WACHS & CO

Seit ich geheiratet habe, kann ich nicht mehr malen. Nicht, dass mein Mann mich daran hindern würde, dass er mir sagen würde: Du darfst nicht! Im Gegenteil, er hat mir die teuersten Farben gekauft (Marke Winton und Talens) und massenhaft Becher, Pinsel, Federn und Spachtel; japanische Tusche, Leinwand und handgeschöpftes Papier.

Aber die Einfälle kommen nicht. Ich habe die Schachteln mit diesen Sachen noch nicht einmal aufgemacht; an einigen sind noch die Siegel dran, sie baumeln an Kordeln an den hölzernen Kästchen, als ob es eine Sendung teuer Weine wäre. Und ich habe gar keine Lust, sie öffnen und anzuschauen und ihren Duft durch die Nase einzuziehen, auch wenn ich das früher einmal gemocht habe.

Mein Mann hat mir das gekauft und nicht weiter gefragt, ob ich etwas gemalt habe. Ab und zu fährt er mir mit der Hand über den Bauch und schaut mich bedeutungsvoll an, und ich zucke die Schultern oder schüttle den Kopf, und auf seinem glatten, elastischen Gesicht zeigt sich kein Ausdruck, aber man merkt, dass es ihm etwas ausmacht; es quält ihn, dass er den Standard noch nicht erfüllt hat: er hat eine Wohnung, ein Auto, Arbeit, nur eine Ehefrau in anderen Umständen, die hat er nicht.

Wir wohnen im Stadtteil Baba, einer Kolonie von hübschen Villen, die im Reiseführer stehen und zu denen die ersten Architektursemster Exkursionen machen.

Wir haben einen spektakulären Ausblick auf die Ufer der Moldau.

Zu Anfang haben mich die klaren, geraden Linien dieser Villa begeistert, aber dann hat mich mein Mann mit diesen versiegelten Kisten umgeben, randvoll mit seiner Erwartung eines Nachkommen, und mir wurde klar, dass ich entlang dieser klaren Linien nur zum Teufel gehen kann.

Mein Mann hat uns das Haus zur Hochzeit gekauft. So wie andere Salami oder Videocassetten oder eine Dauerfahrkarte für die Bahn oder Hundeanzüge kaufen, so hat mein Mann diese Villa aus den Dreißiger Jahren gekauft, auf festem Felsengrund.

Am ersten Morgen nach der Hochzeit hat er das Fenster zum Garten aufgemacht, einem schmalen Grasstreifen, der uns vom Drahtzaun und vom Gehweg trennt, über den Hundebesitzer promenieren, die einander grüßen und die Exkremente ihrer Lieblinge mit Papierservietten einsammeln.

Unsere Küche ist blitzeblank, chirurgischer Stahl, die Ecken abgerundet. Die Arbeitsplatte Marmor, das Spülbecken rostfrei und den Wasserhahn ersetzt eine Dusche für Gemüse und kleines Geschirr, der Rest wird in der großen Spülmaschine versenkt, die mit dem Müllzerkleinerer verbunden ist; ein Heißluftofen und ein Grill, alles eine Marke, unbenutzt, steril, bereit, zum Kochen, Backen, Trocknen, Hacken, Hobeln, Mixen, Saftauspressen, Einfrieren, Auftauen, Duschen, Verpacken, Desodorieren und zur Erfüllung anderer Wünsche.

Der Esstisch ist aus Plexiglas, durchsichtig und vollkommen beleuchtet, unzerkratzbar, er badet im künstlichen Licht von zwei starken Lampen, die von der Decke hängen, auf ihm leuchtet eine Glasvase wie ein Blitz.

Wir essen von Glastellern; auf ihrer Unterseite steht der Name des Designers, sie brennen einem nicht die Finger und halten das Essen in vollkommen temperiert. Wir haben ein ganzes Set davon, flache, tiefe, kleine Teller für Eis und für Torte, Schüsselchen für Salat und besondere Schiffchen für Oliven, Dressing und eingelegte Pilze.

Der Fußboden ist mit großen, zartrosa Ziegeln ausgelegt, die angenehm die Füße kühlen, und unter dem Tisch liegt ein Flauschteppich mit langen Zotteln.

Zum Saugen der Teppiche und kleiner Krümel ist ein besonderer Staubsauger bestimmt, man kann ihn in eine Hand nehmen, er heißt Wachs. Weil er auf Batterie läuft, saugt mein Mann mit ihm auch manchmal das Auto.

Zum Geschirrspülen, Bodenwischen und Möbelputzen verwenden wir ökologische Putzmittel. Mein Mann bringt sie aus Deutschland mit, wenn er dort dienstlich hinfährt. Sie sind aus natürlichen Rohstoffen, leicht abbaubar und ohne Tierversuche.

Das wird Dir gefallen, hat mein Mann gesagt, der an der Stelle des Herzens eine goldene Kapsel hat, ökologische Putzmittel. Fast hätte er angefangen, damit zu jonglieren. Sie sind in gläsernen Flaschen und auf ihnen ist ein Kaninchen im Dreieck abgebildet.

Die Presse für PET-Flaschen hängt an der Wand neben der Spüle.

Sie wird bedient wie folgt:

Man entferne zunächst das Papieretikett von der Flasche und tue es in eine besondere Tüte. Erst dann kann man die Flasche in den Ständer stecken, den Hebel betätigen und so den Umfang der Flasche auf nur ein Drittel verringern.

Die Container für die Mülltrennung stehen am Ende der Straße und werden jeden Montag geleert.

All diese Apparaturen, inklusive Elektromesser, Küchenmaschine und Mixer, Zitruspresse und Espressomaschine, habe ich gleich in der ersten Woche bedienen gelernt. Nicht einmal das Retrodesign einiger der Geräte machte mir Probleme.

In der ersten Woche haben mein Mann und ich uns auch auf der Küchenplatte aus Marmor geliebt, und eine Besucherin hat ihre Zigarette auf dem Plexiglastisch ausgedrückt. Es hat keine Spuren hinterlassen.

BOTANISCHER GARTEN (UND EIN BISSCHEN PALÄONTOLOGIE DAZU)

Heute tut mir der Kiefer weh. Ich geistere ziellos durchs Haus, von einem Raum zum nächsten, und reibe mir das Kinn. Vor dem Spiegel im Schlafzimmer fletsche ich mir die Zähne.

Mir tut das eingesetzte Stück Knochen weh, das mit einer kleinen, goldenen Schraube an den Schädel geschraubt ist. Man kann dagegen überhaupt nichts tun, ich muss warten, bis es von selbst vorbeigeht, bis mein erfundener Phantomschmerz mich verläßt, bis ihn meine echten Zähne zu sich rufen, die zu Staub zermahlen irgendwo im Wald herumliegen.

Mein Mann erwacht im Wohnzimmer auf der Couch, setzt sich auf und gähnt laut. Ich wate um ihn herum.

Was ist, fragt er.

Ich habe Zahnschmerzen, sage ich und bleibe nicht stehen, marschiere immer weiter hin und her.

Bastard, sagt er darauf. Er weckt Mišo, der schon zwei Jahre tot ist.

Er angelt sich die Zeitung und liest sich fest. Versucht nicht, mir Ratschläge zu geben oder mich zu trösten. Er kennt meine Schmerzen, so wie Ehemänner die Zyklen ihrer Frauen kennen. Weiß, dass sie von selbst vergehen. Er liest eine Weile und ich durchmesse das Zimmer mit meinen Schritten, von der Tür zum Fenster und zurück.

Wir leben nebeneinander wie Bäume, und wenn wir mit den Wurzeln aneinanderstoßen, ziehen wir uns schleunigst wieder zurück. Er wächst nach oben, und mein Wachstum hat aufgehört. Ich bin von innen ausgetrocknet, verhärtet und abgestorben wie der urzeitliche Schachtelhalm, mein Leben ist irgendwo im Stein verborgen.

Mein Mann hebt den Kopf von der Zeitung und schaut mich an. Er hat Augen, in denen alle Straßen, Banken und Krankenhäuser funkeln, die durch sein Zutun in Prag gewachsen sind.

Bei anderen dringen seine Augen bis nach innen durch, Schicht um Schicht, bei mir bleiben sie an der Rinde stehen und können nicht weiter.

NACH ZEHN

In der Nacht schmiegt er sich an mich. Fährt mir mit der Hand über die Brust, den Bauch, die Schenkel.

Heute ist sicher der richtige Zeitpunkt, sagt er hätschelnd.

Heute würde es ein Junge werden, antworte ich, und schon steckt er mir seinen dicken Penis in die Hand. Als er stöhnt und in mich hineinspritzt, fühle ich mich wie nach einem Sturm, ich kann mir nicht vorstellen, dass daraus ein Kind werden könnte.

Sein Samen vertrocknet in mir und ich schäle ihn aus mir ab wie die angetrocknete Milch aus der Kaffeetasse.

DUSCHE

Das einzige, worin wir uns verstehen, ist das Essen

Wir frühstücken Fleisch, Rindfleischscheiben mit Senf und Putenschinken, und trinken dann Schokolade und Kaffee. Es ist Sonntag, normalerweise ist er da bei mir zu Hause. Heute sagt er aber, dass er einen Vortrag hat. Was für einen Vortrag?

Er duscht sich. Ist hinter einer undurchsichtigen Wand. Ich höre, wie ihm die Seife aus der Hand fällt und über das nasse Emaille zum Abfluss gleitet. Als er aus dem Bad kommt, ist er schon wieder elastisch, geglättet, ungreifbar. Ich spüre, wie sich mein Schoß von selbst verschließt.

Im Klub der Architekten, sagt er. Wenn Du mitkommen willst…

Will ich nicht, sage ich und drehe mich zur Küchenzeile. Ich schneide eine Orange durch und bereite die Zitruspresse vor. Sind irgendwelche Frauen dort? Ich schaue, wie der Saft ins Glas tropft.

Er zischt ärgerlich und lacht auf. Ich spüre ihn hinter meinem Rücken.

Als ob Du nicht wüßtest, dass ich mich nur für Dich interessiere. Er packt meinen Po und drückt ihn fest.

Dann höre ich, wie er das Auto startet und vorsichtig losfährt, die Strasse hinunter.

TOILETTENSEIFE MARKE JARO

Die Luft im Bad ist feucht und heiß. Es duftet hier nach seiner Seife. Ich mache die Dusche auf und stelle fest, dass er sie nicht aufgehoben hat, sie ist im Abfluss steckengeblieben und um sie herum hat sich ein enger Ring von Schaum gebildet. Ich nehme sie in die Hand, und weil sie nass ist, rutscht sie mir wieder weg und verkeilt sich im Waschbecken.

Ich klettere in die Emaillewanne, gehe in die Hocke und fange an zu weinen.

SIE TUN, ALS WÄRE ER NIE DA GEWESEN

Immer, wenn ich von Miša rede, werde ich ganz steif und richte mich gerade auf, es schnürt mir die Kehle zu.

Ich muss selbst von ihm anfangen, weil die Leute um mich herum so tun, als hätte es ihn nie gegeben, und wenn sie zugeben, dass er nicht verdampft ist, dass er ein Grab hat und irgendwo sogar seine Bilder hängen, werden ihre Züge weicher und ihre Stimme wird leiser. Sie fühlen sich peinlich berührt, weil ihnen nicht dasselbe passiert ist wie mir, und sind zugleich froh, dass sie sich nicht haben berauben und betrügen lassen.

Kaum jemand hat Geduld mit mir.

Ich möchte, dass Ihr hört, was mir passiert ist, sagte ich, als ich langsam in den langen Tunnel einfuhr.

Hm, hm, sagte der Arzt. Wir wissen doch, was ihnen passiert ist. Jetzt dürfen Sie sich nicht bewegen, bis ich das Bild gemacht habe.

Im Tunnel war es dunkel und die Luft war trocken.

Ich habe eine gute Nachricht, sagte der Arzt endlich. Die Speicheldrüsen unter Ihrer Zunge sind nicht beschädigt!

MIŠO

Mišo stand völlig nackt auf dem Podest. Ihm gegenüber war auf einem hohen Stativ das Licht platziert; ein Punktscheinwerfer war ihm direkt in die Augen gerichtet, und ein zweiter auf den Penis, der einen samtenen Schatten auf seinen Schenkel warf. Auf dem Podest stand: Mišo. Mensch. Und an der Lampe war auch noch ein großer Spiegel installiert, für diejenigen, die sich nicht trauten, ihn direkt anzuschauen.

Ich schaute eine Weile in den Spiegel, ich drehte ich mich um. Mišo kniff im grellen Lampenlicht die Augen zusammen und seine Stirn war voller Falten. Er musste mich durch die Schlitze zwischen seinen Lidern hindurch anschauen.


ICH BERÜHRE DIE BEINE VON MIŠOS VATER

Ich war überrascht, wie alt Mišos Eltern waren. Wir saßen am Tisch, der mit einem gestreiften Tischtuch bedeckt war, aßen Suppe mit Knödeln und schwiegen. Von Zeit zu Zeit seufzten Mišos Eltern. Mutter und Vater. Beide. Sie nahmen sich ordentlichl Suppe und als wir aufgegessen hatten, stand Mišos Mutter auf, nahm unsere Teller und ging mit ihnen in die Küche. Dann brachte sie eine Schüssel mit Fleisch und Kraut. Im Kraut waren Stückchen von gebratenem Speck. Sie schaute mich an und ich lächelte. Mišo stopfte sich voll.

Ich streckte unter dem Tisch die Beine aus und berührte die Beine von Mišos Vater.

Entschuldigen Sie, sagte ich. Mišos Mutter seufzte.

Sag mal, warum seufzen Deine Eltern ständig? fragte ich Mišo, als wir allein waren.

Weiß ich nicht, sagte er. Das ist ihre Art, zu reden. Sie haben schon geseufzt, als ich noch klein war. Und je älter sie werden, desto schlimmer wird es mit ihnen.

Wir standen in Mišos Kinderzimmer. Modellflugzeuge aus Papier hingen von der Decke.

[…]

FLUNDER UND CO.

Mein Mann, ein totes Männlein und ich, essen in einem Restaurant für Snobs zu Abend. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass ich zu ihnen gehöre. Unsere Reihen sind fest geschlossen, wie beim Training für die Spartakiade oder bei Hitlers Fanclub.

Das Restaurant ist wie ein Ozeandampfer eingerichtet, an den Wänden hängen aufgerollte Taue und Rettungsringe, und die Kellner tragen blaue Anzüge mit Nadelstreifen. In der Ecke des Raumes, an der Tür zur Damentoilette, steht ein großes Aquarium mit kleinen, bunten Fischen. Es ist voller grüner Wasserpflanzen und sein Boden ist mit feinem, goldenem Sand ausgestreut. An dem Aquarium ist ein kleiner Mechanismus befestigt, der Sauerstoffbläschen ins Wasser sprudelt.

Das tote Männlein sitzt mir gegenüber, es faltet gerade die weiße Serviette mit dem Anker-Monogramm zusammen. Ich schaue es mir an. Ich darf das. Ich bin seine Frau.

Der Kellner wieselt herbei, die Speisekarten unter dem Arm.

Da stehen die Speisen in drei Spalten, erst auf Tschechisch, dann auf Englisch, und schließlich auf Deutsch. Das tote Männlein wählt lange, es kann sich nicht entscheiden. Sein Gesicht ist bleich und müde. Der Kellner, der das Trinken bringt, tut fröhlich und aufmunternd, als wäre nicht Mitternacht, sondern Mittag.

Das tote Männlein schaut mich an, Hoffnung im Blick. Hast Du schon gewählt? fragt es.

Nein, ich schüttle den Kopf. Ich nehme das gleiche wie du.

Das tote Männlein seufzt und vertieft sich wieder in die Speisekarte. Ich beobachte es schadenfroh. Es sucht sich einen Fisch aus, der noch töter ist als es selbst. Es weicht allem aus, was eine Schale oder einen Panzer hat. Als es wählt, gibt es sich zufrieden, sagt dem Kellner seine Bestellung und verschränkt die Finger unter dem Kinn. Es kneift die Augen zusammen.

Er weiß, dass ich heute beim Arzt war. Ich sehe die Frage auf seinen Lippen. Dann sieht er aus, wie wenn man einen irdenen Krug zerschlägt. Ich schaue mich um. Wir sind fast allein. Stille ringsum. Die Tonscherben knirschen unter unseren Füßen. Ich sammle sie ein und werfe sie auf den Tisch.

Du solltest dich untersuchen lassen, sage ich.

Das Essen kommt. Der Kellner sieht die tönerne Verwüstung auf dem Tisch nicht, er stellt die Teller und die Schüssel mit der Soße mitten hinein und wünscht uns guten Appetit.

Wir machen uns ans Essen. Beim Fisch spricht man nicht.

WEG ZWISCHEN BEFRUCHTETEN BÄUMEN

Wir gehen untergehakt. Er hat weiche lederne Halbschuhe, sie machen kein Geräusch.

Noch ist er still, aber sein Kinn bewegt sich. Das bedeutet, dass er etwas sagen will. Er wartet, bis sich ihm der Sinn mit Worten anfüllt, und die blubbern dann von selbst heraus.

Ich laufe ruhig neben ihm, weil ich weiss, dass seine Zeit kommen wird.

Diesmal sammelt er die Worte lange. Wir steigen den Hügel oberhalb der Dejvická hinauf. Zwischen den Bäumen ist es dunkel. Krumme Apfelbäume. Birnen, Kirschen. Alle mit sauren Früchten, und doch Ende August vollkommen abgeerntet von den Hiesigen.

Er bleibt stehen, um den Sakko auszuziehen. Wenn er rauchen würde, könnten wir uns eine anzünden. So stehen wir, ein Stückvon eineiander entfernt, und schweigen. Ich höre, wie er Atem holt. Dann spricht er meinen Namen aus. Nina. Ich bewege mich nicht. Wir messen uns mit Blicken, unsere Augen glänzen im Lampenlicht. Wir belauern einander wie Tiere. Er atmet durch die Nase, scharf und energisch. Das sind Momente, die reifen wie Obst. Er öffnet den Mund. Mir scheint, dass er den Mond schlucken will. Seine Zähne blitzen. Sie sprühen Speichel wie ein Springbrunnen.

Nina.

FISCHE TÖTEN

Fische töten – Anleitung:

Damit uns der Fisch beim Töten nicht wegrutscht, greifen wir ihn beim Herausholen aus dem Wasser mit einem Küchenhandtuch. Wir legen ihn aufs Brettchen, werfen ihm einen Zipfel des Tuches über den Kopf und betäuben ihn mit dem Fleischklopfer. Dann schneiden wir ihm mit dem Messer direkt hinter dem Kopf die Wirbelsäule durch.

Ein vor längerer Zeit getöteter Fisch hat trübe Augen und ausgeblichene Kiemen.

Ein abgestandener Fisch hat Maul und Kiemendeckel krampfhaft geöffnet.

Ein verdorbener und im Zerfall begriffener Fisch hat eingefallene Augen, seine Hornhaut ist mit einem Schleim bezogen, der stinkt, seine Innereien sind weich geworden und die Kiemen sind mit stinkendem Schleim angefüllt, die Schuppen und die Gräten sind locker, das Fleisch ist weich.

Ein frischer Fisch hat eine glänzende Haut, klare, vorstehende Augen, festes, elastisches Fleisch am Bauch, die Gräten und Schuppen sind fest verankert, er hat klare rote Kiemen und kompakte Innereien.

KANN MAN ERDE ESSEN?

Er riecht nach den Fischen, die wir zu Abend gegessen haben.

Das hier ist nicht meine Zeit, und deshalb habe ich Angst. Meine Zeit ist im Morgengrauen, wenn nicht einmal der liebe Gott weiß, ob es schon Tag ist oder noch Nacht.

Dann legt mein Mann los. Er schlägt mich, auf den Kopf, egal, wo er trifft.

Was ist mit dir, fragt er mich. Liebst du mich nicht mehr? Liebst du mich nicht mehr? Liebst du mich nicht mehr? Liebst du mich nicht mehr?

Es knackt in meinen Knien und gehe zu Boden. Er hackt weiter auf mich ein.

Liebst du mich nicht mehr?

Ich krieche vor ihm auf dem Boden in dem roten Kleid, in dem er mich schön findet (in einem ähnlichen Kleid habe ich sogar geheiratet), und er faselt immer weiter wie eine verdammte Grammophonplatte, die festhängt:

Liebst du mich nicht mehr? Liebst du mich nicht mehr?

Ich rolle mich vor ihm zusammen, ziehe die Knie ans Kinn und den Kopf zwischen die Schultern. Die Steinchen, die auf dem Weg liegen, drücken in der Hüfte. Dann krieche ich zu seinen Füßen hin, ich taste mit den Händen um mich her und er macht immer weiter: Liebst Du mich nicht mehr? Liebst du mich nicht mehr?

Als ich das Gefühl habe, am Ende meiner Kräfte zu sein und die Schnauze voll zu haben, schreie ich: Genug! Sei endlich still! Halts Maul!

Er verstummt, aber mir scheint es, dass ich ihn immer noch heulen höre:

Liebst du mich nicht mehr? Liebst du mich nicht mehr?

Ich nehme eine ganze Hand voll Erde und stopfe sie mir in den Mund. Ich kaue wie um die Wette, und scharre mir mit den Händen noch mehr Erde zusammen, aber er kniet sich schnell neben mir hin und ruft: Schluck das bloß nicht! Und wischt mir die Hände sauber wie einem kleinen Kind.

BUMM

Das Licht ist aus. Einen Moment lang weiß ich nicht, ob ich mit ihm hier bin oder mit Mišo. Das erste Frühlicht kommt durchs Fenster. Wenn es Mišo wäre, käme jetzt bald seine Stunde. Der Mann neben mir seufzt im Schlaf und dreht sich auf die Seite. Ich erkenne, dass es das tote Männlein ist, mein Mann.

Ich kann nicht schlafen. Ich schaue auf meine Hände, halte sie mir dicht vor die Augen und prüfe, ob ich Erde unter den Fingernägeln habe.

Das Zimmer ist graurosa. Eine zeitlang beiße ich mir unentschlossen in die Hand. Dann stehe ich auf. Ich steuere die Küche an. Auf dem Flur liegen unsere Kleider auf einem Haufen. Den umgehe ich und gehe weiter. Die Kücher ist voller Morgenlicht. Sie leuchtet wie ein Tempel. Aus der Espressomaschine schießen Blitze. Ich setze mich auf den Stuhl ihr gegenüber und betrachte sie. Nie hätte ich gedacht, dass sie so schön aussehen kann. Mir scheint, dass sie nur dazu da ist, Licht zu generieren und zu reflektieren.

Gestern, als wir gekommen sind, hat mein Mann mir die Zähne geputzt. Er hat mich ins Bad geführt, die Zahnbürste aus dem Glas genommen, Pasta daraufgedrückt und angefangen, mir die Zähne zu putzen, hin und her, so, wie man es nicht machen soll. Ich bekam Zahnfleischbluten.

Als er mir den Mund perfekt enterdet hatte, hat erlaubte er mir, auszuspucken und wusch mir das Gesicht. Dann zog er mich aus, knüllte das Kleid zu einem kleinen Häufchen zusammen und stellte mich unter die Dusche. Er mischte das Wasser sorgfältig, bis es lauwarm war, und ließ es auf mich herabströmen.

Ich hatte die Augen geschlossen, und als ich sie wiede öffnete, sah ich, dass er weinte. Ich musste ihm den Rücken zuwenden, um das nicht sehen zu müssen. Ich starrte auf die nassen Bodenkacheln und ließ mir von ihm den Rücken waschen. Im Rauschen des Wassers hörte ich, wie er sich bei mir entschuldigte.

Das war eine Nacht, die sich nicht zurücknehmen läßt. Sie war herangereift und geplatzt

Wie wenn einem das Herz explodiert – bumm!

Ich mag solche Nächte nicht, beschwerte ich mich bei der Espressomaschine. Ich schielte zu ihr hin. Sie loderte noch. Solche Nächte sollte es nicht geben.

Die Maschine schwieg.

Ich merkte, dass ich heulte. Die Sonne stieg ein bisschen höher, und die Maschine, das Schwein, erlosch. Gott war gegangen.

Trotzdem fühlte ich mich leise schuldig, als ich mir damit am Morgen meinen Kaffe kochte.

ICH TRÄUME I

Als mir das mit Mišo passiert ist, bin ich mir vorgekommen wie eine bestohlene Alte, die mitten auf einer belebten Straße steht. Die Finger fest um den Henkel einer Tasche gekrallt, die es nicht mehr gibt.

Ich wachte unter einem blau gestreiften Federbett auf. Der Stoff war rau und knirschte in der Hand. Ich sah Mišo sofort. Er beugte sich über mich, lächelte und hatte eine Teekanne in der Hand. Er tat, als ob nichts geschehen sei. Als ob ich gestern die Federbetten gewaschen und zwischen den zwei Apfelbäumen auf die Leine gehängt und mich abends gefreut hätte, dass sie getrocknet waren. Sein Gesicht war frisch und er kniff die Augen zusammen. So machte er das immer, wenn ihm etwas gelungen war. Ein Bild, ein Essen; wenn er mich beim Schach besiegt hatte; wenn er einen einzigartigen Sonnenuntergang aufgesogen hatte; wenn er irgendeine seiner kleinen Wahrheiten entdeckt hatte.

Wenn ich ihm am Abend ein Märchen vorlas und ihm die Illustrationen zeigte, dich ich dazu gemacht hatte.

Wenn er sich ein weiteres Stück Geduld abschneiden und an die Schnur seiner guten Eigenschaften hängen konnte.

In solchen Augenblicken war er nicht mehr angespannt und wachsam, sein Gesicht wurde locker und munter und aufmerksam für meine Bedürfnisse. Er konnte so unaufdringlich beflissen sein wie ein Pilz, der langsam wächst, froh und frei, so dass er den Unterschied zwischen sich und einem Engel verwischte.

Ich merkte, dass er nackte Füsse hatte. Ich stützte mich mit dem Ellbogen auf und schaute sie an. Sie waren mit Schlamm und Gras verschmiert. Er hatte Tannenadeln zwischen den Zehen. Als ich den Kopf hob, beobachtete er mich. Er lächelte nicht mehr.

Wo hast Du Dir so die Füße beschmiert? fragte ich.

Er stellte die Kanne ab und duckte sich, sein Gesicht zog sich zu.

Im Wald, war seine Antwort.

Jedes Mal, wenn er das sagt, saust mir etwas um den Kopf und meine Eingeweise lösen sich, als hätte ich sie geölt. Ich wache auf, und Mišos Wort sind noch um mich her zu hören. Sie klingen durchs Zimmer.

Immer wenn ich im Traum unter dem gestreiften Federbett erwache, weiß ich, dass ich sie hören werde. Ich stelle mir mich selbst vor, wie ich mich im Bett winde und krampfhaft einatme, während mein Mann nebenan ruhig schläft.

Mišo kommt, und wir spielen unser Spiel. Die Wörter passen ineinander wie eine Schraube in die Mutter.

ALLES WIRD GUT

Das Frühstück ist wortkarg. Manchmal stoßen mein Mann und ich mit den Blicken aufeinander. Er spricht nicht, weil auch ich schweige. Ich habe Arrest, er hält zu mir.

Er isst gierig und mit Appetit. Er ist ein gesunder Mensch.

In seinem Kopf ist alles wohlgeordnet. Die Hierarchie der irdischen Besitztümer blank geputzt und zum Gebrauch vorbereitet.

Ich komme da nicht so schnell raus. Ich habe den Geschmack der vergangenen Nacht immer noch im Mund. Wir trinken Tee und Mineralwasser. Meine Beine zittern unter dem Tisch. Mein Mann hält sein gestriges Handeln für abgeschlossen.

Es ist Sonntag, Zeit, die unserer Ehe vorbehalten ist.

Als er fertig gefrühstückt hat, schiebt er den Stuhl zurück und steht vom Tisch auf. Er küsst mich und geht ins Bad, um sich zu rasieren. Er hinterlässt einen Teller voller Krümel, eine Tasse mit einem Rest Tee und dreckiges Besteck. Ich höre, wie im Bad das Wasser angestellt wird.

Ich schaue auf seinen Platz, als säße er immer noch dort.

Nach einer Weile sehe ich ihn als Geist, um ein Vielfaches vergrößert, mit Butter und Schinken farciert, die Augen schwarz und rund. Er bleibt bei mir und wir drehen gemeinsam den Kopf zum Bad, wo mein Mann den Rasierapparat einschaltet und sich ans Gesicht legt.

Der Geist hat die dicken Lippen meines Mannes und möchte reden.

Mich quält das Gestern, flüstere ich. Meine Zunge ist heiß.

Der Geist rollt eine Scheibe Schinken zusammen und steckt sie sich in den Mund.

Du isst nicht, bemerkt er. Er kaut locker. Dann sagt er: Es ist Sonntag. Der Tag, der für unsere Ehe vorgesehen ist. Wir sollten ihn damit beginnen, dass du dich ordentlich satt isst.

Ich bin zerbrochen, sage ich. Und das Zahnfleisch tut mir weh davon, wie du mir gestern die Zähne geputzt hast.

Er hebt die Augenbraue. Aha, sagt er. Musst du davon anfangen! Er freut sich. Vom Zähneputzen. Als ich dich geheiratet habe, wusste ich, dass es nicht leicht werden würde. Es sollte Dir klar sein, dass Erwachsene keine Erde essen.

Sein Herz pulst in seiner durchsichtigen Brust.

Ich quäle mich, sage ich. Ich schlafe schlecht und bin traurig. Hilf mir!

Der Mann im Bad hat sich rasiert und fängt an, das Waschbecken wieder sauberzumachen.

Du musst so tun, als ob nichts passiert sei, sagt der Geist. Und dann merkst du, dass eigentlich wirklich nichts passiert ist. Er schiebt mir den Teller mit dem Rest vom Schinken hin. Schau, tausende Kinder auf dieser Welt hungern. Und wir stopfen uns hier mit Schinken voll. Und tun als wär nichts. Und das erlaubt uns, normal zu leben. Sogar fröhlich. Er steckt sich noch ein Schinkenröllchen in den Mund.

Der Mann im Bad schaltete die Lüftung ein.

Du musst einfach so tun, als wäre nichts. Nicht Erde fressen. Nicht dir im Spiegel die Zähne zeigen. Dich befruchten lassen. Der Geist schaut sich um.

Der Mann kam den Flur entlang.

Verstehst Du?

Ich blinzelte. Draußen war ein schöner Morgen.

Mein Mann setzte sich hin, und der Geist glitt in ihn hinein.

Mein Mann zog seinen Teller heran. Seine Lippen bewegten sich. Er hatte vor, etwas zu sagen.

Ich streckte schnell die Hand aus und stopfte mir den Mund mit Fleisch voll.

 

Die Übersetzung von Kathrin Janka ist für das Projekt “So nah, so fremd” von Šárka Krtková, Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung im Programm Kulturmanager aus Mittel und Osteuropa entstanden. Das Projekt wurde durch die Robert Bosch Stiftung, den Deutsch-Tschechischen Zukunftsond und das Literaturhaus München gefördert.