Daniel Tučka

Wermut: Erster Teil

2017 | Straky na vrbě

(Auszüge)

aus dem Prolog

„Steigen wir?“

Ein junger Mann mit runder Brille schaut traurig aus dem Flugzeug und war entschlossen, dem Geräusch des Motors, der auf vollen Touren lief, zu trotzen: „Nein“, meinte er lakonisch. „Im Gegenteil.“

„Was?“, entgegnete der Pilot mit Ledermütze und versuchte, sich umzudrehen, während er den Horizont des breiten Tals fixierte.

Hierbei störte er das schon sehr fragile Gleichgewicht, von dem die Maschine sehr viel aufweisen konnte.

„Es wird noch schlimmer, Nicolas …“

Der Beschlag des linken Flügels konnte dem Luftstrom nicht widerstehen.

Der zweite Beteiligte an der vermuteten Katastrophe wollte schreien, doch schaffte er es, ganz im Einklang mit seinem phlegmatischen Naturell, lediglich zur Konstatierung: „Ich vermute, wir fallen.“

„Zum Teufel! Werfen wir den Ballast ab!“

„Nicolas, Flugzeuge haben – im Unterschied zu Ballons oder Luftschiffen – keinen Ballast.“

„Ah! Also soll ich landen?“

„Ja.“

„Ich sehe so etwas wie eine Ebene.“

„Die sehe ich auch.“

„Sie kann nicht mehr als hundertfünfzig Meter entfernt sein!“

„Nicolas …“

„Wir schaffen das! Wir werden noch nicht so kurz nach dem Start abstürzen – ich brauche einen wahrhaftigen Beweis, Christian, verstehst du, dass Aeroplane eine Zukunft haben …“

„Das ist keine Ebene.“

„Mit jedem unserer Versuche kommen wir der ewigen Dankbarkeit aller echten Abenteurer ein Stückchen näher …“

„Nicolas.“

„Was?“

„Du landest in einem Moor.“

Der Pilot riss sich die Ledermütze von den Augen.

Die Luft durchschnitt seine erregte Stimme.

„Springen wir. Ich geb‘ auf!“

 

Diese Worte erklangen über der öden Heide des Archipels etwa zu jenem Zeitpunkt, zu dem in den meisten Haushalten Tee serviert wird. Glücklicherweise geschah dieser Unfall in einer gänzlich unbedenklichen Höhe. Ansonsten wäre diese Geschichte zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hätte – und das wäre, in Hinblick auf den Leser, schade gewesen. Also verunglückte das Flugzeug kurz nachdem das Dienstmädchen das Getränk normalerweise aus der Kanne in das vorgewärmte Service aus Porzellan goss, damit sich die Gäste unmittelbar danach mit einer beliebigen Menge selbst bedienen können.

Der geistige Vater des Flugzeugs, Konstrukteur und Erfinder in einer Person, wartete geduldig am Rande des Moores, bis das Gewirr aus Aluminiumteilen, Seilen und Seide zur Gänze im strahlend grünen, bodenlosen Sumpf versank. Und genauso wie die Misserfolge der vorhergehenden zehn Modelle kommentierte er auch diesen nicht mit einem einzigen Wort. Er hieß Christian Scott, und alles, wovon er in der Tiefe seiner Seele träumte, war sorgfältig versteckt, denn er sprach nur dann, wenn er etwas zu sagen hatte. Hinter seiner stolzen Stirn, die von blonden Haaren umrahmt wurde, verborg sich ein edler Pragmatiker. Er war der Welt der Gedanken und des edlen Willens vollkommen ergeben, und mit diesem Willen realisierte er sonst mühsame Projekte unter der Schirmherrschaft seines Freundes Nicolas, der im Unterschied zu dem bescheidenen Ingenieur eines Polytechnikums nicht an Geldmangel litt. Im Grunde genommen litt er auch nicht an einem ruhigen Gemüt. Wie ein wild gewordener Hund ging er um das todbringende Moor herum, bis die letzten schwarzen Bläschen verschwunden waren, ohne dabei seine Frustration zu verbergen; und wenn es auch nur im Geringsten möglich gewesen wäre, wäre er in den Sumpf gesprungen, schon aus einem bloßen Grund: um die Trümmer der fliegenden Maschine in noch kleinere Teile zertreten zu können und sie mit dem Anfall eines Gentlemans voller unpassender Flüche zurück in den Sumpf zu werfen. Und so zog er nur an der gesteppten Fliegermütze mit eingenähten Brillengläsern herum und redete ununterbrochen.

„Die Tragflächen scheinen mir zu gefügig; dieses Drahtknäuel, mit dem wir sie ausgleichen müssen, halte ich nicht gerade für eine gelungene Lösung, Christian – und warum überhaupt ein Doppeldecker, warum nicht gleich ein Dreidecker? Mehr Flächen, mehr Auftrieb? Früher wurde meist der Rumpf beschädigt, mit dem Fahrgestell bin ich zufrieden, die Räder aus Bergamon-Gummi halten auch bei einer harten Landung stand, aber beim Aufstieg verlieren wir an Stabilität und die Maschine neigt sich immer mit dem unteren Flügel zur Erde. Und der Propeller hat einen kleinen Durchmesser, der zieht überhaupt nicht Und am schlimmsten überhaupt ist diese Fliegermütze“, er warf das zerfledderte Bekleidungsstück ins Heidekraut. „Es beeinträchtigt die Sicht. Eine Brille muss reichen. Eine große, mit runden Augengläsern. Was denkst du, Christian?“

„Ein Dreidecker ist nicht nötig.“

Der Wind über der Ebene ließ kaum nach; beide standen so, dass ihnen die Haare nicht ins Gesicht fielen, der Ingenieur hatte sie zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Nicolas beruhigte sich schließlich, und er wirkte sogar, als wäre er zufrieden.

„Fünfhundert Meter, würde ich sagen“, schätze er die Entfernung ein, die sie heute vom Start aus zurücklegten. „Bemerkenswert. Wenn wir welche von diesen Fliegen fangen …“

„Ein Dreidecker wird paradoxerweise weniger Auftrieb haben, die Tragflächen werden wegen des höheren Luftwiderstands interferieren. Vielleicht wird er in den Kurven etwas wendiger sein. Zwei ist mehr als genug.“

Nicolas polemisierte nicht. Höchstwahrscheinlich würde ihn jetzt eine Aufzählung exakter Ziffern erwarten, dabei hatte er es jetzt am allerwenigsten nötig, sein Gehirn mit nebensächlichen Informationen zu beschäftigen. Ehrlich gesagt, würde er es jetzt am liebsten mit einem Glas Whisky beschäftigen.

 

Auszug aus Kapitel II. ­– Diese zwei

An diesem Abend, als die Sonne zittrige Schatten durch den Nebel und den Rauch der Schornsteine des Hafenviertels zeichnete, und die Dächer der mehrstöckigen Häuser golden wurden, gleichermaßen wie auch die Strohdächer der Arbeiterunterkünfte, stieg ein ziemlich merkwürdiges Paar aus einem Schiff der regelmäßigen Linie zwischen dem Kontinent Altica und der Inselgruppe namens Archipel. Man konnte nicht genau erfassen, was ihnen, in den Augen der Passanten, diese Merkwürdigkeit verlieh – die ordnungsgemäße, wenn auch schon etwas abgetragene Kleidung schien nahezu makellos zu sein, abgesehen von einer gewissen Fremdartigkeit der Schnitte, wie man sie meist in wärmeren Ländern trägt. Ihre gebräunten Gesichter erinnerten an jene der Bewohner des Landes Raab. Der große Mann mit den festen Wangenknochen und dem Ansatz eines Schnurrbartes auf seinem sonst glatten Gesicht hatte ganz bestimmt helle Haut. Sein Blick war irgendwie gleichgültig, streifte aber oft umher und untersuchte alle, die seinen Weg kreuzten.

Er hatte glänzend polierte und sorgfältig gepflegte hohe Schnabelschuhe, schon gut ein Jahrhundert hinter in der Mode der Salons zurückgeblieben, einen langen, tabakbraunen Mantel, eine beige Hose und dunkle Haare, die er unter einer Mütze versteckte, die nur aus der Ferne wie ein solider Zylinder aussah. Sein jüngerer Gefährte schleppte den Seesack, unter seiner sehnigen, ädrigen und gekrümmten Gestalt von kleinerem Wuchs schien jedoch das unbezwingliche Herz eines Raabers zu schlagen, gewöhnt an die Arbeit in trockenen Landschaften und glühend heißen Bergen. Dennoch hatte er nicht die schwarzen Augen der Abasker, umsäumt von einer auf dunkelbrauner Haut hervorleuchtenden Sklera, auch keine rotbraun gefärbte Haut wie jene der wilden Borrer. Er ähnelte einem hässlichen Kind, wie es Müttern angeblich von Feen in die Wiege gelegt wird, das zu einem Jüngling heranwuchs, der ununterbrochen über irgendwelche Tücken grinste – obwohl er barfuß ging und lediglich in einem zerfetzten Mantel mit abgetrennten Ärmeln, unter dem er ein Leinenhemd und kurze Hosen trug.

Doch das Wichtigste, womit die beiden die Aufmerksamkeit der Leser auf sich ziehen könnten, wurde immer noch nicht erwähnt. An Bord der Schiffe habt ihr oft schon viel schlimmeres Gesindel getroffen; je billiger die Bordkarte, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man euch die Nase vor den Augen wegschnappt, und es auch noch leugnet, auch wenn sie jemand aufgesetzt und mit einem Schild versehen hat, mit der Aufschrift Billig zu verkaufen.

Man flüstert, dass einigen Wermut-Konsumenten nachts rötlicher Kohlenstoff in den Augen brennt. Über den Mann namens Felix Montez wurde nichts erzählt. Und trotzdem ging er nicht das erste Mal am Hafen von Port Elizabeth an Land. Als er auf die üppige Silhouette des Neuen Kapitols blickte, das über der Bucht emporragte, erinnerte er sich schweigend an den letzten Blick über die Schulter, damals vor Jahren, als er geschworen hatte, dass er an diese Orte, und auch auf den Archipel, nie mehr zurückkommen werde. Aber sag niemals nie, wiederholte er sich in Gedanken. Und sag niemals nie zu jemandem, der niemals nie sagt. Und wer niemals niemandem nichts … Weiter fiel ihm nichts mehr ein. Er schüttelte den Kopf. Er war zu Hause.

Neben dem schlanken Turm der Kirche erhoben sich die massiven Mauern des Librarium, der mächtigsten Festung auf der Inselgruppe. Die Ankerpfähle aus Stahl gehörten zum Hauptbahnhof Richmond. Der entstand aus den Überresten des gigantischen Schiffs Porta Victoria, auf dem, so besagt es die Legende, die ersten Kolonisten hierherkamen; eines von beiden, denn das Schwesterschiff Porta Libertas wurde niemals gefunden. Der riesige Komplex aus heute bereits rostendem Stahl formte eine charakteristische Silhouette, die Schornsteine wurden zu Restaurants mit Aussicht umgebaut. Außer Zügen, Schnellbahnen und veralteten Dampfmobilen hatten auch die Fernlinien der Luftschiffe hier ihre Endstation … ihre Endstation oder ihren Startpunkt, Felix Montez spielte mit der Bedeutung, so als würde ein Mensch vom Land einen Hasen hinter den Ohren streicheln, bevor er ihm den alles entscheidenden Schlag ins Genick gibt. Bei den weiteren Hochhäusern handelte es sich um einen auf den ersten Blick kompakten Kern aus grauem Stein, durchwachsen von den Adern stählerner Brücken, hängender Gleisanlagen und Hochbahnlinien – Ariadnefäden im Dschungel der schroffen Architektur des Kapitols, deren Schönheit an eine hastig zu einer Fabrikhalle umgebauten Kirche erinnerte, die weiß Gott warum auf den Kopf gestellt wurde. Dort, wo sich die Industrieinsel befand, durchstach ein Wald aus Ziegelschornsteinen den Himmel, der sich soeben verdunkelte, und eine Pyramide mit rötlich strahlendem Auge verkörperte den Triumph von Reichtum und Fortschritt, der Industrion, und Kräne säumten das Ufer entlang der Docks. Nur der königliche Palast war nicht zu sehen, und ein aus dem Parlament ragte ein Kupferturm hervor, er war mit dem weltweit größten Ziffernblatt ausgestattet, nach welchem die Herrscher von hier bis ins ferne Raab die Chronometer einstellten, denn aufgrund von Schwierigkeiten mit der instabilen Rotation des Planeten verwendete man die Archipel-Zeit, unabhängig von jener der Sonne, in den meisten Ländern.

Automatisch schaute Felix auf seine Taschenuhr. Zufrieden erkannte er, dass ihr früherer Eigentümer einen guten Mechaniker hatte, dann versteckte er sie wieder in der dafür vorgesehenen Tasche seiner Weste, ließ lediglich das stählerne Kettchen heraushängen, und gab seinem Gefährten ein Zeichen.

Vor einem Zeitungskiosk blieben sie stehen. Der Raaber warf den voluminösen Sack zu Boden und begann herumzustöbern. Der Verkäufer war an solche Existenzen gewöhnt; alle Tageszeitungen waren mit einem Metallstreifen sorgfältig an den geöffneten Türchen der runden, steinpilzförmigen Bude befestigt.

Herr Montez orientierte sich in der Vielzahl an Titeln. Industriejournal, Welt der Dampfmobile, Wetten, Jahr des Velocipedisten … für jeden gab ein anderes Lockmittel. Dann entschied er sich zwischen dem Herold und dem Kapitolis für das Blatt, das dem Boulevard näherstand.

„Möchten Sie die gedruckte Version, oder das Band?“

„Band haben Sie gesagt?“

„Das Band für das Abecedarium.“

„Für das Abecedarium?“

„Ach so, Sie haben noch kein Abecedarium.“, meinte der Verkäufer und zuckte mit den Schultern, als wäre es die selbstverständlichste Sache auf der Welt, dieses verflixte Ding zu besitzen, als würde man ohne es kein rechtmäßiger Mensch mehr sein. „Möchten Sie vielleicht eins sehen? Die gewöhnlichen Formate kosten nur ein paar Pfund, wir haben allerdings auch größere Exemplare …“

Felix dachte nach. Will ich es sehen? Soll ich es sehen wollen? Sollte ich es wollen wollen? Hat es überhaupt Sinn, etwas zu wollen? Und sehen?

Der Verkäufer beherrschte sein Handwerk gut. Schon lag eine Kassette auf den Tisch, er öffnete sie, sie enthielt eine mit weichem Leder ausgepolsterte Metallschachtel, deren Vorderseite glatt wie ein Spiegel war, mit Ausnahme von drei strahlenden Knöpfen.

„Hier wird das Band eingelegt“, schwatzte er dabei, „es hat jeden Tag eine andere Farbe, also werden sie nicht durcheinanderkommen, wenn sie schrittweise die ganze Woche lesen wollen, die Bücher sind schwarz, aber davon gibt es freilich eine ganze Reihe, für gewöhnlich lesen unsere Kunden nur Tageszeitungen, oder sogar nur einschlägige Seiten; das hat ungeheure Vorteile, überlegen sie nur, Politik interessiert euch nicht, also könnt ihr Nachrichten zum halben Preis bekommen, auch die Sportwettkämpfe sind gesondert, und gänzlich außergewöhnliche Beilagen sind mahagoni- oder ebenholzfarben markiert, sie sind um ein klein wenig teurer, im Set kommen sie allerdings wieder billiger …“

Plastische Zeilen mit Text zeichneten sich vor den Augen des misstrauischen Fremden an der Frontseite der Vorrichtung ab.

Tahrum af!“, brummte er unter seinem Bart. „Wollen Sie sagen, dass ich den ganzen Herold in dieses Kistchen hineinbekomme?

„Nicht nur den!“, der Verkäufer witterte ein Geschäft. „Der mechanische Speicher umfasst den Umfang einer gewöhnlichen Tageszeitung. Selbstverständlich werden auch umfangreichere Geräte hergestellt, mit größerem Ausmaß, leider, aber falls das nichts ausmacht, es gibt sogar Tisch-Abecedarien, die können …

„Wie funktioniert das?“

„Ach, mein Herr, ich bin kein Mechaniker. Da drinnen gibt es ein System von Scheiben, mit fünfzig Symbolen, soweit ich weiß, und nach dem Code auf diesem Streifen auf feinem Blech, den wir täglich aus der Druckerei geliefert bekommen, drucken sie dann Satz für Satz in mehrere hundert feiner Nadeln im festen Rahmen – und die gesamte Seite wird dann durch Drücken auf diese Stelle wieder geglättet und der ganze Prozess …“

„Gut“, unterbrach ihn Herr Montez schroff, „das interessiert mich nicht weiter. Ein mechanisches Spielzeug, ist das so?“

Der Verkäufer räumte das Gerät entschlossen zur Seite. „Und was haben Sie erwartet?“, fragte er. „Ein magisches Kästchen? Denken Sie, dass es sich um irgendein Elektron handelt?“

Karfa ifrahi“, nuschelte ihm Felix Montez ins Gesicht, ohne sich darum zu kümmern, dass ihn der armselige Mann kein bisschen verstand. „Was weißt denn du schon, avachre.“

Vielleicht verstand er ihn nicht, aber den beleidigenden Ton legte er richtig aus.

„Verschwindet von hier, ihr Rotschöpfe“, rief er und änderte dabei seine Ausdrucksweise. „Wenn ihr nichts wollt, dann hört auf, dass ihr mir mit eurem Gegaffe die Kundschaft vertreibt.“

In besseren Kreisen gehörte es zum guten Ton, nicht über Wermut zu sprechen. Ein Teil der Gesellschaft, erzogen im Geiste der konstitutionellen Monarchie des Archipels, konnte wirklich nur pikante Geschichtlein kennen, mit denen sich die Damen in den Teesalons so gerne befassen, und welche die Gentlemen in ihren Klubs durchnehmen, obwohl sie sonst kaum einen Fuß aus dem Villenviertel setzten. Auch die Industriellen hegten Widerwillen gegenüber ähnlichen Eigenarten, ihre Philosophie war die Maximierung des Gewinns, den ihnen die heranwachsenden Sprösslinge oftmals wieder minimierten. Aber für die Hafenleute – und die Hüter der öffentlichen Ordnung – war die rostrote Farbe ein Signal für erhöhte Vorsicht. Und gerade im Umkreis der ärmsten Viertel trat sie am häufigsten auf.

Felix Montez machte ein zufriedenes Gesicht. „Immerhin etwas erkennen Sie bereits. Das ist ein gutes Zeichen. So ist es.“ Dann beugte er sich zum Fenster. „Ich merke mir Gesichter, chusufe, ich vergesse niemandem etwas“, wiederholte er mit Genuss, als würde er den Dampf des Wermuts kosten, „ich vergesse nichts … auch dir nicht, du Null. Das nächste Mal werde ich dir mit dem Stiel einer Spitzhacke die Sonderausgabe des Herold auf deinen Körper drucken, inklusive Beilage, und aus deiner Haut werde ich dann die Bänder für den nächsten Tag anfertigen, ilizi if asiere! Du wirst mich noch darum bitten, dass du mich um etwas bitten kannst … um den Tod.“ Er machte ein finsteres Gesicht. Die letzte Strophe gelang ihm nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte.

Er deutete dem Zweiten etwas an, und beide entfernten sich schnellen Schrittes. Erst unter dem Viadukt, wo die Nacht bereits aus ihrem ganztäglichen Schlaf erwachte und eine Gaslampe Nachtfalter anzog, streckte der Mann die Hand aus.

Afrein, Musso“, lobte er den Raaber Jüngling. „Ein anderes Mal hätte ich dich gern getötet, du dummes fatho, du bist nur für Schläge mit dem Stock gut, und zur Abstumpfung der Langeweile meines Messers; aber ausnahmsweise warte ich, bis ich die heutigen Nachrichten gelesen habe.“ Mussa zauberte irgendwoher fünf Zeitungen heraus. Die, die vor einem Moment noch hinter dem Schloss auf dem öffentlichen Stand gehangen sind.

Auf der Titelseite aller Ausgaben stand in Großbuchstaben: „GENERALSSOHN ERBT EINE MILLIARDE PFUND!“

Felix Montez blickte zufrieden drein. Eine Milliarde, wiederholte er leise. Mir lieb Yard. Miliejarden. Mir lieb ja. Hier sind wir richtig.

Wir sind zu Hause.

Oder zumindest kommen wir bald nach Hause, wenn mir dieses Land aus der Hand frisst. Bei diesem Gedanken lächelte er.

 

Aus Kapitel III. – Männer über Frauen

„Frauen sind unberechenbare Lebewesen, ihr ,ja‘ und ,nein‘ sind austauschbare Begriffe, geeignet, um Zeit zu gewinnen für etwas, wovon die Frau noch nicht weiß, dass sie es will, aber sie ebnet bereits den Weg; Frauen wollen ununterbrochen irgendwohin mitgenommen werden – mit einem selbst, an der Hand, ins gelobte Land, sie nehmen dich beim Wort … Ihre Bosheit ist schlimmer als Gift, sie zerfrisst dich von innen, und für ihr Lächeln würdest du ihnen alle Sterne vom Himmel holen, denn sie sind es, die die Männer regieren, und der einzige Weg, wie man sich dagegen auflehnen kann, ist die dauerhafte Ignoranz ihres Geschlechts; eine Welt der Männer, die sich ungestörte Ruhe verdienen, zum Nachdenken über das Wohlergehen der Menschheit – denn welche Entdeckung, welches künstlerische Werk, welche Heldentat wurde je von einer Frau vollbracht, mein Freund? Ihre Rolle ist indiskutabel – Mutter zu sein ist … bestimmt eine wichtige Berufung … aber damit hat ihre Rolle im Leben der Männer zu enden! Wenn ein Mann den Schoß der Familie verlässt, und sich an der Universität inskribiert, sollten ausschließlich wahrhaftige Gelehrte und Größen unserer Zeit das Leben dieses Jünglings leiten, bis er sich eines Tages entscheidet, dass die Zeit gekommen ist, um alles, was er erreichte, egal ob Weisheit oder Besitztümer, nun der nächsten Generation zu übergeben. Und in diesem Moment wird er sich eine Gefährtin suchen, Nachkommen säen und sich weiterhin vor allem der Vollendung seiner selbst widmet – und er wird ein Beispiel sein für alle anderen, das ist die wahre Berufung des Mannes! Wenn seine Nachkommen heranwachsen, ist es nicht seine Pflicht, ihnen irgendetwas abzuwischen … und die Grundausbildung müssen sie von einem Lehrer bekommen. Der Vater jedoch bestimmt das Schicksal und das soziale Niveau durch die richtige Wahl derer, die das Kind führen. Früher waren das vor allem Priester, Gott sei Dank, dass wir die Aufklärung schon erreicht haben! Der Vater gibt auch Ratschläge. Der Vater entscheidet … verdammt, der Vater weiß immer alles besser!“

Hastig setzte Nicolas das Glas mit einem Rest Wein auf dem Tisch ab, und besprenkelte sich das Hemd mit seinem Inhalt.

Sein Freund, der Ingenieur Christian Scott, beobachtete das gegenüberliegende Haus durch das Fenster. Das Strahlen der Gaslampe verlor sich in den Regenstößen, was auf dem Archipel und im Neuen Kapitol vor allem zu den tagtäglichen Alltäglichkeiten gehörten. Das ganze Jahr über änderte sich das hiesige Wetter nicht. Einer der abgedroschensten Witze, die man sich auf der Inselgruppe erzählte, war jener: Ratet, was euch heute nicht auslassen wird – der Regen, und viele haben sich derart daran gewöhnt, dass sie wegen eines sommerlichen Schauers nicht einmal mehr den Regenschirm herausnehmen. Also, sofern es nicht gerade um eine Mode-Erscheinung in Form eines mit einem Klappdach ausgestatteten Huts geht. Christian versuchte einmal, sein Prinzip zu vervollkommnen, bevor er sich lieber wieder den praktischeren Klappmessern widmete, von denen er dann zur Vervollkommnung der schließenden überging. Mit neunzehn Funktionen und aus bestem Stahl.

„Unsere Königin ist eine Frau“, sagte er. „Denke ich zumindest. Ich habe sie nie aus der Nähe gesehen.“

Er stützte sich auf den mit rotem Samt bezogenen Sitz und begann, sich wieder den Wetterumschlägen hinter dem Fenster zu widmen, denn das Interieur des Unternehmens, in dem die beiden Freunde gerade auf Nicolas Freiheit anstießen, kannte er insgesamt schon recht gut.

Die Blumenmotive auf den Tapisserien ergänzte ein goldener Saum, oberhalb der Diwans, die unterschiedlich besetzt waren – von einem bis drei Gentlemen mit sehr informeller Kleidung, die vor allem aus einem einfach übergeworfenen Hemd und Hosen mit abgenommenen Hosenträgern bestand, scharten sich nackte Amoretten, sie begleiteten Aphrodite, verfolgten Psyche und beobachteten die schlafende Artemis. Zwischen den Tischen mit Weinkaraffen gingen Mädchen umher, deren Röcke grob die Knie freilegten; andere, nur in einem Negligee, lagen auf Sofas herum, an der Schulter ehrwürdiger Herren, und andere machten sich gerade daran, mit ihrer künstlerischen Produktion zu beginnen, im entferntesten Winkel, wo bereits ein Haufen aufgeregter Alter mit aufgezwirbelten Schnurrbärten vor dem Podium wartete.

„Frauen …“ Nicolas zuckte mit den Schultern und schenkte sich nach. Im Saal wurden die Gaslampen ausgemacht und ein unsichtbarer Pianist erzeugte mit einem sanften Vorspiel die ideale Atmosphäre zum Konversieren auf mehreren Ebenen, er begann mit einer Galeaner Ouvertüre, eine Anweisung, nach der sich alle Blicke der von diesem Abend Geschwächten erhoben.

„Selbstverständliche habe ich nichts gegen die Ehe.“ Nicolas ließ sich durch die laut vorgebrachten Gedanken nicht stören. „Obwohl ich Atheist bin, glaube ich mit jedem Zoll meiner materiellen Seele an die Wichtigkeit dieser Institution für ein richtiges Funktionieren der Gesellschaft. Schauen wir uns das Nahe Raab an – deren Beziehungen sind frei, oftmals ist hier die Frau dem Manne zur Gänze untergeordnet, dieser kann so viele Frauen haben, wie er sich leisten kann. Eine Scheidung – oder auch nur eine Trennung vom Ernährer – ist für sie vollkommen unvorte … unvorstellbar! Bei uns haben wir für alles Verträge. Anwälte. Juristen. Solicitoren. Zum Teufel! Schau dir mich mal an!“

Christian hörte ihm zu.

„Ich werde der reichste Kerl im auf dem Archipel sein – und es wird mir nichts nutzen. Der Vater sagte – gemeinsam in der Ehe. Also, sie“, er stach mit dem Finger in die Luft, als würde er einer imaginären Frau gegen die Nase drücken wollen, „sie wird faktisch die Hälfte bekommen. Und wenn sie es sich in den Kopf setzt, dann werde ich sie noch darum bitten müssen, dass ich mein Geld sinnvoll verwenden darf. Und sie setzen es sich immer in den Kopf. Alles setzten die sich in den Kopf.“

„Ich muss anmerken, dass Fräulein Fryné heute sehr gut aussieht“, versuchte Christian seine Aufmerksamkeit abzulenken.

Nicolas blinzelte zur Bühne. Zwei mit Spitzen besetzte Beine in enganliegender Wäsche trugen einen statuenhaften Körper, der das Korsett aus schwarzer Seide vermutlich gar nicht nötig gehabt hätte. Sie lächelte mit vollen Lippen, sie blinzelte mit glitzernden Wimpern. Der Kuss in die Luft galt allen Männern im Saal. Als sie einen hohen Absatz auf das Parkett setzte und den Hals aufrichtete, blieb den Herrn die Luft weg. Als sie die Arme hob und die Brust hinausstreckte, fuhr eine mythische Elektrizität über die Handrücken.

„Ich konnte alles machen“, setzte Nicolas ungestört fort, „die Abende bei Mamá verbringen, in der Umarmung ihrer Katzen. Die beste Flasche ibriatischen Wein trinken. Und was passiert jetzt? Du weißt ja nicht einmal, wie gern ich mit dir tauschen würde, mein Freund! Was wäre, wenn du der reichste Mann auf dem Archipel wärst? Du könntest Wonnen erleben, an die du nicht im Traum gedacht hättest. Du könntest dich von der unzugänglichen Fryné die ganze Nacht glücklich machen lassen. Wer kann sich das wünschen? Sicher, du bist meilenweit entfernt von solch profanen Niedrigkeiten, du hast keinen Grund, dich mit solch geistlosen Trieben zu befassen – deine Physik, Metaphysik, Metachemie haben höheren Anmut …“

„Sie ist wirklich wundervoll …“

„Natürlich“, Nicolas nahm den Blick seines Freunds gar nicht war, „nie betrinkst du dich so sehr wie ich mich, du nimmst dir keine Fräulein mit aufs Zimmer und hast am nächsten Tag keine Zweifel darüber, ob du einen Priester um Vergebung deiner Sünden bitten, oder einen Arzt anrufen sollst; und auch deine religiösen Überzeugungen sind vollkommen logisch und ich kann nichts dagegen einwenden …“

„Sie ist wie die laue Brise eines nächtlichen Obstgartens …!“

„ … ich verneige mich vor deiner Askese, die, wie im klassischen Sinn, einzig zur Selbsterkenntnis führen kann; und obwohl ich weiß, dass Leidenschaften und Poetik meilenweit an dir vorbeigehen, würde ich dennoch gern zu deiner Meinung über das weibliche Geschlecht kommen, also allgemein, denn es scheint mir, dass ich heute Abend zu viel rede, etwas betrunken und in einem Zustand, in dem ich nicht einmal der Versuchung, in zweierlei Wermutwässerchen zu versinken, widerstehen könnte, wenn Mamá das Unternehmen nicht in bestimmten Konventionen führen würde, dank derer die königliche Polizei es bis jetzt noch nicht geschlossen hat.“

Die verführerische Fryné hatte ihre Handschuhe bereits abgelegt, war aus dem Korsett geschlüpft und machte sich hinter dem flinken Baldachin eines Federfächers daran, sich ihrer Strümpfe zu entledigen. Übrigens hätte sich auch der Polizeiinspektor nicht gewehrt, der diesen üblichen Herren vorbehaltenen Klub montags zu besuchen pflegte, während seine Frau Unterricht in christliche Erziehung hatte.

Baron Edward Fiedler, Eigentümer von Textilfabriken und Wäschereien, warf eine Banknote mit dem Pfundmotiv auf das Podium. „Ich denke, ich sollte sie das nächste Mal mit einer Maus jagen“, flüsterte er seinem Gefährten zu. Herzog Bratford von Oxberry, Stahlmagnat, stand jedoch zu sehr unter dem Einfluss des heißen Punsches, und so grunzte er lediglich zustimmend.

„Sie ist angeblich eine echte Zauberin“, sprach der Baron weiter. „Ich habe von Minister Edwards die besten Referenzen bekommen. Einige Mitglieder des königlichen Kabinetts …“

„Angeblich ist sie ziemlich teuer“, meinte der Herzog Bratford, der seinen leeren Becher verdrossen abstellte. „Und man hört, dass sie nicht gerade häufig ist.“

„Denken Sie etwa …“

„Nie und nimmer“, fiel ihm der Herzog ins Wort, den innerhalb dieser Wände größerer Entsetzen überkam als einen Fuchs im Hühnerstall, „jemand hat angeblich ein paar bedeutende Gentlemen auf der Grundlage ihrer Aussagen kompromittiert. Es kann sich auch um eine Verleumdung handeln, nach einem Fall wollen immer alle den Schuldigen finden.“

„Ich bin bei Weitem nicht so töricht, dass ich meine geschäftlichen Angelegenheiten vor diesen unzugänglichen Lizetkas auspacke, Herzog“, lächelte der Baron Fiedler und winkte Fryné mit einer weiteren Banknote zu. „Die Pläne unserer Bruderschaft stehen an erster Stelle. Dann erst“, murmelte er in seinen Bart, „kommt die harmlose Unterhaltung.“

Die junge Frau warf ihre Spitzenunterwäsche in die Richtung des großzügigen Spenders.

Christian wurde sich bewusst, dass das leise Summen des Monologs an Intensität verlor. Doch vermochte er sich nicht zurechtzufinden und entschied sich, zuzustimmen.

Nicolas war froh darüber und setzte zugleich mit einer seiner weiteren tiefsinnigen Auswüchse fort, die teilweise – seien wir ehrlich – auf seine Betrunkenheit zurückzuführen waren.

„Selbstverständlich hat das auch seine guten Seiten. Stell dir vor. Ich komme heim. Heim. Ich komme, und genau: Da steht ein warmes Abendessen für mich, das hat das Dienstmädchen exakt nach den Anweisungen meiner Ehefrau und im Einklang mit meinen Wünschen zubereitet – ich werde nicht vergessen, ihr ihm Vorhinein klarzumachen, dass eine fleischlose Speise ausschließlich für Kranke geeignet ist, und sie Mehlspeisen nur den Kindern geben soll – sie stürzt sich auf mich, um mich zu küssen, um mich mit einem neuen Kleid und einer schmucken Frisur zu erfreuen, für die sie, vermute ich, mindestens so viel ausgibt wie ich für den Whisky; sie wird mich willkommen heißen wie eine Hauskatze, die sich an meinen Beinen reibt. Vielleicht wird sie mir aus dem Mantel helfen. Sie wird sich um den reibungslosen Ablauf meines Haushalts kümmern, einen Sohn gebären, zumindest hoffe ich das, und sie wird sich um ihn kümmern, was sie, so hoffe ich ebenfalls, zur Genüge beschäftigt. Und wenn ich das Verlangen hege, Liebe zu machen, wird sie ihre ehelichen Pflichten umgehend erfüllen, was zwei Vorteile hat – ich muss mich nicht durch das halbe Kapitol hierher zu Mamá schleppen, und ich spare mir zwanzig Pfund. Falls sie zumindest in gewissen Maßen über gutes Aussehen verfügt. Ich bin nicht anspruchsvoll, Christian, aber auch mein afrisé hat seinen Stolz! Ich stelle mir eine eher zurückhaltende Frau vor, keine herausfordernde, mit stolzer Stirn und feinen Gesichtszügen … so wie diese dort.“ Nicolas zeigte mit dem Finger zum Seiteneingang, wo ein Mädchen mit einem kleinen Hut mit Musselinschleier und in weißen Handschuhen den Auftritt der Tänzerin beobachtete. „Wer zum Teufel ist das überhaupt? Sie schaut nicht aus wie eine u-unzugängliche Lizetka …“

Die Vorstellung von Fräulein Fryné ging mit einem mächtigen Applaus zu Ende. Auch Christian ließ sich mitreißen, er stand sogar auf, als die Diva, bereits in einen weißen Pelz gehüllt, auf die Bühne zurückkehrte und ihren Körper den Zuflüssen an Banknoten aussetzte, die es von allen Seiten regnete. Dann ging sie, elastisch, die Treppe hinunter und auf die Bar zu. Der Anblick einer unbekannten Frau zwang sie jedoch dazu, auf halbem Wege stehenzubleiben, und er entlockte ihrem Gesicht, das mit Schminke bedeckt war, ein Hundert-Pfund-Lächeln.

„Wie ich mich freue, dich zu sehen“, sie streckte die Arme aus.

„Ich freue mich auch, Frieda. Du wolltest mich sprechen? Wie geht es deiner kleinen Sofie? Ich habe mich beeilt, so gut es ging, aber ich habe es mal wieder geschafft, zu spät zu kommen.“

„Nur Frauen, die etwas wert sind, können sich erlauben, zu spät zu kommen“, mischte sich Nicolas in ihr Gespräch ein, er kam gerade zu ihnen herangetorkelt. „Falls Sie, meine Schönheit, neu hier sind, werde ich besonders froh sein, wenn ich sie heute im Rosenzimmer erwarten kann.“

„Nur zu, mein Herr“, antwortete sie flink. „Gehen Sie schon mal vor und warten Sie. Sie werden überrascht sein, wie viel ich wert bin.“

Nicolas starrte sie ein Weilchen unverschämt an, bevor ihm die Bedeutung des Gesagten klar wurde.

„Eine Gescheite“, sprach er zu sich selbst Lob aus, „das Fräulein bevorzugt pikantere Angelegenheiten?“

„Die pikantesten. Haben Sie nicht gehört, dass Frauen eine scharfe Zunge haben?“

„Ihre Zunge vermag ich mir auf sehr viele Arten vorzustellen, mein Fräulein.“

„Herr Gordon ist heute hierhergekommen, um sich zu unterhalten“, versuchte Christian das Gespräch zu unterbrechen.

„Das bin ich auch“, entgegnete sie scharf. „Frieda, können wir bitte …“

„Bekennen Sie sich zur weiblichen Liebe?“, fiel ihr Nicolas unverschämt ins Wort. „Ich verstehe schon, Sie sind so abweisend …“

„Frieda-Fryné lächelte. „Sie verstehen uns nicht falsch, Herr Gordon. Wir haben da gewisse persönliche Angelegenheiten.“

„Sicherlich. Ich entschuldige mich. Schade.“

Christian wollte Frieda dieselbe Apologisation vorbringen, doch da fiel das Gesprächsniveau seines beträchtlich angeheiterten Freundes bis ganz nach unten: Es gibt Dinge, über die ein wahrer Gentleman nicht einmal in einem Freudenhaus spricht.

„Dürfte ich zumindest zuschauen?“

„Sie sind ein widerliches Stück Dreck“, schleuderte ihm die Unbekannte ins Gesicht. „Und Sie sollen sich schämen“, putzte sie den verlegenen Christian zusammen, „in so einer Gesellschaft zu verkehren.“

Herr Nicolas Gordon und ich …“

Der Nicolas Gordon? Der zukünftige Milliardär? Bezeichnend. Ich hoffe, dass Sie Ihr Eigentum im Bordell verjubeln werden.“

Nicolas hörte auf zu lachen. „Ich auch. Und wenn es um Sie geht, sollten Sie sich entschuldigen, meine Dame. Sie können sich nicht so einfach erlauben, die Gäste zu beleidigen.“

„Nicolas …“

„Nein, Christian. Ich bestehe darauf!“

„Da haben Sie Pech.“

„Na gut, dann …“, entschied sich Herr Gordon, schon zur Hälfte in Rage „das ist Ihr Ende! Ich lasse Sie hinauswerfen!“

Frieda zwinkerte. „Das wird wohl nicht nötig sein.“ Sie stellte sich ihm in den Weg. „Wir wollen keine Probleme machen. Meine Freundin wollte Sie nicht kränken.“

„Doch, das wollte sie. Wäre er ein Mann, würde ich ihn dazu verwenden, den Boden zu fegen!“

„Wenn Sie ein Mann wären, entschuldigen Sie sich bei mir!“

„Nicolas, komm, lassen wir das …“

„Geh zur Seite, Christian.“

„Und was, wenn …“, Frieda kniff ihre großen schwarzen Augen zusammen, sie ahnte einen Skandal, den sie in Hinblick auf ihre Mamá nicht riskieren konnte, „ich mich bei Ihnen entschuldige?“

Nicolas zögerte.

„Die heutige Nacht, für einen Millionär … als Geschenk, das mir jederzeit vergolten werden kann. Ein privater Auftritt in meinem Appartement.“

„Hmm.“

„Und Sie“, mit ihrem langen Finger deutete sie auf den jungen Ingenieur, „können zusehen.“

Christian senkte seinen Blick.

„Na, das …“

„Vermutlich wirst du ein andermal kommen müssen, meine Liebe“, lächelte Frieda, als sie sah, dass sich der Stier beruhigte und wiederkäut. „Komm zu mir, du weißt, wie. Es gibt ein Treffen.“

Nicolas machte eine noble Geste: „Na, meinetwegen. Entschuldigung angenommen.“

 

Aus dem Tschechischen von Julia Miesenböck