Milan Ohnisko

Licht in der Wunde

2016 | Druhé město

1971

Du stehst unten auf dem Gehsteig
und winkst

Hinter dem Fenster die verrenkte Stadt

Stille wie
in der Urne des Selbstmörders

Dein Rücken geht gerade

Mit der Nase verreibe ich
Rotz auf dem Glas

 

Hydra

Sie gibt zum Besten, wie sie die Tochter, drei Jahre alt, durch die Glastür stieß. Die Kleine soll sie echt auf die Palme gebracht haben. Zur Strafe hab ich sie noch kahlgeschoren, lacht sie und bläst Rauch aus. Ich will gehen, aber da öffnet sie schon den Wein und bietet mir das Du an. Nach dem dritten Glas machen wir es.

 

Schwarze Chronik

Ich bin einsam
bekannte sich im Verhör
der festgenommene Rentner
zum Schärfen der Bombe

anschließend gab er zu Protokoll:
Ich heiße Votýpka, aber seit meiner Kindheit
nennt mich keiner anders als Votýpka

Gezeugt wurde ich im Mais
wenigstens tuschelte man das
Angeblich trug Vater
einen Lavendelzweig am Hut

Mein Weg wand sich eigenartig
das kann ich unterschreiben. Durch
haushohes Moos irrte ich,
hoch wie der Himalaja!

Was es bei Ihnen Neues gibt,
erzählen Sie mir nächstes Mal, liebe Herren
Jetzt muss ich gehen
und die Ziege melken

den Router neu starten
eine Tasse Hagebuttentee trinken
denn ich bin einsam

 

Abend

Die Overalls auf der Leine glänzen wie Silber
die Sonne fällt im freien Fall an einen unbekannten Ort

Hungrige Augen suchen hungrige Augen

Eine Keramikhand schließt die Tür auf
die Stimme sagt hier entlang

 

Moldau

Sirenentest
und danach Stille
wie im Stummfilm

Die Pförtnerin süßt ihren Tee
stellt den Radiosender ein

Absatzklappern

Niemandes Parfum

Über dem Fluss fliegen Schwäne
am Himmel ziehen graue Wolken

Viele sterben auf der Reise

 

Übersetzung: Jana Krötzsch