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Martin Ryšavý: Dimitrij der Heiler

Übersetzt von Kristina Kallert. Veröffentlicht vom Wieser Verlag.

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Der Held, der Heiler, russisch als „Vrac“ bezeichnet, kommt aus dem mystischen Theatermilieu, in dem szenische Fantasien sehr leicht zur Lebensphilosophie werden. In einer grotesken und tragikomischen Art werden hier stalinistische Vergangenheit und postkommunistisches Chaos in einem endlosen Monolog dargestellt. So wie eine Premiere des Tabu-Autors Marquis de Sade. Martin Ryšavý wendet sich nach seinem 2008 geschriebenen Sibirien-Roman darin wieder einem russischen Thema zu.

Denn wer eigentlich ist der Marquis de Sade? Marquis de Sade sagt allen Enzyklopädisten und sonstigen Revolutionären: Sobald ihr irgendeines eurer Ideale zu Ende denkt, begreift ihr, dass der Weg zu ihm in einem Blutbad endet. Jedes bisher nicht gekannte Gute bringt auch ein nicht gekanntes Übel mit sich. Sobald ihr die Grenzen aufhebt, sobald ihr dem Menschen die Freiheit gebt, gebt ihr ihm auch die Freiheit zur Gräueltat. Jede Utopie hat ihre dunkle Seite, auch eure. Mit anderen Worten: Werde ich alle meine Bedürfnisse erfüllen dürfen, werde ich jeden, der mir im Weg steht, fällen. Und habe ich jemanden in meiner Macht, kann ich tun mit ihm, was ich will. Und was will ich denn eigentlich? Ich will die Menschen quälen, töten, ich werde den Betreffenden also zunächst quälen und dann töten. Aber der größte Witz dabei ist: Wenn jemand sich meiner bemächtigt und ich werde der Gequälte sein, dann bleibt mir nichts anderes, als daran Gefallen zu finden. Weil ich leben will, weil mich das Gefühl der eigenen Wichtigkeit zu leben zwingt, und dann beginnt dieser raffinierte Trick, jene Dichotomie, die später Sadomasochismus genannt werden sollte: Ein Mensch, der mich quält, ergötzt sich daran, dass er mich quält, und auch ich ergötze mich daran, dass er mich quält.

Siehe:
Wieser Verlag.

Bei Wieser als Taschenbuch: November 2014.

Lena Dorn