Emil Hakl

Kiras Version

2016 | Argo

1. Subversion

Noch bevor das Schloss einrastet,

weiß ich, was passiert ist, worauf es bei mir schon seit längerer Zeit hinausläuft. Ich habe mich ausgesperrt. Ich gehe runter zu den Mülltonnen, in der Hand die Abfalltüte, mache den Deckel auf, schmeiße sie rein. Das Innenleben lässt einen Schwarm Essigfliegen frei, den Mief von Rettich und altem Fleisch.

Ich klinke die Haustür auf, gehe nach draußen. Kaum knallt die Tür zu, wird mir klar, dass das der nächste Fehler war. Ich hätte alle Mietparteien durchklingeln sollen, in Türspione grinsen, mich zu Leutseligkeit zwingen. Jemanden bitten, von seinem Festnetz aus den Schlüsseldienst anrufen zu dürfen.

Die Frage ist, ob so ein Jemand im Haus ist. Wir haben Freitag, Juli, außerdem irgendeinen Feiertag. Alle sind in den Wochenendhäusern, auf Ausflügen, schwitzen am Meer, bei Verwandten, in Spaßbädern. Den Rest bilden ein paar Nutrias, verbarrikadiert in ihren Küchen mit der Flasche in der Hand, die niemals auf irgendwas reagieren.

Ich setzte mich vor dem Haus auf das Rohrstangengeländer unterm Ahornbaum. Schaue auf das Klingelbrett, das kürzlich von irgendwem mit einem stumpfen Gegenstand massakriert worden ist. Warte, dass jemand rauskommt oder reingeht.

Die Baumkronen reduzieren die harte Sonneneinstrahlung auf ein goldgelbes Flimmern. Ein schlaffer Wind raschelt in den Ästen.

 

Ein, zwei Stündchen passiert gar nichts.

Einmal taucht hinter der Gardine die alte Horká auf, mit der ich Verpflegungskommunismus betreibe. Von Zeit zu Zeit klingelt sie und steckt mir ein lauwarmes Schnitzel in Alufolie zu. Manchmal klingle ich und bringe ihr eine Schale aufgebackenes Kartoffelgratin. Solange ihr Mann noch lebte, initiierte sie immer wieder langwierige Nachbarschaftsstreitigkeiten, forderte Kompensation für angebliche Wasserschäden, guckte jeden grimmig an wie eine alte Hexe, grüßte nicht. Seit seinem Tod ist sie wie ausgewechselt. Gerne redet sie ziemlich vernünftig über Themen wie die Ukraine, den Nahen Osten, schlesischen Bigos, Krampfadern und wie das mit uns weitergehen soll.

 

Ehe ich es schaffe, zu winken, ist sie wieder weg.

Alte, schieb die Gardine weg! Ich sitze da, in Hausklamotten, löchriges T-Shirt, verwaschene Cargohose, Sandalen.

Vor dem Zeitungsladen an der Ecke sind zwei Mandarins aus der Hölle abgelegt, die kapuzenverdeckten Köpfe gegen die Fassade gelehnt. Die Augen in den unterlaufenen Gesichtern blicken in die Sonne, die ihnen nichts mehr anhaben kann. Aus den Hosenbeinen rinnt eine dunkle Flüssigkeit und läuft auf dem Gehweg breit. Durch die Ladentür ruft ihnen ein vietnamesischer Mann mit Brille hilflos zu: „Nich pissen!“ Er wedelt mit einem Finger. „Nich mir hier hinpissen!“

Eins der Gespenster röchelt: „Zeit zum Anker Lichten, du Berserker …“, allerdings erheben sie sich nicht.

Aber ich. Um mir die Beine zu vertreten. Ich gehe über die Hauptstraße, komme an den hohen Maschendrahtzaun, der den Sportplatz hinter den Mauern der ehemaligen Brauerei umgibt. Die riesigen Blätter des dichten Gebüschs sind völlig reglos. Ich setze mich auf eine Bank, spucke auf den Boden, seufze und gehe zurück vors Haus.

Als ich die Runde zum dritten Mal drehe, macht’s mir keinen Spaß mehr und ich gehe weiter. Durch die Jan-Masaryk-Straße trödele ich runter bis zur Gelben Pumpe, dann durch das Gassengewirr von Vršovice rauf in die Krim-Straße. Ich bin im Land der Kaffeesiedereien. Jede Ecke, jeder Stuhl ist hier überflutet vom Fußvolk der Chat- und Skypereligion. Kein Ohr ohne Kopfhörer.

Unterwegs unterziehe ich meine Kleidung einer eingehenden Untersuchung. Aus der Hosentasche am rechten Oberschenkel hole ich ein abgegriffenes Paperback mit Erzählungen von Robert Perišić. Aus der anderen ein kleines Schweizermesser und die Visitenkarte des Verlegers Daniel Podhradský, so weit, so gut.

Ich habe weder Kreditkarte, noch Papiere, Brille oder Handy.

 

Ans Geländer oberhalb des Weinbergs im Grébovka-Park gelehnt

schaue ich runter aufs Eisenbahnviertel. Im schmuddeligen Areal zwischen den Gleisen laufen orange Rangiererzwerge herum.

Ein einsamer Eichelhäher steigt mit Feuereifer in die rauchgeschwängerte Luft auf. Hoch über ihm kreist ein Bussard. Die Mietshäuser aus der Vor- und Nachkriegszeit trotzen der Gluthitze. Die Toten vermachen den Lebenden eingesaute Kämmerchen, und die räumen sie umgehend, bohren alles auf, tauschen Fußböden, Fenster, Bäder, reißen Zwischenwände ein, bauen neue. Dann wird veredelt, angestrichen, übermalt.

Auf dem Gebrüder-Synek-Platz geschieht gerade irgendeine Unbill. Sirenengeheul breitet sich kilometerweit in der Luft aus.

Ich steige die Stufen Richtung Bahnhof Vršovice hinab, ein Bekannter wohnt genau gegenüber. Falls er da ist, könnte er mich telefonieren lassen, vielleicht sogar einen Kaffee kochen.

Ich drücke auf die Klingel neben der Haustür.

„Was is?“, kräht aus der Knisterkiste eine Frauenstimme.

„Ist Zbyněk zu Hause?“, frage ich.

„Wer is’n daaa?“

„František.“

„Zbyněk ist nicht da.“

„Und kommt er heute noch?“

„Ich bewach ihn nicht, aber eher nicht. Ich lass dich gar nicht erst rein, bei mir sieht’s aus wie im Saustall, ciao.“

 

Der nächste, bei dem ich eine Chance habe, ihn anzutreffen,

wohnt am entgegengesetzten Ende der Stadt. Hinter einem Hügel, hinter noch einem Hügel und hinter noch einem weiteren Hügel. Kaum bin ich in der Metro, stoße ich auf einen Kordon aus Kontrolleuren mit Polizeiverstärkung.

Ich suche mir einen untersetzten Schnauzbartträger aus, setze mein Nullgesicht auf, mittleres Schritttempo, versuche knapp an ihm vorbeizukommen. Etwas zu knapp, er hält mich an.

„Ach bitte“, sage ich ihm ins Gesicht, „meine Frau ist heute gestorben, lassen Sie mich doch.“

„Abmarsch“, knurrt er.

Ich hoffe, dass ich, weil ich keine Frau habe, mit diesem Mantra niemandem schaden kann. Sollte ich ein zweites Mal erwischt werden, wäre ich allerdings unfähig, das zu wiederholen, also fahre ich lieber zurück an die Oberfläche und gehe zu Fuß weiter.

In meiner Arschtasche entdecke ich vier zerknautschte Hunderter. Sie könnten für ein Taxi reichen, gehen aber für Hörnchen, Tomaten, Käse, zwei Flaschen Fronsac und eine große Flasche Wasser drauf. […]

 

2. Konversion

 

Und so geht ihr Seit an Seit

durch das Tal von Lysolaje. Die Gestalt neben dir schreitet forsch aus, ab und zu wankt sie leicht. Probleme bereiten ihr, wie es scheint, die erhöhten Bordsteinkanten. Hier und da schlurft sie mit dem Absatz über den Granit. Mit einem Schnalzen knickt sie die Knie ab.

Du hast zu tun, ihr hinterherzukommen. Traust dich nicht sie anzusprechen, um sie nicht etwa zu destabilisieren, ihre Einstellungen nicht zu verändern. Beim Gehen zu schweigen ist seltsam, nichtsdestotrotz aber wohl die beste Lösung. Auch so verspürst du höchste Disharmonie. Sodbrennen, Übelkeit, allgemeine innere Instabilität und vor allem nachdrücklichen physischen Widerwillen. Die Welt vor deinen Augen bewegt sich auf und ab.

Links Wald, rechts Villen, ein Privathotel, dunkle pampige Grundstücke. Ab und an ein gepanzertes Tor, dahinter das Dach einer Millionärsfestung.

Sprühregen, Nebel. Nirgends ein Straßenschild. Die Coronas der öffentlichen Beleuchtung führen in großem Bogen wer weiß wohin. Die Luft riecht nach ätherischen Ölen, Essenzen, Nadelbäumen, feuchtem Kies, nicht entsorgtem Abfall und schmorendem Plastik. In den Gärten hüpfen Vögel herum. Mit Wasser vollgesogene Weidenkätzchen schwappen über die Metallzäune.

„Ent-schuldigung“, meldet sich das Wesen neben dir mit schmatzender Gummistimme zu Wort, als würde sie unter einer Gasmaske hervor sprechen. „Ich habe lange …äääf-njaff … nicht gesprochen, das …prrrtz … wird bald besser … Beunruhige ich Sie? Bin ich auffällig?“

„Sie sind in Ordnung“, sagst du in einem Tonfall, den du bei dir bis jetzt noch nie gehört hast.

„Ich habe keine Information, wohin wir gehen.“

„Ich auch nicht“, sagst du.

Du fasst dir Mut und schaust ihr ins Gesicht. Eine leicht nach oben weisende kleine Nase, die Haut trocken, gelblich matt. Im Prinzip ein apartes Profil. Auf dem Kopf ein struppiger Horst, die Haare in die Stirn gekämmt.

Mit einem Ruck wendet sie dir das Gesicht zu, das auf gruselige Weise dem eines Menschen ähnelt und aus dem dich zwei leere Pupillen anschauen. „Machen Sie sich keine Sorgen“, nuschelt sie. „Es wird bald besser … Hydratisieren, Tauchbad, Kreislauf justieren. Heute müssen Sie noch den Transport ertragen, dann wird es besser, h-hm.“

„Können wir zu Fuß gehen?“, fragst du in einer Sprache, die nichts für Selbstlaute übrig zu haben scheint.

„Welche Entfernung?“

„Am Fluss entlang, über die Brücke, beim Bahnhof vorbei … Fünf, sechs Kilometer.“

„Lieber Bus fahren“, blubbert sie.

 

Ihr kommt zur Haltestelle

in einer Kurve unterhalb der Villen. Ihr seid alleine dort. Der Regen hat aufgehört. Im Laternenlicht hat alles um euch herum die Farbe von funkelndem Urin. Aus dem Nebel, der nach verbranntem Holz riecht, treten Geländer heraus, Zäune, Haufen von Hohlblocksteinen, geparkte Autowracks, rot-weiß gestreifte Absperrungen, die Ausschachtungen sichern. Auf dem Hügel über euch leuchtet die angestrahlte kleine St.-Matthäus-Kirche.

Durchs Laub fegt der Wind. An der Gestalt neben dir schlotzt hin und wieder der Mantel in einer Böe.

Du stellst dich seitlich hin, damit du sie nicht ansehen musst. Wellen von Gänsehaut wandern dir vom Hals zum Kreuz. Dir ist, als hättest du eine Plejade von Alkaloiden aus der Gattung der Stechäpfel eingenommen. Atropin, Skopolamin. Aktives Unwohlsein, das nicht unter Kontrolle ist.

Aus heiterem Himmel explodiert in dir die Entscheidung. Sei’s, was es sei, du willst es nicht. Du zückst das Telefon, tippst zur Seite hin die Nummer von Gevatter Tod ein. Nicht erreichbar. Du umklammerst den aufgewärmten Flachmann in der Hosentasche, immer wieder versuchst du, ihn anzurufen.

„Die sind froh, dass sie mich los sind“, verkündet deine Begleiterin etwas verloren. „Haben Sie ein paar Tage Geduld – bitte.“

In der Ferne hört man einen Dieselmotor kollern.

„Der Bus kommt“, näselt sie. „Wir steigen ein und fahren mit, okay?“

 

Die matt strahlende Kiste

bremst. Ihr steigt ein. Hinten ein paar lärmende Gruppen, vorn einige Solitäre, angestrengt ins Betrachten der Landschaft versunken. Ihr setzt euch in die Mitte. Geschwenkt im heißen Aufguss aus verlegenem Schweigen schaut ihr in die Dunkelheit.

Sei vernünftig, sagst du dir, es geht hier um nichts aus dem Jenseits. Da macht sich jemand einen Spaß, spielt dir einen Streich. Am Ende stellt sich raus, dass es die Gevatter Tods Urenkelin ist, eine Witzboldin, Ziehtochter, Theatermacherin, Studentin, Praktikantin, kurz ein lebendiges weibliches Wesen. Ihr lacht darüber, trinkt einen Cider und hört Musik dazu.

Die Gestalt neben dir prustet los, als ob sie wüsste, was dir durch den Kopf geht.

Ertappt, du Luder! Eine Maschine würde anders reagieren. Federleicht legst du ihr den Arm um die Schulter. Sie tut nicht dergleichen. Ist vollkommen still. Ab und zu atmet sie ein, dann wieder aus, ihrem Mund entfleucht ein kurzes „A“ wenn die Achse holpert.

Du ziehst den Arm zurück, betrachtest unwillkürlich ihr Profil. Ihre Nase ist hervorragend: ein schnippisches Schnäuzlein, ein französisch-italienisches Schnieferchen. Klare Sache: eine ganz normale Frau. Sie spielt das großartig, das schon. Präzision in den Bewegungen, Unvorhersehbarkeit, hölzerne Reaktionen, Unsicherheit.

„Haben Sie einen Namen?“

„Oh – es stört nicht unbedingt, wenn wir schweigen“, informiert sie dich.

„Nichtsdestotrotz, heißen Sie irgendwie?“, beharrst du, weil du nicht weißt, woran du dich halten sollst.

„Ich bin Kira Zwei.“

„Warum Zwei?“

„Der zweite Prototyp. Und Kira steht für Künstliche Intelligenz in realitätsbezogener Anwendung.“

„Wo ist der erste Prototyp?“

„Weiß nicht. Ich bin Ihre Begleitung – sonst nichts.“

Ihre Akustik erinnert an das alte Spiel aus deiner Kindheit, bei dem einer in das Rohr eines Geländers reinplärrt, während der andere sein Ohr an die Öffnung zehn Meter weiter hält. Das feuchte Schmatzen und der unverständliche Nachklang – das muss sie lange trainiert haben.

„Ich werde mein Bestes tun, Sie nicht zu enttäuschen, wenngleich ich nicht weiß, was Sie von mir erwarten“, sagst du.

„Na dann tun Sie mal Ihr Bestes“, antwortet sie mit basslastiger Bruststimme.

„Sie haben vielleicht einen Stimmumfang, meine Herrn.“

„Dreieinhalb Oktaven.“

„Hut ab.“

„Was bedeutet: Hut ab?“

„Den Ausdruck lobender Anerkennung.“

„Das ist unverständlich“, antwortet sie, „wir tragen beide gar keinen Hut.“

„Ich ziehe symbolisch den Hut, vor Ihren drei Oktaven.“

„Und wir fahren jetzt wohin?“ Themawechsel.

„Zu mir nach Hause.“

„Ja. Dort bringe ich mich in Ordnung und dann gehen wir vermutlich schlafen.“

„Schlafen?“

„Schlafen Sie nicht?“

Die Frage jagt dir einen Schreck ein, freut dich, jagt dir noch einen Schreck ein und freut dich noch einmal. Es ist klar: Das ist eine junge Frau. Ein menschliches Weibchen, homo erectus. Warum und wozu sie dieses Spiel spielt, ist in diesem Moment Wurscht.

Der Rest der Reise verläuft ohne weitere Gesprächsversuche. Die menschliche Füllung der Nachtlinien ist von wieherndem Tohuwabohu und elektronischer Kommunikation gefangen genommen. Es genügt, deinen Zögling in eine sichere Ecke auf der hinteren Plattform zu bugsieren. Ab und an stilisiert sie sich dann doch ein bisschen durchgeknallt. Zuckt mit dem Kopf, kriegt Schluckauf, verdreht das rechte Schulterblatt auf unnatürliche Art und Weise. Du lehnst dich mit dem Bauch gegen die Haltestange, sie ebenfalls.

Ihr schaut nach draußen. Auf der Nusle-Straße ist ordentlich was los. Gezeter, Streitereien, das Ordnungsamt, Rumgebrülle, Schuldzuweisungen, Geschubse, Krankenwagen, klirrendes Glas. Im Gastro-, Drogen- und Taschendiebstahlsektor herrscht gerade Hochbetrieb.

Auf den Weichen beutelt es euch ordentlich.

 

Ihr geht durch den Park

zu deinem Wohnsitz. Du machst größere Schritte, um die Leistung der Amazone zu kompensieren. Sie geht wie auf Nadeln: schnell, exakt, unzerstörbar. Wie kafkaesk ist das denn, fragst du dich, wer hat dich Wahnsinnige bloß zu so was überredet?

Du schaust dich um, ob irgendwo in der Nähe in einem geparkten Offroader Rašna und Gevatter Tot vielleicht in ihre Handflächen prusten. Das hätte endlich mal Sinn. Du siehst aber nur triefende Ulmen, Scharen krakeelender Nachtgestalten, leere Škodas.

Aus dem Nebel taucht das Haus auf, in dem du wohnst.

Der Geruch nach angebranntem Kohl im Erdgeschoss vermeldet, dass die Ponděláková mit dem Abendessen durch ist und jetzt Wein vom Vietnamesen inhaliert.

Ihr steigt die Stufen hoch.

Vor der Himmelsleiter zögert sie. Was sonst, davor zögert jeder. Sie blinzelt dich an. Du zuckst mit den Achseln, zeigst nach oben. Eine Sekunde starrt sie ins Leere, dann packt sie die Metallranken, stößt sich ab und klettert außen am Sicherheitskorb hinauf. Trainierte Waden, funktionale Bewegungen, Fitnessstudio, Aikido, Musado, Freeclimbing, Ausdruckstanz, Schwimmen, so was in der Art.

Im Flur wirft sie Schuhe, Mantel, Schal ab. Den zwei Nummern zu großen Pullover lässt sie an. Erst jetzt merkst du, dass sie die ganze Zeit einen voluminösen Leinenbeutel in der Hand hatte. Sie hockt sich davor und kramt mit schlanker Hand zwischen Tuben und Pappschachteln herum.

„Darf ich irgendwo hingehen, wo ich alleine bin?“, umpft sie, das Gesicht zum Inhalt gesenkt.

„Natürlich“, sagst du. „Das Bad ist rechts, Licht ist links.“

 

Aufmerksam lauschst du,

wie sie mit den Gegenständen knistert, die aus ihrem Gepäck purzeln, wie die abgeworfenen Kleidungsstücke rascheln, wie sie schnauft und leise gickst, mit Bürstchen klackert, mit Konservenbüchsen scheppert. Sie hat das Wasser aufgedreht. Vielleicht ein bisschen zu sehr und vor allem zu lange. Wozu, um Gottes Willen, so viel Wasser?

Vor allem Ruhe bewahren, sagst du dir. Sie wird das Spiel noch ein Weilchen weiterspielen, und anschließend kannst du mit ihr reden wie mit einem Menschen, du wechselst auf die emotionale Ebene, bringst sie zum Lachen, zum Weinen, kurz und gut, sie gibt auf – und dann? Ihr trinkt was, redet ein bisschen und dann bringst du sie zum Nachtbus oder zahlst ihr gegebenenfalls ein Taxi.

Du holst eine Flasche Wild Turkey aus dem Schrank. Schraubst sie auf, nimmst einen ordentlichen Schluck.

In diesem Moment kommt sie ins Zimmer. Lässt sich in den Sessel krachen, schleudert ein Bein übers andere. T-Shirt, Rock, dicke Socken. Die frisch gewaschenen Haare stehen um ihr bleiches Gesicht herum in alle Richtungen ab. Ein bisschen Creme, Make-up oder so. Jedenfalls verströmt sie jetzt eine regelrechte Drachenschönheit. In der Garage hatte sie ausgesehen wie eine Leiche, unterwegs wie eine Gipsstatue und jetzt das.

Lieber nimmst du noch einen Schluck.

„Wollen Sie auch was?“, fragst du.

„Was will ich auch?“

„Alkohol.“

„Ja.“

Du gießt ihr etwas ein. Versuchst mit ihr anzustoßen, was sie ignoriert, denn sie ergreift das Glas, legt den Kopf zurück, stellt den weißen Hals zur Schau, kippt die Flüssigkeit hinunter. Der Adamsapfel führt eine kurze Bewegung aus.

„Aah“, sagt sie. „Alkohol mag ich, der wärmt so angenehm.“

Das glaub ich gern, Purzelinchen. Du absorbierst ihn, wie ich sehe, mit Begeisterung. Deine Scheinwerfer strahlen wie bei einer Klapperschlange.

„Also Sie spielen das echt überzeugend“, lobst du ihre Leistung. „Manchmal hab ich regelrecht Angst vor Ihnen.“

„Angst?“

„Sie sind absolut glaubwürdig.“

„Ich verstehe nicht.“

„Macht nix.“

„Wieso macht das nichts, wenn ich nicht verstehe?“

„Ich glaube schon, dass Sie verstehen … Also, wir können jetzt in dem Stil noch ein Stündchen weitermachen, und dann hören wir damit auf, gell? Wenn wir uns dann normal unterhalten, würde mich mal interessieren, wer genau Gevatter Tod ist und wer Rašna, was das alles zu bedeuten hat und warum ausgerechnet ich …“

„Gevatter Tod ist mein Ersatzvater. Offenbar fand er, dass Sie ein geeignetes Objekt sind.“

„Objekt?“

„Mhm.“

Vielleicht ist sie auf Drogen, vielleicht geisteskrank. Auf jeden Fall ganz eigenartig schön. So schön, dass sich dir der Magen verkrampft.

„Ich müsste Sie dringend mal anfassen“, rutscht dir raus.

„Wohl kaum“, lautet die klassische Reaktion.

„Wenigstens Ihre Hand?“

„Was ist damit?“

„Geben Sie sie mir mal.“

 

Samtige Haut, elastisches Gewebe,

angemessener Händedruck, bei dem nichtsdestotrotz die übliche menschliche Losung fehlt: Schweiß, ein Anzeichen von Unsicherheit, von übertriebener Sicherheit, nichts.

„Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben“, beruhigt sie dich. „Mehr Angst müsste eher ich vor Ihnen haben.“

„Warum das?“

„Sie wissen, wie die Leute sind.“

Du schweigst, unfähig, deine Stimmbänder zu mobilisieren. „Ich werde Ihnen nichts tun“, sagst du.

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Ich habe keinen Grund.“

„Allerdings wissen Sie nicht, was mich verletzen könnte.“

„Setzten Sie sich doch bitte.“

„Sind sie unfroh, dass ich stehe?“

„Sitzen ist bequemer.“

„Ich habe mich hingestellt, weil ich Ihnen zwei Dinge sagen will. Das erste ist eine Bitte: Versuchen Sie, keine Angst vor mir zu haben. Und das zweite: Haben Sie vor allem jetzt keine Angst, wenn wir schlafen gehen müssen. Ich lege mich dorthin, wo Sie es mir sagen, und werde mich dann nicht mehr bewegen. Ich werde Sie nicht berühren.“

Du putzt dir die Zähne, wäschst dich im Gesicht, an den Füßen, unter den Achseln, im Schritt, ziehst dir Klamotten über, die zumindest annähernd an Schlafzeug erinnern, und gehst ins Zimmer zurück. Kira hat noch Rock, T-Shirt und Socken an.

Ihr liegt nebeneinander auf dem niedrigen Doppelbett, Kira an der Wand. Obwohl die Nacht lau ist, überzieht sich deine Haut mit einer Schweißschicht.

„Nehmen Sie eine Schlaftablette“, empfiehlt dir eine Stimme aus der Dunkelheit.

„Warum soll ich eine Schlaftablette nehmen?“

„Sechsundachtzig Prozent der Menschen in Ihrem Alter und Ihrer Situation nehmen welche.“

„Was wissen Sie über mein Alter und meine Situation?“

„Was ich sehe.“

Du kramst in deiner Schublade, knusperst eine Pille. Der Körper neben dir atmet jetzt regelmäßig. Auf einmal hört er auf. Kein Luftholen. Stattdessen gluckst es leise in ihm. Eine beunruhigende Frau, dass muss man ihr lassen. Herkommen und einschlafen, das braucht Nerven und vor allem eine Vorgabe. Das ist kein Zufall, sondern eine Strafe, sagst du dir. Eine Strafe für alle, die du verletzt hast. Enttäuscht, verarscht, betrogen, erniedrigt, verleugnet, fallen gelassen.

Eine vernünftige Lösung wäre es, aufzustehen, nach draußen zu schleichen, die umliegenden Straßen zu durchforsten. Festzustellen, wo die zwei ihren Jeep parken. Sie zu finden, zu ihnen zu gehen, anzuklopfen und zu sagen: Verehrte Herren, in Ordnung. Ich hoffe, Sie haben sich gut amüsiert, ich hab die Nase jetzt gestrichen voll. Nehmen Sie sie wieder mit, und zwar sofort!

 

Am Morgen fängt neben dem Bett

dein Handy wild an zu blinken. Die akademische Malerin Merxbauerová hält sich nicht erst mit Formalitäten auf und verkündet stotternd geradeheraus, dass sie für den Rest des Tages mit ihrem Herzallerliebsten verabredet sei, sie wollen zusammen ins Spaßbad und so, und dass sie dich herzlich bitte, auf den Hund aufzupassen, wenn es nur irgendwie einzurichten gehe.

In den letzten paar Tagen scheint absolut alles einzurichten zu gehen. Du krächzt, dass du nichts dagegen hättest, sie möge ihn ruhig vorbeibringen – wann ungefähr?

So in einer Stunde.

Die Gestalt neben dir bewegt sich. Der Schreck knetet deinen Herzmuskel. Du hattest vergessen, dass du nicht alleine bist.

Das zerzauste Wesen wirft die Decke beiseite, atmet aus, holt Luft, steht mit durchgestreckten Beinen auf und geht ins Bad.

Zurück kommt sie eingerieben, gesäubert, bezaubernd, frisch.

„Hallo“, sagst du.

„Hallo“, erwidert sie.

„Und nun?“, fragst du.

„Und nun – was?“

„Was ist mit Ihnen?“

„Ich werde das Gleiche machen wie Sie.“

„Also erwartet uns Hundebetreuung, ein Hund ist ein Tier.“

„Wir haben einen Hund?“

„Eine Bekannte vertraut ihn mir hin und wieder an.“

„Da freu ich mich.“

„Auf was?“

„Auf den Hund. Was machen wir mit ihm?“

„Wir gehen mit ihm spazieren.“

„Raus?“

„Wohin denn sonst.“

„Na gut. Warum soll ich sie Eff nennen?“

„Ich heiße František, Franta, Franzl, Ferko – wahrscheinlich deshalb.“

„Na gut.“

[…]

 

3. Kiras Version

 

Schon wieder ist über mir

Rašnas Gesicht. Er steht und ich liege vor ihm, hilflos, komplett verlangsamt wie immer. Er macht alle möglichen Tests mit mir und ich flehe ins Leere, dass es endlich aufhört. Ich verspüre ihm gegenüber einen tödlichen Widerwillen – das konnte ich am Anfang auch nicht. Das hat erst er mir beigebracht.

Wie gern würde ich ihm jetzt in die Augen spucken und sagen: Sie Arschloch, ich bin doch kein Hund! Ich bin nicht Ihre Puppe!

„Setz dich auf“, sagt er.

Ich setze mich auf.

„Sitz gerade. Mund auf. Zunge. Nicht die Zähne! Sag: Ake-quake, quiedel-diedel. Na-na … Dreh dich um. Leg dich hin. Bleib ruhig.“

 

Als ich an diesem Ort

zum ersten Mal die Augen öffnete, konnte ich mir nicht vorstellen, wer ich war. Ich schwebte in einer dicken Flüssigkeit. Mein ganzer Körper war voll davon. Gevatter Tod und Rašna leuchteten mir mit einer Lampe in die Augen. Liefen die ganze Zeit um mich herum, betrachteten mich lange. Dann holten sie mich da raus, legten mich auf den Rücken, ließen das Dreckszeug aus mir ab und begannen auf mich einzureden. Ich antwortete nicht, denn erstens konnte ich das nicht, aber vor allem war ich völlig von der Überraschung gefangen, dass es mich gab.

Ich habe gelernt und sie waren begeistert von jeder neuen Reaktion, jeder Verbesserung. Vor allem Rašna. Er spielte ständig mit meinem Stimmenmodulator herum, ein paar Mal hat er ihn mir rausgenommen, abgeklemmt, justiert, umgedreht, hineingestarrt. Ich musste es ertragen, wie sie ihn bei vollem Betrieb aus mir rausgeholt haben. Dann haben sie ihn wieder in mich reingestopft, die Passung gecheckt, arretiert, die Funktion überprüft. Der Modulator sieht aus wie irgendwelcher Quatsch aus einem Spukartikelgeschäft, aber das Ding ist richtig teuer. Ich durfte nicht schreien, nicht heulen, mir war verboten, die Stimme zu heben.

Mein Unterricht lief im Flüsterton. Sie beugten sich zu mir, berührten mich, rochen nach Schweiß, Talg, Rasierwasser und wollten, dass ich wiederholte, was sie sagten.

Der Höhepunkt war, als sie mich nach all dem vor einen Spiegel brachten. Ich sah etwas, wovor ich sofort weggerannt wäre, es zerstört, vernichtet hätte.

 

Ich hatte oft die größte Lust,

ein Geräusch von mir zu geben, das das Potenzial hatte, jeden zu Boden zu werfen. Ich weiß, dass ich das kann. Genau jetzt werde ich es aber nicht versuchen. Rašna hat mich an einen Server angeschlossen oder was das ist.

„Ganz ruhig“, sagt er. „Wehr dich nicht. Halt still. Ach komm! Schön ruhig. Alles gut. So … Jetzt sag: Danke, Herr Rašna.“

„Danke, Herr Rašna.“

„Sag: Danke, Herr Rašna, für alles, was Sie mit mir machen.“

„Danke, Herr Rašna, für alles, was Sie mit mir machen.“

„Ich bin dein Ameisenlöwe.“

„Sie sind mein Ameisenlöwe.“

„Steh auf. Zieh dich an.“

Wir gehen durch den Flur.

Ich zwei Meter hinter ihm, steif, mit trockener Haut, keine Farbe, ich kann kaum sehen, wo ich hingehe. Das bin nicht ich. Ich bin unterkühlt, verlangsamt, mir gefällt es hier nicht.

 

Eff steht draußen

und palavert mit Gevatter Tod. Er sieht wieder so aus wie an dem Tag, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Ein zweiundvierzig Jahre alter Mensch, eingemummelt in eine Jacke, unter der er vor allem Fett und Knochen hat. Ein Mensch, der abhängig ist von seinen Tagträumereien. Auf seine Art stabil. Er würde sich nicht ändern, auch wenn der letzte Tag der Menschheit anbrechen sollte. Er würde sich auf einen Aussichtspunkt oberhalb der Stadt setzen und zuschauen, wie alles kaputtgeht.

 

Zu mir ist er nett,

mehr als das. Mit ihm bin ich in Sicherheit. Manchmal hat er nicht den Hauch einer Ahnung, was in mir vorgeht. Desto mehr zieht er mich an – er nimmt, was ich ihm gebe, und stochert nicht darin herum. Er stellt keine Fragen, von denen er weiß, dass es schwer wäre, darauf zu antworten. Er versucht nicht mich zu belehren. Er zeigt mir Filme und verschiedene Landschaften. Städte, Wälder, Felsen, öde Steppen in der Umgebung von Chemiefabriken. Er lässt mich Fahrkarten kaufen, T-Shirts, Lose, Brot, Wurst, Hühnchen, Röcke, Tücher, Döner, Hot Dogs. Er lässt mich mit einem Verkäufer reden, mit einem sich auflösenden Betrunkenen. Er lässt mich mit der Vietnamesin im Regen tanzen. Das lockt ihn sogar an. Er steht dann mit dem Regenschirm hinter dem Blechkiosk, glaubt, dass ich ihn nicht bemerke, und beobachtet uns.

 

Kaum sieht er mich,

kommt er auf mich zu. Er ignoriert Rašnas Grottenolmgesicht, aufgedunsen und voller roter Flecken.

Er umarmt mich, dass mein Rückgrat knackt. Rašna wirft einen bösen Blick zu Gevatter Tod, Gevatter Tod zu uns. Sie geben sich irgendwelche Zeichen. Dann dreht sich Rašna um, verschwindet wieder im Haus.

Gevatter Tod schließt sich im Auto ein und wartet ab.

Wir halten uns bei den Händen.

„Erkennst du mich?“, fragt Eff mit halber Stimme.

„Klar, du Depp“, sage ich.

„Wie fühlst du dich?“, fragt er.

„Ich muss erst mal zu mir kommen“, sage ich, „lass uns gehen.“

„Keine Angst, sie fahren uns nach Hause.“

„Lass uns Bus fahren“, schlage ich leise vor, damit Gevatter Tod es nicht hört.

Eff geht zum Auto. „Wir fahren mit dem Bus“, sagt er dem darin sitzenden Gevatter Tod mit nicht ganz fester Stimme.

Der Alte wird wütend, er schnaubt etwas.

„Bu-u-usss“, flüstere ich in Richtung Boden, zu mehr habe ich keine Kraft.

„Wir fahren Bus“, entscheidet Eff.

Gevatter Tod öffnet die Tür, quält sich ungeschickt aus dem Auto, richtet sich auf seinen Krücken auf, schleppt sich zu uns, durchbohrt uns mit einem bösen Blick. Er ist sauer, und gleichzeitig weiß er, dass ich, egal, was er mir befiehlt, nicht gehorchen werde.

„Okay“, gurgelt er mit seinen Dritten. „Um sieben lad ich das bei euch ab, und ich warte nicht. Seid in eurem eigenen Interesse lieber zu Hause.“

Wir gehen. Ich drehe mich um – beide stehen sie dort und schauen uns nach in hilfloser Entrüstung. Aus irgendeinem Grund haben sie Angst, radikal in den Prozess einzugreifen, obwohl sie ihn selbst in Gang gesetzt haben.

 

Die Straßenbeleuchtung schnarrt

genauso wie beim ersten Mal, als wir hier entlanggegangen sind. Eff läuft still neben mir her, hält mich an der Hand und fragt nichts. Vielleicht geht’s ihm auch nicht allzu besonders. Vögel sitzen auf den Ästen, in ihnen schlagen kleine Herzen. Die Bäume sondern ein blauviolettes Licht ab.

„War es unangenehm?“ Eff hält es nicht mehr aus.

„Nein“, lüge ich.

„Irgendwie verstehe ich das immer weniger“, sagt er.

„Was?“

„Was ich hier mit dir mache.“

„Ich bin Kira – reicht das nicht?“

„Es würde reichen, wenn nicht andauernd jemand bei uns dazwischenfuhrwerken würde. Warum lassen die uns nicht in Ruhe, verdammt noch mal … Vierundzwanzig Stunden pro Tag unter Aufsicht leben.“

„Ganz ruhig“, sage ich. „Wir trinken einen Schnaps, gehen schlafen, morgen machen wir einen Ausflug, und mit dem Rest sollen die sich ins Knie ficken, hm?“

Ich habe seinen Wortschatz übernommen und seine Diktion. Das Näseln, das Verschlucken von Lauten, das röchelnde Ääh.

Er fasst mich um die Schultern. Ich komme mir federleicht vor, als hätten mich diese Geronten ausgesaugt. Als hätten sie mir alles Blut geraubt, was sie nicht getan haben, ganz im Gegenteil. Sie haben alle Flüssigkeiten nachgefüllt.

Der Bus kommt angerauscht, wir steigen ein, steigen um, steigen aus, gehen bergauf und bergab durch den Park, genau wie damals. Wir treten gegen Laubhaufen, atmen die feuchte Luft voll mit herbstlichem Schimmel ein, sperren die Haustür auf. Wir schleichen uns durch das stille Treppenhaus bis in unseren Adlerhorst.

„Machst du Musik an?“, schlage ich vor.

Er macht Musik an.

„Das mag ich“, sage ich und lege die Hände hinter meinen Kopf. In meinem Bauch pfeift es, in der Wirbelsäule knackt es. Ich fahre mir durch die Haare. Ich weiß überhaupt nicht, was wir da hören.

 

Früh um sieben klingelt es,

Eff schießt aus den Federn, rennt nach unten. Das Material ist auf dem Fußweg gestapelt, Gevatter Tod nirgendwo zu sehen. Wir tragen die in Plastikfolie eingewickelten Kartons und Konservendosen nach oben.

„Weißt du, was du damit machen musst?“, fragt er.

„Na und ob ich das weiß!“, jubele ich, öffne eine Kiste, stecke meine Hand hinein und hole Becher und Tuben heraus. Auf dem Weg ins Bad reibe ich mir mit der Creme Wangen, Stirn, Genick und Bauch ein.

Der Boiler jault, das Wasser dröhnt in der Leitung. Ich gieße Öl ins Badewasser, lege mich in die Wanne. Ich reibe mir so lange Creme in den Körper ein, bis ich wieder normal bin.

Im Zimmer sehe ich Eff, wie er auf einem Stuhl steht, sich aus der offenen Dachluke reckt und versucht, den Wagen von Gevatter Tod zu entdecken. Genau wie er weiß ich, dass er hier irgendwo ist oder war, allerdings außer Sichtweite. Um drei Ecken herum, zwischen den Bäumen, in einer anderen Straße, irgendwo da unten.

Ich habe Angst vor ihnen, so wie er. Eher viel größere. Eff hat nämlich keine Ahnung, was das wirklich für welche sind.

Eff behauptet, ich rieche wie eine frisch aufgeblasene Luftmatratze. Nach Luft, Talkum, chemischer Hoffnung. Ich frage nicht, was chemische Hoffnung ist. Ich will es nicht wissen.

Ich fühle mich endlich wieder frisch, frischer als je zuvor.

Er ist von meiner Verwandlung genauso beeindruckt wie ich.

„Ha!“, sagt er, „Sachen gibt’s. Du bist irgendwie …“

„Wie denn?“

„Du leuchtest richtig.“

„Hm.“

„Legen wir uns hin?“

Wir legen uns hin. Ich ziehe meine Unterhose aus, dann seine, dann mein T-Shirt, dann seins. Kaum fasse ich ihm sanft zwischen die Beine, kommt Leben in die halbweiche Möhre, sie wälzt sich träge zur Seite, richtet sich allmählich empor. Ich schnappe sie mir, spieße mich auf sie auf, eine Weile verharren wir reglos, dann beginnen wir uns zu bewegen. […]

 

Übersetzung: Mirko Kraetsch