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EINEN HUND VERSCHENKT MAN NICHT

Fast jeder im Dorf hat einen Hund und wir hatten ja auch Ťapka. Das ist sogar meine allererste Erinnerung. Da war ich zweieinhalb und Opa hat mich auf dem Pferd mitgenommen und wir sind durchs Dorf geritten und haben irgendwo im Dorf einen Welpen abgeholt. Aber vielleicht ist das gar keine Erinnerung, vielleicht habe ich mir das nur ausgedacht, wegen der Fotos, weil Papa lange so einen alten Fotoapparat mit Filmen hatte, von denen echte Fotos gemacht wurden, und es gibt ein Foto, wie ich an Opas Hand laufe und Opa trägt einen Welpen und der Welpe ist Ťapka.

Ťapka war allerdings ein kleiner Hund und hat den Garten nie verlassen und in der zweiten Klasse hab ich das Buch Wir Kinder aus Bullerbü total geliebt und da hat ein Junge einen Hund, der nur ihm gehört, und deshalb wollte ich auch unbedingt einen Hund haben, der nur mir gehört.

Da bin ich zu Papa gegangen und hab ihm gesagt, dass ich einen Hund will, der nur mir gehört. Und er hat gesagt, dass ich noch klein bin und dass man Kindern keinen Hund kauft, weil ein Hund kein Spielzeug ist, und dann hab ich es wieder vergessen, weil ich wohl wirklich noch klein war. Aber dann hab ich mal im Herbst in der vierten Klasse mein Zimmer aufgeräumt, Mama wollte das, und dann hab ich das Buch wiedergefunden und mir ist eingefallen, dass ich jetzt, wo ich schon größer bin, doch den Hund bekommen könnte.

Zuerst hat mir Papa wahrscheinlich gar nicht zugehört, er hat einfach weiter Holz gehackt, also bin ich wieder gegangen.

Mama habe ich erstmal nichts davon erzählt, weil sie gerade Julie und Nina bekommen hatte und sich um nichts anderes als um die Babys kümmern konnte, außerdem hätte sie mir sowieso gesagt, dass ein Hund ein teures Vergnügen ist und dass ich mir keinen Blödsinn ausdenken soll. Und sicher auch, dass ich mich dran erinnern soll, wie ich Trompete lernen wollte – was ich wirklich unbedingt wollte, aber nur vierzehn Tage lang, bis ich gemerkt hab, dass das echt schwer ist – und dann noch, dass wir ja schließlich schon Ťapka haben.

Ich bin mir nicht sicher, warum ich es dann nicht wieder vergessen habe – so bin ich, sagt Papa, dickköpfig. Bestimmt lag es daran, dass ich wusste, dass das Blödsinn ist und er mir niemals einen Hund kaufen würde – auch wenn ich gar keinen besonderen Hund wollte, einfach einen ganz normalen, aber er sollte groß sein, genau wie Swipp in dem Buch – und deshalb wollte ich ihn vielleicht umso mehr.

Und weil bald Weihnachten war, hab ich mir gedacht, dass ich einen Brief schreibe, obwohl ich natürlich weiß, dass es kein Christkind gibt und die Eltern die Geschenke kaufen. Deshalb bekomme ich auch nie irgendwas Richtiges, weil meine Eltern kein Geld haben – Papa arbeitet im Wald und Mama geht nicht zur Arbeit, weil sie die Babys hat und mit ihnen zu Hause ist.

Und genau deshalb wollte ich mir den Hund wünschen, weil ich in der Kneipe im Fernsehen gesehen hab, dass man einen Hund aus dem Tierheim holen kann und dafür nichts bezahlen muss, auch wenn das Futter dann doch was kostet, aber Ťapka frisst auch die Reste vom Abendessen, also was soll’s.

Ich hab dem Christkind also einen herrlichen Brief geschrieben und den Hund gezeichnet, ich hab sogar verschiedene Hunde gezeichnet, damit klar ist, dass es kein bestimmter sein muss. Mama ist dann zu mir gekommen und hat gesagt, dass das wirklich nicht geht, dass ich mir was anderes wünschen soll. Ob ich nicht vielleicht ein Handy will oder irgendwas, was die andern Kinder in der Schule haben, dass sie vielleicht eins besorgen könnten, das nicht so teuer ist. Und natürlich hätte ich ein Handy gebraucht, alle haben eins, ich hätte auch gern einen Fernseher oder einen Computer zu Hause gehabt, aber in dem Moment konnte ich mir einfach nichts anderes wünschen als einen Hund.

Mama hat mir über die Haare gestrichen und gesagt: „Marti, lass doch den Quatsch.“

Ich bin mir nicht sicher, ob die Erwachsenen wissen, dass sie genau das Gegenteil erreichen, wenn sie so was sagen, und ich mir nie mehr irgendwas anderes wünschen werde, bis sie mir einen Hund kaufen oder meinetwegen einen aus dem Tierheim holen.

Wir haben keinen Fernseher und auch keinen Computer, der Fernseher ist vor Kurzem kaputtgegangen und meine Eltern haben gesagt, dass ein neuer überflüssig ist, und einen Computer benutzen sie auch nicht, also wozu einen anschaffen? Ein Handy hat nur Papa, so ein altes mit Tasten. Also bin ich in der Klasse die totale Außenseiterin, aber zum Glück bin ich mit Faňa befreundet, dem es ähnlich geht, seine Eltern haben vielleicht Geld, aber sie halten solche Sachen für unnötig und finden, dass Kinder nicht vor dem Computer sitzen sollten. Auch wenn bei ihnen zu Hause ein Computer steht, spielen Faňa und Kája nicht darauf. Das ist nur Onkel Standas Arbeitsrechner. Außerdem sind sie alle Vegetarier, ihre Mama ist sogar Veganerin, das bedeutet, dass sie auch keinen Käse und keine Eier essen kann, nicht mal wenn‘s ein Ei von unsern Hühnern ist, die glücklich sind und nicht in winzigen Käfigen hocken, kaum noch Federn haben und irre dreinschauen, mit ihren gebrochenen Beinen und Flügeln.

Das habe ich auch im Fernsehen gesehen, als wir den Fernseher noch hatten, und seitdem esse ich nur noch unsere Eier, nie im Leben esse ich ein gekauftes Ei, damit will ich zeigen, dass mir was an den Hühnern liegt, auch wenn sie dämliche Geschöpfe sind, die ständig gackern, was ich nicht ausstehen kann. Dummerweise kaufen meine Eltern nie Eier, also merkt keiner, dass ich gegen die Hühnerzucht in diesen Käfigen bin.

Das Gespräch mit Papa läuft eindeutiger, aber nicht wirklich besser.

Zuerst sage ich, dass ich einen Hund will, und er sagt, wenn ich nicht endlich mit diesem Hund aufhöre, bekomm ich gar nichts, und das will ich natürlich nicht.

Ich schweige, sage einfach nichts mehr, und Papa sagt: „Gut. Du bekommst nur nützliche Sachen für die Schule und so was. Und neue Winterstiefel. Wie du meinst.“

Ich schweige immer noch, ich weiß, das Papa keine Witze macht, aber ich weiß auch, wenn ich jetzt nachgebe, werde ich nie einen Hund haben und ich will einen Hund. Papa zuckt mit den Schultern und macht mit seiner Arbeit weiter, er sagt mir nur, ich soll ihm beim Kaninchenfüttern helfen, also mach ich’s.

Mama meint, dass ich mir mit meiner Sturheit das ganze Weihnachtsfest verderbe.

Papa sagt, ich soll aufhören, sonst vergisst er sich und verpasst mir eine.

Julie sagt nichts, sie spricht überhaupt nicht, obwohl sie schon anderthalb ist. Dafür spricht Nina die ganze Zeit, aber bloß „Mami“ und „papa“, was so viel wie Happa Happa bedeutet, und „bu“, also bumm, wenn sie was auf den Boden wirft, was sie ständig macht.

Ich bin wirklich gespannt, weil meine Eltern die ganze Zeit so tun, als ob da nichts draus wird, aber ich weiß, dass Eltern den Kindern ihren Weihnachtswunsch erfüllen müssen, dass sie nur so tun, mit ihren ernsten Gesichtern und Sprüchen wie: „Marti, es ist noch genug Zeit, dir was Anderes zu wünschen.“

Aber dann, als Papa Heiligabend das Glöckchen läutet, während Mama so tut, als ob sie im Schuppen Holz holt, renne ich rein (seltsamerweise ist Papa nicht dort und das Fenster, aus dem er hätte rausspringen können, steht nicht offen, das muss ich im nächsten Jahr genauer unter die Lupe nehmen) und sehe, dass unter dem Baum kein Hund ist und auch keine Schachtel, in der ein Hund sein könnte.

Ich fang schon fast an zu heulen, aber dann sag ich mir, dass sie den Hund vielleicht nebenan im Zimmer haben und ihn später reinlassen, also beruhige ich mich wieder und Mama verteilt mit Julie und Nina die Geschenke. Die Zwillinge wollen alle Geschenke auswickeln, sie zanken sich die ganze Zeit und heulen abwechselnd, wenn die andere eins auswickeln darf, also wickeln sie auch meine Geschenke aus: Winterstiefel, eine Mütze mit Schal und drei Bücher, und dann packt Julie ein Handy aus und mir wird klar, dass ich keinen Hund bekomme. Und als mir Julie die Schachtel gibt, zieh ich meine Hand weg, ich will es nicht, dann heul ich los und renn aus dem Zimmer und zieh mir im Flur meine Stiefel an. Alle kommen in den Flur und meine Eltern sagen was zu mir, aber ich hör überhaupt nicht hin, stürme ohne Jacke raus und ab durchs Gartentor. Dann renne ich die Straße entlang, bis Papa mich einholt und festhält. Ich kloppe mich mit ihm und er hält mich fest, seine Jacke riecht nach Sägemehl, und er trägt mich rein, obwohl ich schon groß bin.

Und dann erklären sie mir alles wieder und wieder, aber ich weiß das alles, ich weiß, dass ein Hund Verantwortung bedeutet und dass man sich kümmern muss und dass er Geld kostet und dass wir schon einen Hund haben. Aber das Telefon nehm ich trotzdem nicht an und geh ganz traurig ins Bett und beschließe, nie wieder mit ihnen zu reden. Das halte ich aber nur zwei Tage durch, was auch schon ziemlich schwer ist, weil ja Weihnachten ist und wir viel zu Hause sind und außerdem zu Opa und Oma gehen. Opa steht rauchend vor dem Haus, als ich vom Schlittenfahren zurückkomme – da hab ich mein Schweigegelübde noch eingehalten – und sagt zu mir: „Ich kann dich verstehen, Mädel, einen eigenen Hund zu haben, ist eine tolle Sache. Aber Kindern schenkt man nun mal keine lebendigen Wesen. Na ja, manche machen das“, fügt er hinzu, „aber man sollte es nicht.“

In dem Moment fällt mir ein, dass ich im März Geburtstag hab.

 

2

EIN KLEINER HÄNFLING

Doch dann bekomme ich den Hund nicht im März, sondern schon im Februar, weil Ťapka stirbt. Sie ist schon alt und verlässt kaum ihre Hütte – sie hat eine tolle warme Hütte, aber morgens kommt sie immer raus und begrüßt mich – also, nicht nur mich, sondern alle, die morgens aus dem Haus kommen. Aber eines Tages kommt sie überhaupt nicht aus ihrer Hütte und als ich nachmittags nach Hause komm, liegt sie zusammengerollt in der Hütte, sie ist mausetot, völlig steif. Und so zusammengerollt bringt Papa sie weg, weil der Boden gefroren ist und wir kein Grab schaufeln können.

Ich frag, wo er sie hinbringt, aber keiner sagt‘s mir.

Dann mache ich mit Mama so eine Art Grabmal mit einem Kreuz und zünde eine Kerze an.

Klar tut es mir um Ťapka leid, aber sie war schon alt und sie war nicht mein Hund. Jetzt bekomme ich einen eigenen Hund, deshalb bin ich auch nicht traurig. Es ist bloß komisch, dass die Hütte jetzt leer ist und Ťapkas Wassernapf zufriert und keiner das Eis kaputtmachen und warmes Wasser reingießen muss.

Ein paar Tage später sitzen wir beim Abendbrot und Papa sagt, dass ein Bekannter von ihm ein paar Welpen hat und uns einen abgeben würde, und ob wir dort morgen nach der Arbeit vorbeischauen, und ich nicke, klar, auch wenn Papa „uns“ gesagt hat, obwohl das ganz allein mein Hund wird.

Dann schicken sie mich in die Kneipe Bier holen, sie geben mir die Kanne und ich geh los, normalerweise renn ich mir dabei ‘nen Wolf, weil es fast zwei Kilometer sind bis zur Kneipe, was mir nichts ausmacht, aber auf dem Rückweg muss ich aufpassen, damit ich das Bier nicht verschütte, und überhaupt macht es keinen Spaß, die Kanne zu schleppen, aber heute mach ich’s gern.

Am nächsten Tag steh ich angezogen vor dem Haus und warte voller Vorfreude auf Papa, aber er geht erst rein und setzt sich hin, isst ein Salamibrot und trinkt ein Bier. Ich seh ihm zu, wie er isst, bis er sagt, wenn ich ihn weiter anstarre, gehen wir nirgendwohin, also geh ich wieder raus und spiel ein bisschen mit Julie und Nina, auch wenn’s mit ihnen langweilig ist und dauernd eine von ihnen flennt.

Ich treffe Nina mit einem Schneeball ins Gesicht, aber ohne Absicht, und Mama jagt mich wütend durch den Garten. Ich versuche, nicht zu lachen.

Dann gehen wir endlich los, Julie fängt an zu heulen, weil sie auch mitwill, aber Papa winkt ab: „Nichts da. Ich schleppe keinen Kinderwagen mit.“ Mama sagt irgendwas Gemeines zu ihm, aber ich höre eh nicht hin, ich stelle mir vor, wie der Hund aussehen wird, dass er aussieht wie ein Wolf, das wäre am besten.

Und dann gehen wir ins Nachbardorf, durch den Wald, das ist kürzer, Papa findet es überflüssig, bei den paar Kilometern Geld für den Bus auszugeben, und ich sag nichts. Das Hegerhaus, in dem der Jäger wohnt, liegt ganz am Ende des Dorfes, eigentlich noch hinter dem Dorf, auf dem Hof bellen zwei große Hunde und zwei Dackel und dann steht da noch ein zahmes Reh, und drinnen ist ein normaler brauner Schäferhund, das ist die Mutter der Welpen, und sieben braune Welpen und ein weißer und sie sind alle toll, aber ich weiß schon, welchen ich will.

„Das ist ein kleiner Hänfling“, sagt der Heger. „Aus dem wird nichts.“

„Nimm einen vernünftigen“, sagt Papa, aber ich halte den weißen schon im Arm, er will nicht zu mir, windet sich heraus und fällt auf den Boden. Ich erschrecke, aber der Heger lacht und der Hund rappelt sich gleich wieder auf und ist putzmunter.

Wir tragen ihn in eine Decke gehüllt nach Hause, wir wechseln uns ab, Papa trägt ihn länger, aber ich muss auch, schließlich gehört er mir, auch wenn mir die Arme wehtun. Wir lassen ihn auch ein bisschen laufen, ein weißer Hund auf dem verschneiten Weg, ich hab Angst, dass er wegläuft, weil ich keine Leine hab, und dass er vielleicht friert. Wir bringen ihn ins Haus, Mama gefällt er, sie sagt: „Ein hübsches Hündchen.“ Und Julie ist begeistert, bis er sie umwirft und an den Haaren zieht, und Nina, die hat von Anfang an Angst vor ihm. Beide rennen vor ihm weg und klettern aufs Sofa, damit er sie nicht erwischt.

Ich nenne ihn Schneeflocke.

Aber er ist kein braver Hund. Das zeigt sich erst, als er größer wird.

Aber dass er taub ist, das zeigt sich schon nach ein paar Tagen.

 

Übersetzung: Katharina Hinderer