermometer hinter der Fensterscheibe. Es ist knapp über Null. Manchmal friert es schon über Nacht, bald ist Winter. Bis dahin muss der Garten winterfest sein. Die Tage werden kürzer und im Garten gibt es immer einen Haufen Arbeit. Aber jetzt nicht dran denken, aufs Backen konzentrieren.

Sie fängt mit dem Teig an, dann die Äpfel vorbereiten, den Spinat blanchieren, den Käse reiben, den Quark verrühren, backen. Diese drei Stunden gehören ihr, niemand darf sie stören und sie lässt sich von niemandem stören. In den vier Jahren, die sie das jetzt macht, hat sie eine Routine entwickelt, so dass sie die Zutaten nicht mal mehr wiegen müsste, aber zur Sicherheit ist es gut, es trotzdem zu tun, man soll die Dinge ordentlich machen, hier wird nach Rezept gebacken, nicht nach Gefühl.

Heute macht sie Apfelstrudel, der ist jetzt im Herbst sehr beliebt und einfach ist er auch, dann macht sie noch eine Quiche mit Ziegenkäse und Spinat, die mögen die Leute am liebsten. Warum ist Eva schleierhaft, vor Ziegenkäse ekelt sie sich, nur einmal hat sie ihre eigene Quiche probiert, um zu wissen, was den Leuten serviert wird, aber wegen des widerlichen Geschmacks nach Ziegenstall musste sie den zerkauten Bissen wieder ausspucken. Jindřich mochte diese Quiche allerdings, also hat sie einmal in der Woche morgens zwei davon gebacken und von der einen hat dann Jindřich und etwaiger Besuch einige Tage lang gegessen. Eva, das ist ein hervorragender Kuchen, na ja, du bist ja auch schon eine profesionelle Bäckerin, du solltest uns das auch in Rechnung stellen, der ist gut.

Als Drittes macht Eva schwedischen Käsekuchen, ohne Rosinen, die hat sie für den Strudel aufgebraucht, für einen Moment verdirbt ihr diese Nachlässigkeit die Laune, wie kann es sein, dass sie nicht gemerkt hat, dass ihr die Rosinen ausgehen, und dass sie nicht gleich neue gekauft hat? Damit konnte sie sich doch immer rühmen, dass sie auf diese Dinge achtet. Vergisst sie beim nächsten Mal etwa, Mehl zu kaufen?

Die Kuchen in den Ofen und dann wieder raus damit, in den Korridor auf den Boden, damit sie so schnell wie möglich auskühlen, einpacken, Hose und Bluse anziehen. Auch wenn sie nur ins Café fährt, wo sie durch den Hintereingang in die Küche geht, nur Marie trifft und eins ihrer Mädchen, würde sie trotzdem niemals in Leggins und ihrem ausgeleierten Pulli fahren, also vielleicht nicht niemals, aber auf keinen Fall, wenn alles nach Plan läuft.

Draußen ist es weiß, auf dem Gras hat sich Raureif gebildet. Aus Evas Mund steigt Dampf auf, als sie das Tor öffnet und die Kuchen ins Auto trägt. Sie fährt zum tausendsten Mal den gleichen Weg, am Anfang vorsichtig, die Kuchen liegen auf der Rückbank, nicht dass sie runterfallen. Erst als sie hört, wie ein Blech verrutscht und gegen ein anderes stößt, wird ihr bewusst, dass sie schnell fährt. Sie fährt schnell, will das erledigen, zum ersten Mal seit Jindřichs Tod hat sie es eilig, weil sie etwas anderes zu tun hat, dabei sind diese dummen Kuchen ihr Rettungsanker, auch am Tag nach seinem Tod hat sie gebacken, auch wenn Marie natürlich gesagt hat, dass sie nicht muss, wollte sie. Was hätte sie sonst tun sollen? Was sonst, außer Ordnung und den kleinen Dingen, kann einen Menschen retten, wenn sich etwas Großes verändert?

Doch seit letzter Woche fühlt sie sich anders, an dem Tag kam sie aus der Stadt zurück, saß am Tisch, trank Kaffee, aß ein Butterbrot zum Frühstück, gesalzen, vormittags nach dem ganzen Backen, dem ganzen süßlichen Duft, hat sie überhaupt keine Lust mehr auf Süßes, immer wenn sie die Kuchen weggebracht hat, kommt sie nach Hause, macht sich einen Tee mit Milch und dieses salzige Brot. Beim Frühstück stellt sie den Nachrichtensender ein, um zu wissen, was los ist, lässt die Nachrichten aber nicht lange an, weil sie sich sonst aufregt. Gleich nach dem Frühstück geht sie gewöhnlich in den Garten, früher hat sie immer das Mittagessen gemacht, Jindřich mochte Suppe zum Essen, oder vielleicht auch nicht, aber sie hat gern für ihn gekocht, nur für sich selbst zu kochen macht ihr keinen Spaß, zum Mittag isst sie meistens wieder ein Brot, sie mag Brot, also wen sollte das stören.

Nach dem Mittagessen schläft sie eine Weile.

Diesmal hörte sie allerdings beim Frühstück plötzlich ein Auto anhalten, also schaute sie aus dem Fenster, vor dem Vorgarten parkt ein grüner Fiat, kein Auto, das Eva kennt, aber dann erkennt sie die Fahrerin, es ist Hana. Eva zieht missbilligend die Augenbrauen zusammen, sie fährt mit fremden Autos, was soll das, kann sie sich wirklich kein eigenes leisten? Und als sie ihr das sagt, lacht Hana, Mami, ich fahre so gut wie nie, also borge ich mir immer eins, versteht sie denn nicht, dass man so was nicht macht, dass man so nicht lebt?

Seit Jindřichs Tod kommt Hana öfter zu Besuch. Zweimal kam sie mit einem Mondeo, dann einmal mit einem Octavia, ein paar Mal mit einem silbernen Volvo und jetzt mit diesem. Eva will gar nicht darüber nachdenken, dass sie jedes Mal einen anderen Kerl hat, der ihr sein Auto leiht.

Viktor ist nur einmal mitgekommen, zur Beerdigung, dann nicht mehr. Einmal hat Eva nachgefragt, auch wenn sie es vorher wusste.

Warum hast du ihn nicht mitgebracht?

Er ist in der Schule.

Warum kommt ihr nicht mal am Wochenende?

Da hab ich Vorstellung, Mami.

Jetzt sag nicht, dass du nicht mal einen Tag findest, an dem du keine Vorstellung hast und mit Viki herkommen könntest.

Mami, er will nicht herkommen.

Weil du es ihm miesgemacht hast.

Dann haben sie sich gestritten und Hana ist mit einem patzigen Tschüss gegangen, hat die Tür zugeknallt und erst nach zwei Stunden angerufen.

Aber als Eva sie in dem grünen Fiat erkannt hat, ist sie aufgestanden und hat Kaffeewasser aufgesetzt. Und ist in die Speisekammer gegangen, wo seit Mittwoch Lebkuchen lagen.

Nein, danke, Mami, hat Hana gesagt und dann drei Stück gegessen. Heute esse ich nichts zum Mittag, erklärte sie danach.

Mit einer Zigarette ging sie im Garten bis zum Schuppen gegangen, als wüsste Eva nicht längst, dass sie raucht.

Sie kam zurück, bisher hatte keine von ihnen irgendwas gesagt, Eva kann nicht fragen, warum sie hier ist, sie reden nicht auf diese Art miteinander, auch wenn sie beide wissen, dass Hana nicht einfach so kommt, unangemeldet, nicht so oft. Irgendwas ist los.

Viki hat in der Schule Mist gebaut und ich schaff das nicht. Mami…

Eva sieht, dass sie Hilfe braucht, dass sie es nur nicht sagen kann. Was ist passiert?

Ich muss ihn auf eine andere Schule schicken, Mami, du weißt, dass er ein guter Junge ist, aber seine Kumpels, ich mach mir Sorgen, die klauen, sitzen den ganzen Tag am Computer, ich weiß nicht, was sie treiben, ich kann nicht die ganze Zeit auf ihn aufpassen, ich glaube, die Lehrerin mag ihn nicht. Eva hört ihr nur mit halbem Ohr zu, weil sie bereits weiß, wie man das Problem lösen kann. Und sie weiß auch, dass Hana das nicht gefallen wird, aber ich überzeuge sie, ich muss, könnte sie in diesem Moment darüber nachdenken, müsste sie zugeben: auch um ihretwillen, nicht nur wegen Viki.

Er könnte hier anfangen, unterbricht sie Hana. Einfach so. Auf die sanfte Tour.

Mami.

Sie schauen einander an, Eva beobachtet ihre Tochter, sie verschweigt mir etwas, ist nicht ganz ehrlich. Und dann ändert sich der Blick, Hana steht auf, streicht sich die Haare hinters Ohr, immer noch genauso wie mit fünf.

Nein, das geht nicht, entschuldige, Mami, das wollte ich nicht, ich… es ist nicht so schlimm, wir schaffen das. Eva sieht wieder, wie sie sich vor ihr zusammenreißt, wie fremd sie ist, wie sie sich ärgert, dass sie überhaupt etwas gesagt hat, dass sie sich über Viki beschwert hat, dass sie überhaupt zugegeben hat, dass sie etwas nicht schafft.

Dann reißt sie sich nicht mehr zusammen, innerhalb von zehn Minuten fährt sie weg, Mami, ich hab vergessen, dass ich um eins Synchronaufnahmen hab. Bitte fahr nicht wie eine Irre und schreib mir, wenn du da bist.

Sie düst davon, schon hier im Dorf fährt sie furchtbar schnell, Eva steht an der Landstraße und blickt dem Auto nach, stellt sich vor, dass Viki neben ihr steht. Und er wird neben ihr stehen.

Schade, dass Jindřich nicht mehr da ist, er hat Viki geliebt, sein einziger Enkel, mit Adams Mädchen konnte er nicht viel anfangen, aber Viki hatte er gern, mit ihm hat er sich so unterhalten, dass Eva, als sie die beiden mal gehört hat, spürte, wie sehr sie Jindřich nach all den Jahren noch liebte, wie er sich wirklich bemüht hat, obwohl er nicht mit Kindern konnte.

Sie geht wieder ins Haus und fährt mit ihren täglichen Ritualen fort, isst ihr Brot, trinkt den Tee aus, zieht sich Arbeitskleidung an, geht Laub harken. Den ganzen Tag über weiß sie nicht genau, was sie tun wird, ob sie Hana anrufen soll oder warten oder ihr eine E-Mail schreiben, was sie ungern tut. Aber so oder so steht Viki den ganzen Tag neben ihr.

 

Nach Hause zu fahren, nur noch zur Mama, ist für Hana furchtbar unangenehm. Auch wenn sich dort seit Jahren nichts Wesentliches verändert hat, zuletzt haben sich die Eltern vor sechs Jahren ein großes Trampolin besorgt, wegen der Enkel, wegen Viki, aber vielleicht hauptsächlich wegen ihres Bruders, damit er Umsatz macht, und jetzt steht das Trampolin da, zerfleddert und mit Laub bedeckt.

Aber Trampolin hin oder her, inzwischen ist dort alles anders. Auch wenn Mama immer diejenige war, die den Haushalt geschmissen hat, fehlt Papa dort unwahrscheinlich, als wäre dieses Haus leer, Mama hat niemanden, um den sie sich kümmern, dem sie Essen kochen kann, auf einmal wirkt sie verloren in dem großen Garten, verrichtet die Arbeiten, die Papa früher erledigt hat. Kurz nach der Beerdigung ist Hana hingefahren, Mama hat gerade versucht, Äste im Häcksler zu zerkleinern, und Hana stellte hastig den Motor ab, rannte los und riss sie weg, weil ihr das Bild vor Augen stand, wie sie aus Versehen die Hand hineinsteckt. Mama hat sich furchtbar erschreckt.

Wem willst du hier was vorspielen, fragte sie wütend, als Hana den Häcksler abgeschaltet hatte.

Mami, versprich mir, dass du das nicht mehr machst. Das Ding erfasst dich und du verblutest.

Jetzt übertreib mal nicht.

Ich hab Angst um dich.

Eine Weile schauen sie sich schweigend an, Hana weiß, dass Mama es nie zugeben würde, wenn sie etwas nicht schafft.

Ja? Und was ist damit?

Mit dem Holz? Das verbrennst du, oder?

Mit dem Häcksler. Meinst du, der war umsonst?

Den kannst du doch Adam geben.

Mama zuckt mit den Schultern, vielleicht kann er ihn brauchen, was, und Hana entlockt ihr das Versprechen, den Häcksler nicht mehr zu benutzen.

Und dann ihre Brote, Hana hat den Eindruck, als würde Mama sich bestrafen, immer wenn sie sie etwas essen sieht, ist es ein Butterbrot, sie kocht nur, wenn sie oder Adam zu Besuch kommen. Hana war sogar bei Adam, er hat sie in der Firma wie ein großer Chef begrüßt, aber da fall ich nicht drauf rein, Brüderchen. Sie wollte, dass er ihr verspricht, Mama hin und wieder zu besuchen, Himmel, sie sind dreißig Kilometer entfernt, und seine Katka ist mit den Kindern zu Hause, sie hat nichts zu tun, außer sich um die Kinder zu kümmern, Hana muss hundertsechzig Kilometer fahren und hat verdammt noch mal Arbeit und Viki, trotzdem lächelt Adam sie herablassend an, Mensch, Hana, Mama isst nun mal gerne Brot, was soll’s? Ich hab mit ihr geredet, ihr geht’s gut. Als würde sie dir irgendwas erzählen, will Hana einwerfen, aber sie lässt es, er kapiert nichts, für ihn ist alles so einfach, zu einfach.

Könnte nicht vielleicht Katka mit den Mädchen ab und zu vorbeischauen? fragt Hana ihren Bruder.

Na ja, das könnte sie, aber du weißt schon, welchen Enkel Mama wirklich sehen will, oder?

Ach, halt den Mund, sagt sie zu ihm, was weiß der denn schon, der Idiot, ist eingeschnappt, dass Mama Viki lieber mag als seine Kinder, so ein Unsinn, Mama mag ihn, weil er der erste war. Und weil er Ähnlichkeit mit Papa hat. Und weil er früher häufiger bei ihnen war. Genau, warum war er wohl häufiger da, weil die beiden verrückt nach dir und Viki waren, würde Adam erwidern, aber in Wirklichkeit wären das die Worte seiner Katka. Außerdem hat sie seine verwöhnten Mädels auch gern, Mama hat jeden gern, den sie bemuttern kann.

Hana, mach dir keine Sorgen, Mama schafft das und ich hab alles unter Kontrolle.

Einen Scheiß hast du unter Kontrolle, blafft Hana ihn unbeherrscht an und verdirbt damit alles, klar wird er sich jetzt bei Mama beschweren.

 

Hana fährt los und weiß, dass Mama an der Straße steht und dem Auto hinterherwinkt. Solang sie dort steht, fährt sie langsam. Sie winkt auch, so, dass Mama es sieht. Immer wenn sie oder Adam weggefahren sind, sind beide Eltern bis zur Landstraße mitgekommen und haben gewunken. Als sie Papa das letzte Mal lebend gesehen hat, hat er ihr im Rückspiegel nachgewunken.

Papa war ihr Verbündeter. Zwar bekam sie von ihm auch keine Anerkennung, er hat genauso wenig verstanden, was Hana wollte, wie sie war und wie sie ist, aber das hat er ihr nie gezeigt, nie hat sie in seinen Augen dieselbe stille Verachtung gesehen wie bei Mama.

Er ist zu ihren Premieren gefahren und hat im Radio die Hörspiele gehört, in denen sie mitgespielt hat, danach hat er ihr nie so was geschrieben wie „gute Arbeit“ oder „Du bist wirklich gut“ oder ähnliche Sprüche, mit denen Eltern ihre Kinder unterstützen sollen, aber wenn sie dann beim Kaffee saßen und sich über etwas unterhielten, ergab sich einfach so aus dem Gespräch, dass Papa das kannte. Das war das schönste Gefühl, dass sie je mit ihren Eltern erlebt hat.

Und dann hat sich meist herausgestellt, dass Mama es auch kannte. Trotzdem haben sie nie gesagt: „gute Arbeit“, also konnte sie nur hoffen, dass sie denken, dass Hana gut ist und tatsächlich Talent hat, aber in Wirklichkeit ist es so, dass sie das überhaupt nicht verstehen, sie wissen nicht, was es heißt, Talent zu haben, also Talent für so etwas, sie wissen nicht, was Hana fühlt, wenn sie auf der Bühne steht, und was sie danach fühlt, sie wissen nicht, dass jede Schauspielerin mit ihrem Spiel die Welt verändern will und vielleicht sogar das ganze Universum und dass jede glaubt und glauben muss, dass sie das schafft, weil man es sonst nicht machen kann.

Als sie klein war, dachten ihre Eltern vielleicht, dass sie auf die Uni gehen und zum Beispiel einen Doktor in Philosophie machen würde, sie war klug und scharfsinnig, ihr Bruder eher weniger, und wenn er jetzt für die Filiale einer Firma verantwortlich ist, die Gartenmöbel und Trampoline und Ähnliches verkauft, dann hat er genau das erreicht, was er sollte, er hat niemanden enttäuscht, niemanden überrascht. Aber sie hat sie enttäuscht, denn nur für etwas, das keiner von ihnen sieht und fühlt und vor allem versteht, hat sie doch nicht so viele Bücher gelesen und in der Schule immer nur Einsen bekommen.

Und obwohl sie Papa auch enttäuscht hat, sie hätte die erste in der Familie sein können, die auf die Uni geht, hat er sie trotzdem unterstützt und als sie nach Prag gegangen ist, hat er alles gemacht, wie der beste Papa der Welt, er ist ihretwegen sogar Montag früh, wenn er wie immer nach Hradec Králové zur Arbeit fuhr, zwei Stunden früher aufgestanden und hat sie mit dem Auto bis an den Stadtrand von Prag zur Metro gefahren. Es war nicht zu übersehen, dass Mama das missfällt, aber er hat’s trotzdem gemacht.

Sein Wohlwollen hat sie erst verloren, als sie schwanger wurde. Natürlich war es mit Mama noch schlimmer, sie fuhr an einem Sonntag zum Abendessen hin, ihr Bauch wurde größer und sie verriet nicht, wer der Vater des Kindes ist, wozu sollte das gut sein, sie war allein und hatte nicht viel Geld und sie wollte nicht wieder zurück nach Hause, erst jetzt, nach all den Jahren, wo sie selbst Viki hat, versteht sie, wie verzweifelt die Lage war und bis auf die paar Ohrfeigen haben ihre Eltern eigentlich gut reagiert, haben einfach getan, was sie konnten. Aber damals war sie zwanzig und statt auf ihrer Seite zu stehen, wollten sie sie umbringen, denn wieder zu Hause einzuziehen, das wäre ihr Tod gewesen.

Immer, wenn sie von dort wegfuhr, spürte sie, wie sie erst wieder durchatmen konnte, wenn sie fort war.

Und so fühlt sie sich jedes Mal.

Als sie auf die Bundesstraße abbiegt, ist sie endlich wieder sie selbst, verschwitzt, aber sie fühlt sich besser. Erst nach einigen Kilometern fällt ihr ein, dass sie nicht auf dem Friedhof war. Bei der nächsten Ausfahrt fährt sie ab und dreht um.

Im Grunde genommen hatte sie nie wirklich darüber nachgedacht, dass ein Elternteil sterben könnte. Das Telefon früh morgens, sie schläft, im Halbschlaf hört sie lange das Vibrieren, Mama ruft an, sie geht nicht ran, morgens will sie nicht als Erstes mit Mama sprechen. Das Telefon verstummt und fängt sofort wieder an zu vibrieren. Jetzt muss ich rangehen.

Als sie es ihr sagt, heult sie ins Telefon, Mama dagegen weint nie, Hana sieht ihre Kleider, die auf dem Schlafzimmerfußboden verteilt sind, wo sie sie letzte Nacht ausgezogen hat. Die einzelnen Kleidungsstücke liegen da wie tote Tiere. Sie denkt nur daran, was für ein schlechter Mensch sie ist, weil sie es nicht mal schafft, ihre Kleider zusammenzulegen oder über einen Stuhl zu hängen.

 

 

Übersetzung: Katharina Hinderer