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Schlecht gelaunte Hrabalesken

Ein Versuch, den Winter mit Bafeln zu überstehen

Von Martin Becker

Verschiedene Möglichkeiten, den Winter zu überstehen.

Verschiedene Möglichkeiten, den Winter zu überstehen.

Es gibt Zeiten im Winter, da hilft fast nichts mehr. Da ist es egal, ob die Stadt, in der man sich schlecht gelaunt durch den Tag schleppt, jetzt Leipzig heißt. Oder Prag. Trübe ist es überall. Um es mit einem befreundeten Ruhrpottautor etwas vulgär auszudrücken: Woanders ist auch Scheiße. Warum so gereizt, mag man sich fragen, warum so schlecht gelaunt? Weil man es will, möchte man lügen, gereizt und schlecht gelaunt zu sein.
In so einer Stimmung etwa, wie sie im Winter häufiger vorkommt als im Sommer, verließ ich irgendwann meine Wohnung, um einen Kaffee zu trinken. Um der zumindest an diesem Tag nicht mehr in die Gänge kommenden Helligkeit ein Stück Frohsinn entgegenzusetzen, Koffeinkick kann retten, wenn es für Schnaps noch zu früh ist. Jedenfalls wählte ich als Kaffeeort ein Hipstercafé aus, ob in Prag oder in Leipzig oder in Kleinkleckersdorf (gibt es Hipster in Kleinkleckersdorf?), das ist eigentlich einerlei, trübe ist es überall, siehe oben. Der Kaffee war gut, äußerst gut sogar, meine Stimmung hingegen war äquivalent schlecht, äußerst schlecht sogar. Am Tisch links und rechts neben und hinter und vor und mutmaßlich sogar unter und über mir saßen sie: die uniformierten Biohipster der Großstadt. Und lästerten über andere uniformierte Biohipster und erzählten von Asien und wie überlaufen es dort sei und träumten davon, wie wohl eine Welt sein würde, in der jedes einzelne Hipsterkarohemd fair getradet und selig lachend von anderen Hipstern in Hipsterkarohemden genäht wäre.

Was das alles mit deutscher oder tschechischer oder tschechischer oder deutscher oder deutsch-tschechischer Literatur zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel. Nur kam ich nicht nur für Kaffee in die selbst gewählte Hölle der leidenschaftslosen Coolness, ich hatte ein Buch dabei. Bohumil Hrabal. Leben ohne Smoking. In Deutschland ist der Band relativ unbekannt, werden die weltliterarischen Bafeleien ja ohnehin oftmals eher mit einer unerträglichen Putzigkeit betrachtet, aber dazu komme ich noch. Ich hatte Hrabal dabei, und das hatte seinen Grund. Mit Hrabal lassen sich etliche Winter und Hipster überstehen. Hrabal gehört zu meiner literarischen Hausapotheke für den Notfall, mittlerweile seit vielen Jahren, er war, ist und bleibt immer einer der Autoren, mit denen ich mich verbunden fühle, seit ich an meinem ersten Tag in Prag ins Krankenhaus Bulovka kam und vielleicht auch Tauben füttern wollte.

„Die Katze Autitschko“ heißt meine Lieblingsgeschichte in „Leben ohne Smoking“ (das ich im Café sitzend gern umbenennen wollte in „Leben ohne Karohemd“), und sie erzählt – von allem. Davon, wie der Protagonist über alles liebt und dennoch tötet und sich von den Gespenstern der Toten verfolgt fühlt und mit der Straßenbahn durch Prag irrlichtert und genau weiß, dass Dinge nicht rückgängig zu machen sind. Dass es dabei viel um Katzen geht, legt der Titel ja schon nahe. Ich schlage das Buch in Höhe meiner Lieblingserzählung auf und bin im Prolog, ein ebenso seltsamer wie hrabalesker Text: Der Autor interviewt sich selbst. Nicht nur, dass ich das Selbstinterview erwische, ich lande bei folgender Frage: „Haben Sie manchmal schlechte Laune?“

Und der sicher ein bisschen zurechtgebafelte und fiktionalisierte Hrabal antwortet, dass die schlechte Laune doch das Lebenselixier schlechthin sei, hätte er sie nicht, schreibt er, dann müsse er sie sich schaffen. Denn erst aus der schlechten Laune, erst aus dem Nicht-Mehr-Weiter-Können, erst aus der Kaputtheit heraus erwächst Neues. Zitat:

„Wer oft schlechte Laune hat, ist von den Göttern auserkoren, ein Mensch wie er ist fähig, sich zu erneuern, sich zu verjüngen.“

Ich las weiter und weiter, die Gespräche um mich herum entfernten sich mehr und mehr, und ich erlebte mit diesen schlecht gelaunten Hrabalesken mal wieder ein Wunder: der Winter im Herzen verschwand. Tauwetter. Ich lächelte sogar, auch, wenn natürlich niemand zurück lächelte. Dieser Hrabal ist ein Schlitzohr, weil er immer dann Hoffnung gibt, wenn man nicht unbedingt mit ihr rechnet, sie aber dringend gebrauchen kann. Wieder fragte ich mich, warum er in Deutschland zwar beachtet wird, aber längst nicht den Stellenwert eines Nobelbepreisten hat, was ihm, im Übrigen, natürlich längst nicht gerecht werden würde. Und dann klappte ich das Buch zu, trat hinaus in die Kälte der Stadt und ließ die Hipsterischen mitsamt meiner schlechten Laune allein im Café zurück. Es ist Winter, dachte ich auf dem Weg nach Hause, man kann ihn überstehen. Und dafür braucht man weder Smoking noch Karohemd.

mb1982