Petra Dvořáková

Das Dorf

2018 | Host

Unsere kleine Petruška, ich weiß nicht, was aus ihr mal werden soll

So ein kleines Kind ist das, gerade mal fünf Jahre alt, und wie die lügen und tricksen kann, das gibt’s kein zweites Mal. Aber ich hab ja ein Auge auf sie. Und ausgefuchst ist sie auch noch bis zum geht nicht mehr.

Schon wieder hängt sie am Opa dran, will was Süßes haben.

„Ich glaub, ich hab gar nix“, antwortet der Opa, aber sie weiß genau, dass er was hat. Hab ich sie doch erwischt, wie sie am Nachmittag in seinem Kleiderschrank herumgekramt hat. Sogar einen Stuhl hat sie sich genommen, für die oberen Fächer.

„Wirklich nix? Schau doch mal nach“, bettelt sie. Der Opa macht den Schrank auf, kramt im Fach herum, er hat’s ganz weit hinten versteckt, hinter der Schachtel mit den Dokumenten.

„Höchstens ein Hustenbonbon“, sagt er, während er mit dem Beutel raschelt, dann gibt er ihr eins. Sie greift gierig danach, sagt nicht mal danke und schon hat sie es in den Mund gestopft. Sie kullert dabei mit den Augen, schmatzt und sabbert voller Inbrunst. Ihre Haare sind wirr, wie auch das Knäuel am Kopf, nicht mal richtig kämmen kann sie sich. Aber was soll ich alte Oma sie dauernd erziehen, dafür hat sich doch Mama und Papa.

„Dass du mir nicht erstickst!“, sag ich laut. Sie stockt kurz, sammelt sich aber gleich und weg ist sie.

Nach wem das Kind gekommen ist, das weiß keiner von uns. Ja, die Kleine von der Tochter, die ist mir lieber. Brav, geschickt. Aber bei dieser da, da kommt noch was auf uns zu. Gottseidank muss ich nicht oft auf sie aufpassen. Das würd ich nicht aushalten. Die drei Tage sind genug. Jetzt hab ich ihr schon dreimal gesagt, dass böse Leute in die Hölle kommen.

„Und wer ist das, böse Leute?“ fragt sie mich aus.

„Das sind die, die lügen und schwindeln“, antworte ich. Ich kann sehen, dass sie eine Weile darüber nachdenkt, aber nicht allzu lange.

„Und was passiert in der Hölle?“

„Dort steckt man die Leute in den Kessel und kocht sie.“

Ich weiß, man soll Kinder nicht erschrecken. Die Schwiegertochter war ja auch schon mal deswegen richtig bös auf mich. Aber das Mädchen hier ist zäh. Die hat keine Angst. Die kann man erschrecken, wie man will, das macht der gar nichts.

Und wenn wir am Nachmittag Mensch, ärgere dich nicht spielen, gibt’s da keine Runde, in der sie nicht schwindeln würde. Sie dreht den Würfel, peitscht ihn auf den Tisch, dass die Hälfte der Figuren umfällt, der Würfel hüpft unter den Tisch und sie springt ihm gleich nach. Als ob sie so nett wär, und die anderen müssten sich nicht extra bücken. Aber kaum taucht sie unterm Tisch wieder auf, schreit sie schon: „Sechseee!“

Wie oft hab ich schon gesehen, dass sie sich den Würfel so hindreht.

„Du schwindelst!“, platzt es aus mir raus.

„Nein, nein“, lügt sie mir direkt ins Gesicht.

„Ich hab’s doch gesehen!“, sag ich zu ihr.

Sie öffnet den Mund, um eine weitere Lüge zu fabrizieren, aber der Opa fällt ihr ins Wort: „Dann soll sie halt nochmal würfeln.“

Das ärgert mich. Ständig reicht man ihr den kleinen Finger, aber das soll man nicht machen. Da wirft Petra wieder und wie es der Teufel will, würfelt sie die sechs.

„Sechseee“, stößt sie begeistert aus. Und schmeißt daraufhin den Opa. Sie müsst nicht, sie könnt auch mit einer anderen Figur gehen, aber sie will extra nicht. So erzieht man doch kein Kind.

„Morgen gehst mit, zur Oma Kovářová“, sage ich finster. Ich weiß, sie geht da nicht gerne hin. Sie hat Angst vorm Hund und auch vor der steilen Treppe, die zum Speicher geht. Ich hab ihr mal gesagt, dass dort oben der Schwarze Mann wohnt. Sie will nicht, muss aber mitkommen. Ich hab dort Küken versprochen bekommen, die werden im Juli zu schönen Hühnern heranwachsen.

Am nächsten Tag gehe ich Petruška vom Kindergarten holen. Draußen ist es heiß, auch wenn erst Mai ist, der Schweiß rinnt mir runter, wie ich mich beeile. Petra rennt in der Klasse herum, sie ist als erste mit dem Mittagessen fertig, aber ihr Mund ist noch ganz verschmiert. Den ganzen Vormittag hat sie kein einziges Mal ihre Haare gekämmt. Man sollte sie abschneiden, aber das will sie nicht. Die Zotteln auf ihrem Kopf, das ist doch geradezu eine Einladung für Läuse.

„Habt ihr denn keine Spiegel hier?“, sage ich erbost, als sie sich in die Umkleide schiebt. „Schau dich doch mal an, ganz schmuddelig bist du!“

„Haben wir nicht, haben wir nicht,“ sagt sie und hüpft herum, als ob ihr das egal wäre.

„Ich weiß, dass ihr welche habt, auf geht’s“, sag ich und steck sie in den Waschraum. Das gefällt ihr weniger, das sieht man. Sie macht das Wasser an, schmiert mit der Hand um den Mund herum, macht es nicht besonders gründlich, dann trocknet sie sich gar nicht ab und raus ist sie. Das macht mich langsam wütend.

„Schau hin wie du aussiehst. Du bist ganz nass und hast das Zeug noch mehr verschmiert.“ Das geht eine Weile hin und her, ich will, dass sie sich nochmal waschen geht. Sie bockt aber noch mehr, also schnappe ich mir aus der Schürzentasche ein Taschentuch, spuck drauf und wisch ihr selbst den Mund ab. Sie kreischt wie ein Pavian, aber es geschieht ihr recht. „Das hast nun davon, du Sturschädel“, sag ich und steck das Taschentuch wieder ein.

Als sie sich umzieht, seh ich mir die Bilder an der Pinnwand an. Ich schaue, ob ich eines von ihr entdecke. Ich muss aber gar nicht lange suchen, ich erkenne es gleich: „Was ist denn das für ein Geschmiere?“

„Das sind Prinzessinnen“, sagt sie noch und ist schon raus zur Tür, ich komm grad mal hinterher. Fast stoße ich mit Veruna Vavirková zusammen.

„Wissen Sie, Tantchen, ob unsere Kleine schon gegessen hat?“, fragt sie mich dümmlich. Weiß ich, was fremde Bälger machen?

Ich hol Petra erst am Konsum ein. Schon von weitem kann ich sehen, wie sie sich auf die Bank neben den besoffenen Lojzek schwingt und ihr Gesicht ans Schaufenster presst, um zu sehen, was drinnen los ist. Maruna diskutiert dort was mit Maška.

„Gehst da runter? Sofort!“, platzt es aus mir raus. Das braucht es jetzt wirklich nicht, dass Maruna rumerzählt, unser Kind hat ihr die Scheiben verdreckt.

„Na, wer bist’n du?“, sagt Lojzek und grinst die Kleine an. Die fürchtet sich nicht, i wo. Ein anderes Kind würd sich vor einem solchen stoppeligen stinkigen Kerl fürchten, aber sie nicht.

„Střechová“, schwappt es aus ihr raus. Ich seh schon, sie könnte gleich losplaudern, aber ich erlaub es nicht. Ich schnapp das Mädel bei der Hand und lass sie nicht los, bis wir am anderen Ende des Dorfes sind, bei den Kovářiks. Die Tür vor dem Häuschen mach ich selber auf, man muss ja nicht klingeln. Die Oma weiß Bescheid. Das Haus ist klein und alt, reparieren tut niemand mehr, lohnt sich nicht. Man kommt durch einen kleinen Hof rein, zwischen den Schuppen. Dort hält sich die Oma so einen alten blöden Dackel. Das ist vielleicht ein Berserker, so ein Tier möchte man nicht daheim haben. Aber er muss ja tags wie nachts an der Kette liegen. Sonst würd der glatt eins zwei zubeißen. Aber bellen, das darf er, das schon.

„Siehst, gleich beißt er dich“, sag ich und zeige der Kleinen den Hund. Der Hof ist winzig, die Kette lang, ich seh, wie Petra Angst hat, dass der Hund sie erwischt, sie drückt sich an den Zaun. Zwar kann sie sehn, der Hund kommt da nicht hin, aber trotzdem läuft sie im Galopp zum Häuschen.

„Na komm, bist schon ruhig!“, blafft die Kovářka den Hund an. Sie hat uns vom Fenster aus gesehen und bittet uns herein. Die Küken hält sie im Karton bereit, rundum hört man überall ein Piepen, ich hab ja acht bestellt.

„Kommst einmal her, schau, die Küken, so gelb, so schön.“ Sie streckt Petra die Hand entgegen. Die reißt sich von mir los und ist schon bei der Alten, als ob sie da zu Hause wär, nein, so eine bleibt nicht lang still. Die Oma öffnet die Schachtel, Petra schaut hinein, wie klein die sind, gefallen tun sie mir ja auch.

„Was ist denn das?“, sagt Petra und deutet auf die Schüssel.

„Das ist Ei, gekocht, damit sie schnell groß werden.“ Die Kovářka streichelt ihr den Kopf.

Wenn die wüsste, was das für eine Matz ist, würd sie sich in Acht nehmen. Dann gibt sie Petra ein Küken in die Hand. Die fürchtet sich zuerst, aber dann gefällt ihr das. Sie betrachtet das Küken und streichelt ihm dann das Köpfchen. Dann aber plötzlich zuckt sie mit der Hand weg, und das Küken fällt fast auf den Boden: „Igitt, es hat kaka gemacht.“

„Ah, geh, du gehst doch auch aufs Klo“, sag ich drauf und tu das Küken lieber zurück in die Schachtel. Das dem mal nichts passiert. Als ich mich wieder umdreh, hat das dumme Kind sich die dreckige Hand am T-Shirt abgewischt.

„Du bist mir vielleicht ein Ferkel, das tut man nicht!“, schimpfe ich mit ihr, als ich in der Küche am Waschbecken versuche, ihr das wegzumachen. Ich lass der Oma zwei Hunderter da, sie will nicht mehr haben, aber wir dürfen noch nicht heim. Sie hat einen Kuchen und Tee hingestellt, also muss ich noch sitzen bleiben. Sie ist froh, wenn sie jemanden zum Schwatzen hat.

„Na soll die Kleine doch in die Stube gehn“, sagt sie und winkt in Richtung Türe, die aus der Küche rausführt. Und Petra stürmt wie wild los.

„Mach mir ja nichts kaputt dort“, drohe ich ihr. Ich lass lieber die Tür angelehnt, damit ich sie sehen kann. Einen Augenblick ist Ruhe, ich höre nur den Holzboden knarzen. Dann hört man ein Zupfen an Musiksaiten.

„Das ist die alte Fiedel vom Oma“, ruft die Oma. „Tu ruhig umeinander klimpern. Wenn’s das gut kannst, nimmst sie mit heim, zum Üben.“ Petra nimmt die Geige mit in die Küche, klemmt sie sich unter‘s Kinn, fährt forsch mit dem Bogen über die Saiten, dass es nur so quietscht und einem fast die Ohren abfallen.

„Schön mit den Fingerchen, schön die Noten drücken, nach dem Hören“, die Kovářka gibt Tipps, aber Petra hält den Bogen wie die Kuh am Schwanz. Dann versucht sie, den Wirbel anzuziehen, sie dreht so heftig, dass die Saite reißt, noch bevor ich zu ihr springen kann. Die Kovářka winkt ab:

„Spielt doch eh keiner mehr.“

Petra schrubbt noch eine Weile die übrigen drei Saiten, aber dann lässt sie es bleiben.

„I wo, die hält’s nicht länger bei was aus.“ Absichtlich werf ich ihr böse Blicke zu.

Und überhaupt, die Geige ist viel zu groß für sie. Sie geht wieder in die Stube und eine Weile ist Ruhe. Ich verschwatz mich mit der Kovářka und vergesse die Kleine für einen Augenblick. Und dann hört man einen Knall. Ich fahre vom Stuhl hoch, bis mir das Herz für zwei Augenblicke stehen bleibt, dann stürm ich in die Stube. Petra steht vor dem umgestürzten Blumentopf. Sofort schimpfe ich los, aber die Kovářka wieder ganz ruhig: „Meine Güte, hat mir eh nicht gefallen, die Blume.“

Ich lass jetzt aber die Kleine nicht mehr aus den Augen. Was die mir an Schande macht immer. Dauernd ist was. Letzte Woche hab ich sie mal allein draußen gelassen, nur vorm Haus, so haben wir gesagt. Und dann seh ich die alte Vavirková, wie sie mit der Axt in der Hand hinter den Teich läuft und ruft, ich soll mal die Kleine holen. Und die hat mir doch glatt irgendwo eine Schüssel stibitzt, wollte übern Zaun, Kirschen pflücken. Fremde! Aber die Gerechtigkeit hat gesiegt – wie sie sich so gestreckt hat, ist ihr die Hand ausgerutscht und zwischen den Zaunplanken stecken geblieben, sie konnte weder vor noch zurück. Sie hat so lang gebrüllt, bis sie die Vavirková gehört hat, die grad auf dem Rad von der Heluna gekommen ist. Sie hat mit der Axt die Planke herausgeschlagen, die Kleine hat die Hand rausgezogen, zum Glück ist nichts passiert, aber ich wär am liebsten vor Scham in den Boden versunken. Geht einfach los, fremde Kirschen pflücken! Und nimmt noch eine Schüssel mit! Jaja, das hat die im Blut.

Ich steh auf und geh lieber schnell mit der Kleinen heim. Die Küken in der Schachtel poltern durcheinander, piepen wie wild, aber das halten die schon aus, es ist ja nicht weit.

„Du wirst dich jetzt kümmern. Und wenn nicht, werden sie dir sterben“, sag ich und stelle die Küken im Vorraum vor Petra hin.

Sie sagt nichts. Na was erwarte ich denn. Aber ich sag‘s ihr, damit sie Bescheid weiß. Die Küken sind noch klein, ich kann sie nicht zu den Hühnern geben. Bis morgen bleiben sie hier und der Opa macht ihnen unter dem Schuppen einen kleinen Stall.

Petra ist irgendwohin gelaufen, ist aber gleich wieder zurück bei den Küken. Zuerst schaut sie nur, als ich mich aber umdrehe – schwupps, hat sie ein Küken raus aus der Schachtel. Sie spielt ein wenig damit, wenigstens ein bisschen Ruhe. Dann wird ihr aber langweilig, sie lässt das Küken am Boden zurück und weg ist sie. Wer denkt schon dran, es wieder in den Karton zurückzulegen! Muss ich denn immer mitdenken? Sie lässt sich schwer im Zaum halten. Als ich durch den Vorraum zur Kammer geh, läuft mir das Küken geradeweg vor die Füße. Ehe ich mich verseh, bin ich draufgetreten. Oh, wie hässlich das geknirscht hat, mir ist gleich schlecht geworden. Jetzt bin ich wirklich auf hundertachtzig.

„Petra!“ kreische ich und renn nach ihr. Sie sitzt gerade am Küchentisch und spielt mit dem Tee im Becher. Ich reiß ihr den Becher aus der Hand, dass der Tee nur so auf die Tischdecke spritzt, aber das ist mir wurscht. Ich zerr sie in den Vorraum, sie weiß nicht wie ihr geschieht, und sträubt sich daher auch nicht.

„Schau nur, was du angestellt hast!“, schrei ich sie an.

Petra ist ein wenig verdutzt, schaut sich das zertretene Küken an und fragt blöd:

„Warum ist da Blut?“

„Weil es tot ist!“ schreie ich sie an. „Wegen dir!“ Ich kann meine Wut nicht zurückhalten. Ich seh, wie sie mich mit offenem Mund anglotzt, als ob sie nicht verstehen will.

„Und, graben wir es ein, und machen ein Kreuz dran?“

Ich schäume vor Wut: „Nein! Wir tun es auf den Misthaufen! Es hätte eine kleine Henne werden können, aber jetzt ist es hin!“

Petra fängt an zu schniefen. Das bringt mich noch mehr in Rage. „Fang jetzt bloß nicht an zu heulen, sonst fängst du dir eine“, blaff ich sie an. Dann schick ich sie in die Küche eine Schaufel holen, um das Küken draufzuladen. Petra bringt die Schaufel und heult schon. Ich bin sauer und geb ihr einen Klaps auf den Po, sie hat‘s verdient. Sie reißt sich los und läuft in die Stube. Ich weiß ja schon, wo sie sich verkrochen hat. Als die Schränke in die Stube kamen, da ist so ein blöder Abstand dazwischen geblieben, so um die Ecke, und sie kriecht dort immer hin, und hat da auch ein paar Sachen versteckt. Soll sie sich dort verkriechen.

„Und du gibst mir dreißig Kronen aus deinem Sparschwein“, ruf ich ihr hinterher. „Davon kauf ich mir ein neues Küken.“

Ich lass sie dort, sag noch dem Opa, er soll daheim bleiben, wenn sie wieder rauskommt, und geh dann noch in den Garten. Im Frühling muss man ja den ganzen Boden umgraben, damit das Unkraut nicht wuchert.

Ich komm erst gegen Abend heim, im Vorraum geb ich den Küken noch frisches Wasser und geh mich umziehen, raus aus den verdreckten Sachen. In der Küche höre ich, wie Opa mit Petra spricht. Da schau, sie ist raus aus ihrer Höhle. Die Tür ist angelehnt, ich bleib kurz stehn und hör zu.

„Und das hab ich gemalt, als ich noch in der Lehre war“, höre ich Opa sagen. Er zeigt Petra wieder mal seine Bilder. Sie mag es, auch wenn es immer wieder dasselbe ist.

„Und wer ist das?“, fragt sie neugierig. Ich weiß aber genau, sie tut nur so.

„Das ist der Masaryk“, antwortet Opa. Er weiß auch, dass Petra so tut als ob, aber es scheint ihm nichts auszumachen. Ich seh, wie das Mädchen mit der Hand über das Papier fährt. „So macht man Schatten“, erklärt Opa, „ich zeig‘s dir.“

Dann nimmt er einen Bleistift, hält ihn schräg und schraffiert eine Weile. Die Kleine macht es nach, ein paar Mal fällt ihr der Stift herunter, aber dann lobt sie der Opa.

„Und jetzt malst wieder ein bisserl. Mach doch das Pferdchen zu Ende“, sagt er und schiebt ihr ein anderes Blatt hin. Jaja, ein Pferdchen, sag ich mir. Das wird wieder so ein Geschmier sein, wie im Kindergarten. „Aber nicht drübermalen, schön langsam“, ermahnt sie der Opa.

„Soo?“ fragt Petra gedehnt und fährt jetzt langsamer mit dem Buntstift. Der Opa nickt.

„Schau, wie schön das geworden ist“, lobt der Opa und streichelt ihr die Haare. Wenn man sie so sieht, denkt man, was für ein braves Kind. Vor dem Opa tut sie auch so. Nur mit mir, da ist sie nicht zu bremsen. Mir fällt das Küken ein und es packt mich wieder der Zorn. Ich zieh mir im Bad was Sauberes über und gehe in die Küche.

„Was machst du hier?“ Ich werf dem Kind böse Blicke zu. Petruna guckt sich nach mir um, sie sieht, dass ich ihr noch immer böse bin.

„Lass sie halt“, brummt Opa. „Jetzt ist sie ja brav, schau hin, was für ein schönes Pferdchen sie gemalt hat. Ich hätt das nicht können, in ihrem Alter“, sagt er und deutet aufs Bild. Ich muss zugeben, für eine Fünfjährige ist es ganz schön gut. Anders als im Kindergarten. Aber ich sag nix.

Ich nehm Milch aus dem Kühlschrank, tu Brot in die Schüssel zerkrümel es und schütt Zucker drauf. Ich mach die Milch in der Kasserolle warm und gieß sie auf das zerbröselte Brot.

„Hier, Essen“, ich schieb die Stifte weg und streck es der Kleinen hin.

Sie beugt sie über die Schüssel und schiebt sie weg: „Ich will nicht.“

Schon wieder seh ich ihren störrischen Ausdruck.

„Aber danach gibt’s nix mehr.“

„Das macht nichts!“, gibt sie zurück.

„Isst auf, sonst kommt die alte Hex‘ und isst dir alles weg“, drohe ich.

„Was redest da für ein dummes Zeug?“, fährt mich Opa an. Er ist immer auf ihrer Seite.

„Ist kein dummes Zeug!“, fahr ich hoch, aber dann winke ich ab. Was soll‘s, wenn sie nicht will, ess ich‘s selber. Ich nehm mir die Schüssel und fang an zu essen. Petra glotzt mich an und tut so, als wenn es ihr egal wär. Als ob sie mich mit Absicht reizen wollte.

„Aufräumen und dann ab ins Bett“, sag ich und zeig auf die Stifte. „Sonst schimpft die Mama wieder, dass wir dich nicht erziehn.“

Die Kleine wieder extra: „Ich geh nicht!“

„Und ob du gehst!“ Wieder glotzt sie mich an mit dem trotzigen Blick. Und ihre Stirn, die gefällt mir überhaupt nicht. So hoch, gar nicht schön.

Und plötzlich streckt das blöde Kind mir die Zunge raus. Nur so ein bisschen. Sie will sehen, was ich mach. Und jetzt reicht’s mir völlig. Ich lass die Schüssel bleiben und geh auf sie los. Wie sie mich sieht, springt sie vom Stuhl und weg ist sie. Wie eine Wilde rennt sie und knallt plötzlich gegen den Türrahmen. Ich erschrecke erst, weil sie taumelt wie besoffen, aber dann springt sie auf und fängt an zu plärren.

„Geschieht dir recht!“, belle ich sie an.

„Hättest sie lieber hier bei den Stiften gelassen, wenn sie brav ist, dann wär Ruhe“, legt Opa nach.

„Misch du dich noch ein“, werf ich ein.

Petras Lippe ist aufgeplatzt und Blut tropft runter. Ich will sie ins Bad nehmen, damit sie sich wäscht, aber als ich auf sie zugehe und sie am Arm nehm, reißt sie sich los, fuchtelt mit den Armen und rauscht in die Stube. Sie kriecht zwischen die Schränke und heult.

„Bleib nur dort, irgendwann kommst ja doch raus!“, schrei ich in ihre Richtung. Ich werde mich nicht nach ihr strecken. Sie ist sowieso ins Eck gekrochen, dort komm ich eh nicht hin.

Wir sitzen mit Opa in der Küche, die Nachrichten im Fernsehen sind schon vorbei und Petra ist immer noch verkrochen. Ich überlege, ob ihr nicht etwas passiert ist, vielleicht hat sie am Ende eine Gehirnerschütterung.

„Geh mal schauen“, sag ich und schicke den Opa los. Opa steht auf und verschwindet in der Stube. Ich warte ein bisschen, dann geh ich auch hinein.

„Gib die Taschenlampe her“, sagt er und dreht sich zu mir hin. Ich krame aus der Schublade eine Taschenlampe und Opa leuchtet zwischen den Schränken. „Die ist dort eingeschlafen.“

„Petra, wach auf“, rufe ich ins Loch. Sie mümmelt etwas vor sich hin und zieht den Atem hoch.

Der Opa wird lauter: „Na komm, Petruška, heia machen, im Bett.“ Er greift mit der Hand nach ihr, zieht sie am Fuß und das Mädchen wacht ein bisschen auf.

Aber jetzt schmollt sie. Wir stehen eine Weile herum und denken nach.

„Hilft nichts, wir müssen den Schrank wegschieben“, beschließt Opa. Wir müssen uns ordentlich dagegen lehnen, es ist so ein alter Schrank, schwarz, von der Mutter. Was der schon alles mitgemacht hat! Am Anfang rührt er sich nicht, aber als wir stärker drücken, gibt er nach. Als Petra sieht, dass es kein Entkommen gibt, duckt sie sich ins Eck, und da wo die Rohre von der Heizung entlang der Wand gehen, da hält sie sich fest und lässt nicht los. Eine Weile rüttle ich an ihr, sie ist schon ganz wach, wieder brüllt sie wie ein Affe, aber sie lässt die Heizung nicht los. Ich hab keine Kraft mehr.

„Na aber zu mir kommst doch, oder, Petruška.“ Der Opa streckt sich nach ihr und die Kleine fasst ihn um den Hals. Er legt sie auf die Daunendecke bei mir ins Bett und sie schläft wieder ein. Wir schieben den Schrank wieder an seinen Platz, aber da schau, was hat die Matz an Sachen ins Eck geschleppt, mein Gott, schau dir das einer an! So viel Spielzeug, Malsachen. Und auch den Rührlöffel, den ich dauernd gesucht hab. Und irgendeinen Lumpen, alles verstaubt. Ich bück mich danach, und als ich ihn hochhebe, fällt was raus aus dem Lumpen und klimpert auf den Fußboden. Irgendein Stein, ohne Brille kann ich nichts erkennen, ich kann es nur ertasten und steck es ein. Ich schau gleich, unter der Lampe. Opa hilft mir, den Schrank wieder zurückzuschieben, wir machen das Licht aus und gehen zurück in die Küche. Ich nehm die Brille und setz mich hin. Ich schau mir an, was da aus dem Lumpen gefallen ist. Und es ist ein Ohrring, ein ganz schöner! Ein roter Stein im gelben Plättchen. Opa setzt auch die Brille auf.

„Das sieht echt aus, hat ne Punze! Das könnt Gold sein.“

„Wer weiß, vielleicht ein echter Granat“, sag ich und betrachte den Stein. Wo hat die Kleine das her? Das wird ihr nicht einfach so in den Schoß gefallen sein. Hab ich‘s doch gewusst, dass das ein böses Kind ist. Von daheim hat sie es nicht, das würd ich wissen, die Schwiegertochter würd sowas nicht tragen.

„Lass jetzt, frag sie halt morgen“, sagt Opa und winkt ab, „das hat sie bestimmt gefunden.“

Was weiß der schon, die Petra hat den doch um den Finger gewickelt.

(…)

 

Aus dem Tschechischen von Hana Hadas